Hamburg. Becker und Hoffmann stärken Wolf nach Krisengipfel den Rücken. Lassen die Spieler ihren Trainer im Stich?

Als Schiedsrichter Markus Schmidt um 14.50 Uhr zu seiner Trillerpfeife griff, wurde das Geräusch durch ein gellendes Pfeifkonzert im Volksparkstadion übertönt. Nach dem 0:3-Debakel gegen den abstiegsgefährdeten FC Ingolstadt und einem weiteren blutleeren Auftritt scheint der HSV nun sogar den Kredit bei den eigenen Fans verspielt zu haben. Die seit Jahren treuen Anhänger wenden sich zunehmend von ihrem Club ab.

Auch für Hannes Wolf wird die Luft dünner. Er darf aber weiter Trainer der Hamburger bleiben. Diese Entscheidung haben Sportchef Ralf Becker und Clubboss Bernd Hoffmann nach einem Krisengipfel getroffen. Der Coach wird am Sonntag um 11 Uhr das Training leiten. Im Anschluss will Becker die Entscheidung gegenüber den Medienvertretern erklären. Mit ihrer mutigen Entscheidung haben die Club-Verantwortlichen nun auch den Druck auf sich selbst erhöht.

Becker rückt erstmals von Wolf ab

Von seinem Treuebekenntnis der vergangenen Wochen war Becker zuvor noch abgerückt. „Ich muss dieses Spiel erst einmal verarbeiten. Wir müssen uns jetzt in Ruhe zusammensetzen und die Situation besprechen. Am Ende geht es immer um das Beste für den Verein", sagte der Sportvorstand.

Damit schien auch eine Trennung von Wolf nicht mehr ausgeschlossen. Unmittelbar vor der Partie hatte Hoffmann noch betont, dass der 39-Jährige der richtige Coach für den HSV sei. "Wir sind völlig überzeugt von der Arbeit von Hannes Wolf. Er soll den HSV wieder dahin führen, wo wir ihn gerne haben wollen", sagte der Vorstandschef. Er hat an seiner Meinung festgehalten. Sollten die Hanseaten jedoch den angestrebten Aufstieg verpassen, ist es fraglich, ob Wolf über den Sommer hinaus Trainer bleiben dürfte.

Lassen die Spieler Wolf im Stich?

Von den Spielern war gegen Ingolstadt jedenfalls kein Aufbäumen zu sehen. In einem der wichtigsten Spiele der laufenden Saison lieferte die Mannschaft einen Offenbarungseid. Der Auftritt kam einer Arbeitsverweigerung gleich. Lassen die Profis ihren Trainer im Stich? „Wir waren einfach schlecht. Ich bin sehr, sehr traurig. Aber natürlich wollen wir weiter mit dem Trainer arbeiten“, sagte Kapitän Gotoku Sakai, der sich als einziger Spieler stellte.

Seine Mitspieler liefen wortlos in die Kabine. Innenverteidiger Rick van Drongelen hatte nach der heftigen Kritik der Fans sogar Tränen in den Augen. Beim HSV scheint derzeit alles, was nach dem erstmaligen Abstieg der Clubhistorie mühsam wieder aufgebaut wurde, wie ein Kartenhaus zusammenzufallen. "Wir können jetzt nicht einfach abhauen. Der Aufstieg ist weiterhin möglich, wenn wir wieder anders auftreten und jeder Verantwortung übernimmt", sagte Sakai.

Auch Hannes Wolf gibt sich noch kämpferisch. „Es ist jetzt unsere Verantwortung, uns aufzurichten. Wir haben noch zwei Spiele. Wenn wir die gewinnen, werden wir Dritter." Die Frage ist nur, ob der gebürtige Bochumer den HSV auf diesem Weg begleiten darf.

HSV verspielt die Liebe seiner Fans

Ohnehin scheint die Rückkehr in die Bundesliga in der aktuellen Verfassung der Mannschaft so weit entfernt, wie die in der Beiersdorfer-Ära angestrebte Qualifikation für den Europapokal. Zum wiederholten Mal konnte der HSV eine Steilvorlage der Konkurrenz nicht nutzen. Nach Paderborns 0:2-Niederlage am Freitagabend in Bielefeld hätten die Hanseaten mit einem Heimsieg zumindest vorübergehend auf Platz zwei springen können.

Doch nun droht das Team nicht nur den Aufstieg, sondern auch die Liebe der Fans zu verspielen. Während des uninspirierten und verunsicherten Auftritts gegen Ingolstadt fiel es den Zuschauern schwer, ihre Mannschaft zu unterstützen. „Von Anfang an war bei den Spielern eine Verkrampfung zu sehen. Jeder hatte viel mit sich zu kämpfen“, sagte Becker. „Unsere junge Mannschaft kann mit dieser entstandenen Drucksituation gerade nicht umgehen.“

Dabei setzte HSV-Trainer Hannes Wolf, der erneut seine Formation änderte, vor dem Spiel alles auf Angriff. Erstmals in seiner Amtszeit ließ er mit einer Doppel-Spitze agieren. Manuel Wintzheimer und Hee-chan Hwang sollten für Torgefahr sorgen, Top-Torjäger Pierre-Michel Lasogga saß dagegen zunächst nur auf der Bank. „Wir haben sonst nicht weniger mutig gespielt“, sagte der Coach vor dem Spiel noch grinsend.

