Hamburg. Der lange verletzte HSV-Defensivspieler Jung ist nach fünf Monaten zurück. Bleibt die Frage: Hält der Knorpel?

Das Scheinwerferlicht, das wird nach wenigen Sekunden deutlich, hat Gideon Jung in den vergangenen Monaten nicht vermisst. Er fühle sich gut, sagt der HSV-Profi leise. Die Hände in den Hosentaschen, der Rücken gekrümmt, die Schultern hängen nach unten. Er wolle der Mannschaft helfen, Gas geben, gesund bleiben. Gideon Jung sagt das, was man als Fußballer nun mal so sagt, wenn man fünfeinhalb Monate keinen Fußball gespielt hat.

Fit sei er, motiviert und natürlich gut drauf. Nach drei Fragen, eine Minute und 25 Sekunden, ist die erste TV-Runde nach seiner schweren Knieverletzung vorbei. Schnell macht der Fußballer einen Schritt zur Seite, raus aus dem grellen Scheinwerferlicht. „Alles gut“, sagt er, und lächelt nun erstmals.

Nichts gut, so lautete die inoffizielle Diagnose vor fünfeinhalb Monaten. Die offizielle Version: traumatischer Knorpelschaden. „Mir ist schon bewusst, dass ein Knorpelschaden früher eine richtig heftige Verletzung war“, sagt Jung. „Trotzdem habe ich nie an ein mögliches Karriereende gedacht, als ich von der Diagnose gehört habe.“

Ex-HSV-Arzt erklärt Schwere der Verletzung

Eine „richtig heftige Verletzung“ ist heftig untertrieben. „Grundsätzlich ist auch heute noch ein Knorpelschaden eine Hiobsbotschaft für jeden Sportler, insbesondere für junge Sportler“, sagt der frühere HSV-Mannschaftsarzt Philip Catalá-Lehnen. „Je nach Größe des Schadens sind Ausfallzeiten von mindestens vier Monaten normal, zudem bleibt immer das Risiko, dass das Knie auch nach der Genesung anfällig bleibt.“

Das ist die schlechte Nachricht. Die gute Nachricht: „Anders als früher bedeutet ein Knorpelschaden schon lange nicht mehr, dass die Karriere vorbei sein muss“, so Catalá-Lehnen. „Die Größe eines Knorpelschadens ist die entscheidende Frage. Danach richtet sich auch die Prognose nach der Ausfallzeit.“

Im Fall von Jung war bereits direkt nach der Operation durch den Augsburger Knieexperten Ulrich Boenisch die Prognose optimistisch. „Wir waren immer im Zeitplan“, sagt der 24 Jahre alte Profi. Bereits im Dezember sei er dosiert ins Mannschaftstraining eingestiegen, habe aber hier und da noch ein Wehwehchen gespürt.

Warum Papadopoulos’ Genesung länger dauert

Nun, im Trainingslager im spanischen La Manga, wolle er ab Sonnabend wieder so richtig angreifen. Ob er einsatzbereit sei, wenn am Wochenende ein Spiel auf dem Programm stehen würde, wird Jung gefragt. „Klar“, sagt er. „Vielleicht aber nicht von Anfang an.“

Definitiv nicht einsatzbereit wäre dagegen Jungs Kollege Kyriakos Papadopoulos, der sich nur wenige Tage nach Jung im vergangenen Juli die gleiche Verletzung zugezogen hatte. Mit dem kleinen, aber feinen Unterschied, dass Papadopoulos’ Knie schon vor der Verletzung als Großbaustelle galt.

„Wenn das Knie seit Jahren geschädigt ist, dann sind die Chancen auf eine vollständige Genesung sehr gering“, sagt Catalá-Lehnen. „Ein typischer Knorpelschadenfußballer hangelt sich von Spiel zu Spiel, kann aber zwischendurch kaum richtig trainieren.“

In solchen Fällen könne man das Knie nur noch durch Cortison beruhigen. „Aber von einer Heilung kann man dabei nicht mehr sprechen“, sagt der Arzt aus dem Lans Medium am Stephansplatz. Das Knie würde immer wieder dick werden und schmerzen. „Das Knie bleibt ein Risikofaktor – und die Gefahr, schon mit Mitte 40 an Arthrose zu erkranken, ist groß.“

HSV wusste von Papas Knieproblemen

Der Kniefall von Papadopoulos ist doppelt bitter. Zum einen natürlich für den Griechen, dessen Vertrag noch bis 2020 beim HSV läuft und der tatsächlich hoffen muss, dass sein mehrfach lädiertes Knie wieder voll belastbar sein wird. Und zum anderen für den HSV, der bereits durch den obligatorischen Medizincheck von Papadopoulos’ Problemen wusste.

Doch genau wie im Fall von Ex-HSV-Profi Valon Behrami, der ebenfalls unter den Folgen eines schweren Knorpelschaden litt, wurde sich trotz Warnungen für eine Verpflichtung der Kniepatienten entschieden. Behrami hat seinerzeit sechs Millionen Euro gekostet, Papadopoulos dem Vernehmen nach sogar 6,5 Millionen Euro.

Vergangenheit. Für die nähere Zukunft sieht es bei Jung gut aus. Und bei Papadopoulos zumindest nicht so schlecht wie mal zwischendurch befürchtet. Am liebsten wäre der Grieche sogar bereits am Sonnabend mit ins Trainingslager gereist, was ihm die Ärzte aber erfolgreich ausgeredet haben. „Knorpel kann man nicht komplett reparieren, aber mittlerweile bekommt man so eine Verletzung durch eine Eigenbluttherapie oder durch Hyaluron gut in den Griff“, erklärt Catalá-Lehnen. „Man kann die Selbstheilungskräfte des Knorpels aktivieren.“

Van Drongelen freut sich über Jungs Rückkehr

Im Volkspark aktiv war Jung auch schon während seiner Verletzungszeit. Während Papadopoulos einen Großteil seiner Reha in seiner Heimat absolvierte, blieb Jung fast die ganze Zeit in Hamburg, verpasste kein Heimspiel und hielt immer einen engen Draht zur Mannschaft. Erst am Montag ging er zusammen mit Julian Pollersbeck, Tatsuya Ito, Orel Mangala und Rick van Drongelen zusammen ins Akari in Uhlenhorst japanisch essen.

„Gidi ist auch neben dem Platz ein super Junge. Er hat uns die ganze Zeit unterstützt. Jetzt ist es super, dass er wieder da ist“, freute sich Rick van Drongelen, der gerne seinen alten Partner in der Innenverteidigung wieder an seiner Seite sehen würde. „Er weckt alle noch ein wenig mehr auf, weil die Konkurrenz nun höher ist.“

Zu gerne hätte Jung diesen Konkurrenzkampf auch gestern schon auf dem Platz ausgerufen. Doch Sturmtief „Benjamin“ machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Trainiert wurde lediglich im Fitnessraum – ehe am Abend noch ein Pflichttermin auf dem Programm stand. Neujahrsempfang mit den Sponsoren in den VIP-Räumlichkeiten. Nach dem Scheinwerferlicht ist vor dem Scheinwerferlicht.