Ex-HSV-Kapitän Nico-Jan Hoogma ist seit einem Jahr der Bierhoff der Niederlande. Vor dem Duell mit dem DFB spricht er über Neuanfänge.
Nico-Jan Hoogma mag es einfach. „Für mich nur ein Brötchen mit Marmelade und einen Kaffee. Schwarz“, sagt der 50-Jährige beim Treffen im Café Oxpark in Langenhorn. Hoogma, der seit einem Jahr als Sportdirektor die niederländische Elftal zu alter Stärke führen soll, ist zu Fuß gekommen. Sein Sohn Justin, der auf Leihbasis beim FC St. Pauli spielt, wohnt nur einen Freistoß vom Café entfernt. Natürlich fragt der frühere HSV-Kapitän sofort nach seinem HSV, kommt aber auch schnell auf das Prestigeduell zwischen den Niederlanden und Deutschland an diesem Sonntag in Amsterdam zu sprechen.
Hamburger Abendblatt: Herr Hoogma, Niederlande gegen Deutschland. Was geht Ihnen bei dieser Partie durch den Kopf?
Nico-Jan Hoogma: Als Fan habe ich das Spiel selbst schon zigmal im Stadion verfolgt, zum Beispiel auch beim 3:0-Sieg der Deutschen in Hamburg. 2011 war das, oder? Als Kind kann ich mich noch erinnern, wie Deutschland gegen die Niederlande bei uns echte Feiertage waren. Da wurden bei den Nachbarn die Zelte rausgeholt und der Fernseher aufgebaut.
Hierzulande hat man den Blödelsong „Ohne Holland fahr’n wir zur WM“ in den vergangenen Jahren gerne gespielt.
Ein bisschen frotzeln gehört doch dazu. Aber wenn ihr ehrlich seid, dann weiß keiner so ganz genau, ob derzeit eher Deutschland oder eher die Niederlande die Nase vorn hat. Wir sind auf jeden Fall gute Freunde, die aber auf dem Platz trotzdem unbedingt gewinnen wollen.
Das niederländische Nationalteam trifft sich seit ein paar Monaten wieder in Zeist, dem neuen, alten Treffpunkt der Elftal. Warum?
Diese Pläne gab es schon vor meiner Zeit. Uns war einfach klar, dass wir nach den bitteren Jahren mit der verpassten EM und der verpassten WM etwas ändern mussten. Und wir haben viel geändert. Zeist ist dabei nur ein kleines Puzzleteil. Wir spielen ja nicht besser, weil wir in einem anderen Hotel wohnen.
Trotzdem: Warum war Ihnen Zeist als zentraler Treffpunkt so wichtig?
Zeist ist ein Ort, an dem sich nicht nur die A-Nationalmannschaft trifft. Hier kommen auch unsere U21, unsere U19 und unsere Damen zusammen. Man spürt ein großes Miteinander. Das Hotel ist nicht luxuriös, aber okay. Hier kann man optimal arbeiten. Mitten im Wald.
Die Niederlande haben Zeist, Deutschland hat bald eine eigene DFB-Akademie in Frankfurt am Main. Kennen Sie die Pläne?
Nicht im Detail. Aber natürlich möchte ich gerne mehr über die DFB-Pläne wissen. Wir haben eine sehr gute Beziehung zueinander. Am Rande der Nations-League-Spiele hatten wir bereits einen informellen Austausch. Die unterschiedlichen Fachabteilungsleiter haben sich im Rahmen eines Workshops getroffen. Ich habe mich mit Deutschlands sportlichem Leiter Joti Chatzialexiou getroffen.
Wie nachhaltig ist so ein Austausch?
Das liegt ja an uns selbst. Weil wir davon überzeugt sind, dass es uns und dem DFB gleichermaßen guttut, sich auszutauschen. Im April haben wir alle Jugendtrainer von der U15 bis zur U21 von beiden Verbänden nach Eindhoven eingeladen. Dort schauen wir uns die Partie von PSV gegen Zwolle mit unterschiedlichen Schwerpunkten an. Wir wollen schauen, ob wir zu anderen Analyseergebnissen kommen als unsere Freunde vom DFB. Ich bin der Überzeugung, dass wir so voneinander lernen können und ganz andere Ideen bekommen.