Zwei HSV-Böcke führen zu Gegentoren

Seine gute Laune währte nicht lange, denn mutig startete vor allem der Gegner. Nach einem Ballverlust von Bakery Jatta und einem anschließend üblen Querschläger von Innenverteidiger Léo Lacroix hatte Ingolstadts Stürmer Lezcano schon früh im Spiel freie Bahn. Der Paraguayer überwand Torhüter Pollersbeck mit einem sehenswerten Schuss in den Torwinkel (8.).

Wieder geriet der HSV durch einen individuellen Fehler in Rückstand. Kurz darauf hätte es sogar noch schlimmer kommen können, aber Pollersbeck verhinderte mit einer starken Fußabwehr das zweite Gegentor durch Pledl (11.). Die Zuschauer reagierten mit Fassungslosigkeit und lauten Pfiffen.

Auf dem Platz ließen die Hamburger dagegen eine Reaktion vermissen. Geprägt von Fehlpässen und verlorenen Zweikämpfen agierten das Wolf-Team viel zu fahrig. Die Verunsicherung nach nunmehr sieben sieglosen Spielen war der jungen Mannschaft deutlich anzumerken. Die Geduld der Fans scheint allerdings aufgebraucht zu sein. Jede missglückte Aktion wurde von den Rängen mit Pfiffen quittiert.

Fans verhöhnen eigenes HSV-Team

Wolf hatte vor dem Spiel die Rolle des Jägers ausgerufen. Seine Spieler präsentierten sich aber eher wie leichte Beute für den Gegner. Ingolstadt ging viel giftiger in die Zweikämpfe. Den Gästen reichte eine simple Kontertaktik für einen Auswärtscoup im Volkspark. Der HSV agierte dagegen ideenlos im Spiel nach vorne und ohne Tempo im Spielaufbau. Eins-gegen-Eins-Dribblings oder mal eine überraschende Aktionen fanden gar nicht erst statt. Viel zu oft versuchte es das Team durch die Mitte, wo Ingolstadt mit seinem Abwehrblock schon lauerte.

Die Folge war ein Debakel für den HSV. Auch die Hereinnahme von Lasogga blieb wirkungslos. Inmitten der hilflosen Angriffsbemühungen der Gastgeber verlor der eingewechselte Josha Vagnoman den Ball als letzter Mann vor dem gegnerischen Strafraum (!). Eine Absicherung fehlte in dieser Situation komplett und so durfte Ingolstadts Pledl über den gesamten Platz alleine aufs Tor zulaufen und ohne Gegenwehr auf 2:0 erhöhen. Daraufhin verließen erste Zuschauer fluchtartig das Stadion. Sie verpassten das 0:3 durch Gauß (72.).

Es war die Entscheidung in einem merkwürdigen Zweitligaspiel. Die wenigen Hamburger, die noch in der Arena waren, verhöhnten ihre Mannschaft mit „Olé“-Rufen bei gegnerischen Ballkontakten. "Ich kann die Reaktion der Fans verstehen, wenn wir so ein Spiel abliefern", sagte Sakai. Sein Trainer gab ihm recht. „Ich kann den Unmut der Fans total nachvollziehen", sagte Wolf.

Nach dem Schlusspfiff entschloss sich die Mannschaft zunächst, anders als üblich nicht mehr zu den eigenen Fans zu gehen. Erst als die bedienten Anhänger die Profis daraufhin gnadenlos auspfiffen, kehrten diese wieder auf den Platz zurück, um in die enttäuschten Gesichter auf der Nordtribüne zu blicken.

Bezahlt der HSV fünf Trainer gleichzeitig?

Es ist der vorläufige Tiefpunkt einer Serie an Grusel-Auftritten im Volkspark. Aus den jüngsten vier Heimspielen gegen Darmstadt (2:3), Magdeburg (1:2), Aue (1:1) und Ingolstadt holte der Bundesliga-Absteiger gerade mal einen Punkt.

Vor allem die Art und Weise des jüngsten Debakels erhöht den Druck auf Trainer Wolf, der erst mitten in der Saison als Nachfolger von Christian Titz verpflichtet worden war. Nun muss sich der Vorstand um Becker und Hoffmann hinterfragen, ob es der richtige Weg war, dem Coach schon so früh in der Saison eine Jobgarantie auf Dauer auszusprechen.

Ingolstadt-Trainer tröstet Wolf

Tröstende Worte erfuhr Wolf von Gästecoach Thomas Oral. „Ich wünsche dem Verein, dass er die Ruhe bewahrt und nicht die Nerven verliert. Der junge Kollege braucht die volle Unterstützung, denn nur dann kann man als Verein in erfolgreiche Sphären kommen.“

Trotz des erneuten Treueschwurs der Club-Verantwortlichen haben die Fans ihr Urteil gefällt: Sie fordern einen erneuten Trainerwechsel in Hamburg.

Die Statistik:

HSV: Pollersbeck – Sakai (64. Vagnoman), Lacroix, van Drongelen, Santos – Mangala (78. Janjicic) – Narey, Özcan, Jatta – Hwang (63. Lasogga), Wintzheimer. – Trainer: Wolf

Ingolstadt: Tschauner – Neumann, Paulsen, Mavraj, Otavio – Cohen, Gaus – Kerschbaumer (62. Krauße), Pledl – Kutschke (83. Kotzke), Lezcano (89. Sahin). – Trainer: Oral

Schiedsrichter: Markus Schmidt (Stuttgart)

Tore: 0:1 Lezcano (8.), 0:2 Pledl (68.), 0:3 Gaus (72.)

Zuschauer: 50.768

Gelbe Karten: – Kerschbaumer (3), Pledl (3)

Torschüsse: 18:9

Ecken: 5:5

Ballbesitz: 66:34 %