Hamburg/Bochum. Bochum gegen den HSV ist auch das Duell Dutt gegen Wolf. Ein Coach wird der Held sein, der andere der Depp. Kann man sowas mögen?
Es war kurz nach 19.30 Uhr am Donnerstagabend, als Pit Reimers’ Traum wahr wurde. Das Licht im Hyatt-Hotel in Köln schimmerte in DFB-Grün, die Musik war gedämpft. Die 24 angehenden Fußballlehrer wurden nach dem Alphabet auf die Bühne gerufen.
Als DFB-Präsident Reinhard Grindel bei „R“ angekommen war, hielt auch Reimers, dunkler Anzug, rote Krawatte, nichts mehr auf seinem Stuhl an Tisch 14. Der HSV-Nachwuchstrainer, der seit Juni vergangenen Jahres auf diesen Moment gewartet hatte, ging mit gefalteten Händen nach vorne, bekam von Grindel seine Urkunde, umarmte Chefausbilder Daniel Niedzkowski und ließ sich von DFB-Manager Oliver Bierhoff beglückwünschen. „Natürlich ist das ein besonderer Tag für mich“, so Reimers. „Ohne Wenn und Aber: Der Trainerberuf ist mein absoluter Traumjob.“
HSV in Bochum
Traumjob Fußballtrainer? „Ich möchte keinen Tag etwas anderes machen“, sagt Reimers, der einkalkuliert hat, dass sein Traum jederzeit zum Albtraum werden kann: „Ab einem gewissen Moment weiß man als Trainer, dass Entlassungen und Umzüge zum Trainerdasein dazugehören. Darauf lässt man sich ja bewusst ein.“
Nach dem 65. Lehrgang zum Fußballlehrer des DFB sind es fast 1000 Coaches, die allein in Deutschland die höchstmögliche Trainerlizenz erhalten haben. Das Onlineportal transfermarkt.de listet sogar 1275 Coaches, die – ob mit oder ohne Lizenz – derzeit suchend auf dem Markt sind. Ex-HSV-Trainer Bernd Hollerbach zum Beispiel. Markus Gisdol. Oder auch Christian Titz.
Als Trainer ist man Held oder Depp
Titz-Nachfolger Hannes Wolf kommt am Morgen nach Reimers’ Trainergala auf den Trainingsplatz im Volkspark. Abschlusstraining vor dem Spiel beim VfL Bochum (Sa., 13 Uhr/live auf Sky und im Liveticker bei abendblatt.de). Aufwärmen, Passübungen, Balleroberung auf engem Raum, Standardtraining, ein paar Schüsse, Feierabend. „Ich freue mich sehr für Pit“, sagt Wolf, der mit 37 Jahren gerade einmal zwei Jahre älter als Reimers ist. „Selbstverständlich ist es ein großartiger Job. So eine Reise mitzugestalten, ist natürlich besonders.“
Was Wolf nicht sagt: Als Trainer ist man eigentlich immer der Held. Oder der Depp. Je nach Spielausgang am Wochenende. Vor knapp drei Wochen hatte der HSV das Derby gegen den FC St. Pauli mit sage und schreibe 4:0 gewonnen, und am liebsten hätten die Fans Wolf ein Denkmal gebaut. Eine Woche später verloren die Hamburger durch ein Tor in der Nachspielzeit mit 2:3 gegen Darmstadt. Schnell kam die Diskussion auf, ob Wolf durch seine Ein- und Auswechslungen zumindest eine Mitschuld treffe. „Natürlich gibt es ein paar Sachen, auf die man als Trainer gerne verzichten würde“, sagt Wolf, der wahrscheinlich auch an diesem Wochenende wieder zum Helden oder Deppen erklärt wird.
„Als Trainer wird man nach jedem Spieltag knallhart für die Entscheidungen der Partie bewertet“, sagt Wolfs Kollege Robin Dutt im Gespräch mit dem Abendblatt. Der Bochum-Trainer hat seinen Lehrgang zum Fußballlehrer vor 14 Jahren absolviert. Als Jahrgangsbester. Mit der Note 1,4. „Der Job hat sich extrem in der Vor- und Nachbereitung gewandelt“, sagt er. „Nur auf dem Platz bleibt es irgendwie der gleiche Job.“
Doch ist das wirklich so? Ist der Job des Fußballcoaches, der heutzutage noch während des Trainings Puls, Sprintleistung und Herzfrequenz seiner Profis auf dem Laptop überprüfen kann, tatsächlich noch immer der gleiche Job wie zu Dutts Anfangszeit, als er bei den Stuttgarter Kickers nicht mal einen Torwarttrainer in seinem Trainerstab hatte?