Früher wollten Deutsche und Niederländer nicht voneinander lernen, sondern sich gegenseitig an die Gurgel gehen …
Gegen eine gesunde sportliche Rivalität hat ja auch niemand etwas. Trotzdem sind die Zeiten, in denen unsere Großeltern wegen des Krieges schlecht aufeinander zu sprechen waren, nun auch wirklich lange vorbei. Für meinen Sohn Justin ist Deutschland kein Erzfeind mehr.
Gibt es noch weitere Partnerschaften?
Ähnlich wie mit Deutschland tauschen wir uns auch mit Belgien aus. Es gibt sogar die Idee, dass wir zeitnah mal einen Dreiergipfel initiieren. Wir sind doch alles Nachbarn – und gute Nachbarn kann man ja auch mal einladen.
Die Niederlande hatten immer eine sehr klare Fußball-DNA. Herrscht nun die Meinung vor, dass man nach den jüngsten Misserfolgen Einflüsse von außen braucht?
Ja und nein. Wir sind ein kleines Land, aber ein großes Fußballland. Und als Fußballland haben wir immer eine gewisse Offensivtradition gelebt. Das wird auch so bleiben. Holland wird niemals anfangen, italienisch zu spielen. Gleichzeitig ist die Zeit vorbei, wo wir im globalen Zeitalter nur auf uns gucken können.
Sie sind ziemlich genau ein Jahr im Amt …
… und vor einem Jahr war in den Niederlanden Weltuntergangsstimmung. Jetzt sind wieder alle obenauf. So ist Fußball. Zwei gute Spiele gegen Deutschland in der Nations League, und wir sind wieder die Größten. So darf man als Fan denken, aber nicht als Verantwortlicher.
Und wie denken Sie als Verantwortlicher?
Es gibt immer Wellenbewegungen. Wir hatten zuletzt eine wirklich schwache Phase und dürfen uns jetzt darüber freuen, dass wir von ein paar starken Jahrgängen nun profitieren können. Aber nur weil Spieler wie Virgil van Dijk oder Georginio Wijnaldum mit dem FC Liverpool für Furore sorgen, heißt das nicht, dass wir 2022 der kommende Weltmeister werden. Trotzdem darf man vorsichtig konstatieren: Wir haben wieder auf uns aufmerksam gemacht. Über Holland wird wieder voller Respekt geredet.
War Ihnen sofort klar, dass Sie das Verbandsangebot trotz der damaligen schwachen Phase Hollands annehmen?
Ich war nach meinem Engagement in Almelo in einer Lebensphase, in der ich offen für eine neue Aufgabe war. Auch der HSV hatte ja zweimal angefragt, und ich war offen für eine Rückkehr nach Hamburg. Aber am Ende bin ich sehr glücklich, dass ich dann das Angebot vom Verband erhalten habe.
Viele waren überrascht darüber.
Ein wenig war ich auch selbst überrascht. Ich selbst habe ja nie für die Nationalmannschaft gespielt – und ich habe auch nie für einen der großen Clubs wie Ajax oder PSV Eindhoven gearbeitet. Aber andererseits wusste ich immer, was ich kann. Und als ich die Gespräche mit dem Verband aufgenommen habe, hatte ich schnell das Gefühl, dass ich der richtige Mann für diese Aufgabe wäre.
Hatten Sie auch das Gefühl, dass die meisten Entscheidungsträger ähnlich dachten?
Na ja, ich kann schon verstehen, dass es zunächst eine Skepsis gab. Hoogma? Der war doch immer nur bei Heracles Almelo. Aber andererseits hat uns das auch nicht nach vorne gebracht, nur auf große Namen zu setzen. Mein Vorteil war, dass es eine allgemeine Stimmung des Wechsels gab. Man wollte frischen Wind. Und ich war dieser frische Wind.
