La Manga. Routinier wehrt sich gegen Kritik – und denkt an eine Radkappe und einen Balkon. Ansonsten freut er sich “über ein paar witzige Kerle“.
Das erste HSV-Training im spanischen La Manga war gerade einmal ein paar Minuten vorbei, als lautes Gejohle vom Hotelpool im Las Lomas Village zu vernehmen war. Bei Sonnenschein und blauem Himmel, aber Temperaturen von gerade einmal 14 Grad, dient der Pool in diesen Tagen eigentlich nur zur Zierde – oder eben doch als willkommenes Planschbecken für härter gesottene HSV-Promis.
Dabei war es genauso wenig überraschend, dass sich der Schotte David Bates als Erster ins Eiswasser wagte, wie Lewis Holtby in der Rolle als fleißiger Paparazzo belegte. „Wir haben hier ein paar witzige Kerle in unserer Truppe“, freute sich der Hobbyfotograf. „So kann man im Trainingslager echt Spaß haben.“
Holtby in der Kritik
Dabei ist Holtby natürlich genauso wie allen anderen Profis auch bewusst, dass der Spaßfaktor in dieser Woche nur eine untergeordnete Rolle an Spaniens Costa Cálida spielen soll. „Der Trainer hat ganz klare Vorstellungen, was wir in diesen Tagen im Hinblick auf die Rückrunde verbessern wollen und müssen“, sagt Holtby, der sich noch vor der Fotosession am Pool an die eigene Nase fasst: „Das gilt natürlich auch für mich. Ich habe einen Anspruch – und an dem werde ich mich auch täglich messen.“
Der 28-Jährige hat in den vergangenen Tagen und Wochen durchaus mitbekommen, dass er als Führungsspieler trotz der Tabellenführung besonders in der Kritik steht. So ist beispielsweise die „Bild“-Zeitung erst kürzlich sehr hart mit ihm ins Gericht gegangen: „Man zieht ihn auf wie ein Duracell-Häschen, dann wackelt er los – aber leider im gleichen Tempo. Sein vorhandenes Talent hat Lewis Holtby in der Bundesliga schon versteckt.“
Eine Kritik, die Holtby trotz aller guter Laune 2500 Kilometer von der Heimat entfernt so nicht stehen lassen will: „Irgendwann ist es auch mal gut, immer der Buhmann zu sein.“ Holtby wischt sich nach der ersten Einheit in der Sonne den Schweiß von der Stirn. „Wir sind auf dem ersten Platz – und trotzdem muss immer irgendeiner schuld sein an irgendwas. Das reicht dann auch mal. Ich komme mir so vor wie das fünfte Rad am Wagen. Es war ja nicht alles schlecht – auch nicht in den vier Spielen, in denen ich ausgewechselt wurde.“ Sein philosophischer Schlusssatz hierzu: „Es ist nicht immer alles schwarz, was schwarz ist.“
Bilder aus dem Trainingslager:
Der HSV trainiert unter der Sonne Spaniens
Opa der Opas hat Faszienrisse
Es glänzt aber auch nicht alles, was glänzt. Und trotzdem darf Holtby in den vergangenen 24 Pflichtspielen beeindruckende zwölf direkte Torbeteiligungen als Argumente anführen. Allerdings widerspricht der Mittelfeldmann auch nicht, dass seine Leistungskurve in den Wochen vor der Winterpause nicht unbedingt nach oben zeigte. „Natürlich will ich mich verbessern. Ich will zum Beispiel noch viel mehr in Richtung Tor kommen“, sagt Holtby, der mit Pierre-Michel Lasogga (27) und Christoph Moritz (28) in La Manga den „Opa-Bungalow“ (O-Ton Holtby) belegt: „Wir gucken die ganze Zeit Arte und 3sat“, witzelt „Oldie“ Holtby. „Und durch die dünnen Wände hören wir, wie die Jungen auf ihren Playstations Fifa spielen.“
Auf den „Opa der Opas“ müssen Holtby, Moritz, Lasogga und vor allem Trainer Hannes Wolf in Spanien allerdings verzichten. Aaron Hunt (32) musste das Trainingslager aufgrund eines kleinen Faszienrisses am rechten hinteren Oberschenkel kurz vor der Abreise absagen. „Der Zeitpunkt von Aarons Verletzung ist natürlich unglücklich“, sagte Trainer Wolf, der die Situation allerdings auch nicht dramatisieren wollte: „So etwas ist immer ärgerlich, aber das ist ja eher eine kleine Geschichte. Aaron wird ja, wenn nichts Neues passiert, im ersten Spiel gegen Sandhausen wieder gesund sein.“
Testspiel gegen St. Gallen
Das hofft natürlich auch Holtby, der im wolfschen 4-1-4-1-System in der Hinrunde an der Seite Hunts im Mittelfeldzentrum gesetzt war. „Wir spielen eigentlich nebeneinander. Nur in der Defensivbewegung übernehme ich den etwas defensiveren Part“, sagt Holtby, der in dieser Rolle ab sofort auch Konkurrenz vom endlich wieder genesenen Gideon Jung bekommen könnte. „Im Fußball geht es doch immer um den Konkurrenzkampf“, gibt sich Holtby allerdings gelassen. „Jeder muss für seinen Platz kämpfen. Wir müssen uns anstacheln, dadurch steigt auch die Mannschaftsqualität.“
Einen Eindruck, wie gut es um diese Mannschaftsqualität zwei Wochen vor dem Start gegen Sandhausen bestellt ist, kann man möglicherweise bereits an diesem Montag gewinnen. Um 15 Uhr steht der erste Test gegen St. Gallen auf dem Programm, ein zweiter Test gegen den FC Lugano folgt am Freitag.
Holtby schielt schon Richtung Rathausbalkon
Nur über das, was dann im Sommer folgen soll, gibt es möglicherweise noch Redebedarf. „Mir geht es darum, am Ende der Saison auf dem Rathausmarkt zu stehen“, sagt Holtby, der diesmal ausnahmsweise keinen Spaß macht. „Beim Weihnachtsmarkt habe ich schon ein paarmal da hoch zum Balkon geschielt. Einmal in meiner HSV-Karriere da oben zu stehen, das wäre schon fantastisch. Auch wenn man dann nur so eine Radkappe als Zweitligameister in der Hand hält.“
Auf die Idee, Bürgermeister Peter Tschentscher allen Ernstes zu fragen, ob er für den Fall der Zweitliga-Meisterschaft den Rathausbalkon für den HSV freigeben würde, ist im Club zwar noch niemand gekommen. Aber grundsätzlich ist es ja nicht verkehrt, Ziele zu haben. Oder wie es Holtby direkt vor der Fotosession ausdrückte: „Das wäre ein absolut geiles Ziel.“