„Jeder Job wandelt sich“, sagt Dutt. „Ich gehöre wahrscheinlich zu der ersten Generation, die um die Jahrtausendwende die Kreidetafel weggestellt und Mannschaftssitzungen mithilfe eines Laptops geleitet hat.“
Mit dem Begriff Laptoptrainer kann Hannes Wolf trotzdem so gar nichts anfangen. „Nur weil du einen Laptop anschalten kannst, sind die Menschen dahinter nicht mehr wichtig? Das ist massiv oberflächlich und polemisch“, erwiderte der gebürtige Bochumer mal in einem Abendblatt-Interview eine Kritik von Mehmet Scholl. Und auch jetzt betont er, dass Big Data für einen Trainer wichtig, aber nicht das Wichtigste sei. „Daten sind ein großer Teil meiner Arbeit. Sie ersetzen aber nicht die Intuition und das Gefühl für die Menschen.“
Daten werden immer wichtiger
Natürlich setzt auch Dutt auf seine Intuition – und auf alle technischen Hilfsmittel, die ihm bei der Herkulesaufgabe gegen den HSV nützlich sein könnten. Der 54-Jährige schaute sich die vergangenen Partien des HSV (gegen St. Pauli und Darmstadt) sowohl bei Sky als auch über das Fachportal Scouting-Feed an. Hier können Mannschaftstaktiken aus der Vogelperspektive beobachtet werden.
Dass ein Zweitligaspiel intensiv vor- und nachbereitet wird, überrascht nicht. Dass Pit Reimers sogar sämtliche Gegner in der B-Jugend-Bundesliga stundenlang über das Fachportal „Die Ligen“ analysiert, dagegen umso mehr. Der 35-Jährige wählt Sequenzen für seine Spieler oder für die Mannschaftsteile aus, schneidet Kurzvideos selbst und verschickt diese per WhatsApp, E-Mail oder über eine SAP-Software direkt an seine Nachwuchsspieler. „Natürlich bekommen wir durch all die Daten, die es in dieser Form früher nicht gab, einen viel umfangreicheren Zugang zu Informationen“, sagt Reimers, der nach eigenen Rechnungen rund 60 Stunden in der Woche für seinen Traumjob investiert. „Die Kunst ist es auszuwählen, welche Informationen für einen Trainer hilfreich sind und welche nicht. Man muss als Trainer heute vor allem auch delegieren können.“
Sogar Reimers hat fünf Assistenten
Tatsächlich gehören zu Wolfs direktem Stab acht Assistenten, Kollege Dutt setzt auf sechs Mitarbeiter – und sogar U-17-Coach Reimers hat fünf Helferlein. „Früher hatte ich nicht mal einen Co-Trainer, heute sind gleich zwei Sportwissenschaftler dabei“, sagt Dutt. „Einer für die Analyse, der andere für die Leistungsdiagnostik, der bei jedem Training mit dem iPad neben mir steht.“
Jede Woche werden Dutt bis zu fünf neue Apps präsentiert. Am Montag testete er beim Training das sogenannte Katapultsystem, das neben Herzfrequenz, Laufleistung, Sprintfähigkeit auch noch misst, wie hoch ein Spieler während der Einheit springt. So wird der Kraftaufwand mit einbezogen. „Ich schaue mir alles an, ohne dass ich alles in mein Training integriere“, sagt Dutt, dem neben all den Daten vor allem eine Sache heilig ist: „Es ist wichtig, dass man sich als Trainer auch mal Freiräume nimmt.“
Eine Lehre aus 16 Jahren als Trainer, fünf Stationen und drei Entlassungen. „Wichtig ist auch, dass man sich eine Auszeit nimmt, wenn man mal entlassen wird und extrem viel Stress und Druck hatte. So wie Domenico Tedesco zum Beispiel gerade jetzt bei Schalke.“
Ein freier Tag pro Woche gegen den Stress
Ob über derlei Szenarien auch beim Fußballlehrer-Lehrgang vor 14 Jahren gesprochen wurde? Dutt zögert. An derartige Themenschwerpunkte könne er sich beim besten Willen nicht erinnern.
Doch nicht nur der Job des Trainers entwickelt sich weiter. Auch der DFB. „Vor dem Fußballlehrer-Lehrgang wollte ich immer alles machen. In Köln habe ich auch gelernt zu delegieren“, sagt U-17-Trainer Reimers, der sich zukünftig selbst disziplinieren will: „Ich versuche einen Tag in der Woche frei zu machen. Im Sinne eines gesunden Stressmanagements tut das auf jeden Fall gut.“
Hannes Wolfs Stressmanagement scheint jedenfalls zu funktionieren. Als er am Donnerstag im Rahmen des Kindertages „Boys’ and Girls’ Day“ von einem Dreikäsehoch gefragt wurde, ob es ihm eigentlich Spaß mache, HSV-Trainer zu sein, antwortete Wolf: „Es ist ein sehr guter Job.“ Ob es an diesem Wochenende sogar ein „sehr, sehr guter Job“ ist, entscheidet sich erst an diesem Sonnabend. Ab 13 Uhr.