Waren Sie überrascht, wie schnell dieser Wind die Nationalelf durchgepustet hat?
Man braucht einen guten Plan und auch Glück. Zeist war zum Beispiel ein kleines Puzzleteil. Ein anderes Puzzleteil war unsere Entscheidung, alle Nachwuchs-Cheftrainer in Vollzeit anzustellen. Bis vor einem Jahr waren das nur unser Bondscoach und der U-21-Trainer. Das geht in der heutigen Zeit so nicht mehr. Und ein drittes Puzzleteil: Wir wollen eine bessere Durchlässigkeit aller Nachwuchsteams. Deswegen ist jeder Cheftrainer einer U-Mannschaft gleichzeitig Co-Trainer einer anderen U-Mannschaft. Unser U-19-Trainer ist auch U-15-Co-Trainer. So hat er viel früher einen Überblick über unsere Talente.
Das alles klingt sinnvoll. Aber eine Erklärung, warum die Niederlande seit einem Jahr so viel besser Fußball spielt, ist es nicht.
Hier kommt das Quäntchen Glück ins Spiel. Dass wir kurzfristig wieder Erfolg haben, ist eine schöne Randerscheinung.
Könnten sich die Niederlande noch ein verpasstes Turnier erlauben?
Eigentlich nicht. Wenn Deutschland und die Niederlande in einer Qualifikationsgruppe sind, dann sind das ohne Wenn und Aber die großen Favoriten. Eigentlich. Gleichzeitig haben wir gerade auch in der Champions League beobachten können, dass man Fußball eben nicht immer durchplanen kann. Plötzlich scheidet Real Madrid gegen Ajax Amsterdam aus. Damit hat doch keiner gerechnet …
… genauso wenig wie mit dem rasanten Turnaround der Elftal.
Das klingt gut. Aber die Wahrheit ist doch, dass wir in der EM-Qualifikation wieder bei null anfangen. Erst Weißrussland, dann das Spiel gegen Deutschland. Und erst dann können wir sagen, wo wir wirklich derzeit stehen.
Auch in Deutschland weiß niemand, wie man den deutschen Fußball derzeit einordnen muss. Wie denkt man in Holland beispielsweise über die Ausbootungen von Hummels, Boateng und Müller?
Ehrlich gesagt fand ich es richtig, dass Joachim Löw mit Oliver Bierhoff nach München gereist ist, um den Spielern die Entscheidung ins Gesicht zu sagen. Löw hat das mit Anstand gemacht.
Wenn man an die umjubelten Nationalmannschaftsabschiede von Wesley Sneijder und Rafael van der Vaart 2018 zurückdenkt, bleibt der Eindruck, dass die Niederlande Abschiede besser beherrschen.
Das eine kann man mit dem anderen nicht vergleichen. Beim Bayern-Trio ging es ja erst einmal darum, dass Löw klarmachen musste, dass er vorerst nicht mehr auf die drei setzt. Wenn daraus ein endgültiger Zustand wird, dann muss und wird sich der DFB sicherlich auch über ein Abschiedsspiel für solch verdienstvolle Spieler Gedanken machen.
Ist Deutschland ohne die drei für Sie noch immer eine sehr gute Mannschaft?
Natürlich. Deutschland hat so viele so gute Talente. Schauen Sie sich doch alleine Leroy Sané an. Ein Wahnsinnsspieler. Und so einen habt ihr 2018 nicht einmal mit zur WM genommen.
Sie selbst wurden vom niederländischen Verband nie eingeladen. Warum nicht?
Es gab ein paarmal Gerüchte, dass ich vielleicht nominiert werden soll. Aber ich muss zugeben, dass die Konkurrenz zu groß war. Als ich meine beste Phase beim HSV hatte, war ich schon über 30 Jahre alt. Und da hatten die Niederlande Spieler wie Jaap Stam oder Frank de Boer. Das waren schon ziemlich gute Jungs.