Hamburg. Mit sechs Siegen und einem Remis legt Hannes Wolf die beste Startbilanz eines HSV-Trainers hin. Klopp und Tuchel adeln den 37-Jährigen.
Hannes Wolf ist ein Pragmatiker. Als er erfährt, dass er am Adventswochenende nach dem 1:0-Sieg gegen Paderborn auch noch zu einem Fanclubtreffen nach Lüneburg soll, entscheidet der Familienvater schnell: Ehefrau Julia und die beiden Töchter kommen mit. „Lüneburg ist doch ein schönes Städtchen in der Weihnachtszeit“, sagt er am Mittag nach dem letzten Heimspiel des Jahres, ehe es zunächst zum Fanclub Hanseaten und dann zum Lüneburger Weihnachtsmarkt geht.
Was im Volksmund „zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen“ heißt, würde Wolf selbst wahrscheinlich als „die bestmögliche Lösung“ bezeichnen. Diese sucht er eigentlich immer, egal wonach man ihn gerade fragt. Der HSV-Trainer warnt vor jedem Gegner – und relativiert nach jedem Sieg. „Ich weiß, dass es im Fußball genau zwei Geschichten gibt: oben und unten. Das Dazwischen interessiert keinen“, sagt der überzeugte Tiefstapler Wolf. „Dabei liegt die Wahrheit meistens genau in der Mitte. Aber das will keiner wissen.“
Der Sieg gegen Paderborn in Bildern:
Gefährliches Spiel: HSV besiegt Paderborn
So gut gestartet wie noch kein Trainer
Die Wahrheit also. Zu dieser gehört kurz vor Weihnachten aber auch, dass Hannes Wolf mit sechs Siegen und einem Unentschieden aus sieben Pflichtspielen so gut gestartet ist wie noch nie ein Trainer in der HSV-Geschichte. Es ist eine klassische „Oben“-Geschichte, mit der Wolf selbst nicht viel anfangen kann. Also macht der Coach das, was er immer macht, wenn er das Gefühl hat, zu sehr gelobt zu werden: er relativiert, ordnet ein, untertreibt. „Wir dürfen nicht den Boden verlieren“, gibt der 37-Jährige zu Bedenken. „In der Kabine ist meine Einordnung eine andere als in den Zeitungen.“
Und genau in dieser Kabine scheint Wolf hinter verschlossenen Türen tatsächlich den richtigen Ton zu treffen. „Hannes Wolf ist ein sehr klar und gut strukturierter Trainer, der dir konkret sagt, was er taktisch von dir erwartet“, berichtet der 18 Jahre alte Fiete Arp im Vereinsmagazin „HSVLive“. „Er ist ein sehr ruhiger und bodenständiger Typ, der das Gespräch sucht und auf die Spieler zugeht – ganz egal, ob es sich dabei um den Kapitän oder den Spieler Nummer 22 des Kaders handelt.“
Er spielt mit offenen Karten
Arps Lobhudelei überrascht insofern, als dass dem Talent eine ganz besondere Beziehung zu Wolfs Vorgänger Christian Titz nachgesagt wird. Und tatsächlich hatte genau an jenem Tag eine ganze Reihe von HSV-Spielern den entlassenen Titz zum Abschied noch einmal besucht, als zeitgleich Wolf im Volkspark öffentlich vorgestellt wurde.
Allzu lange brauchte Titz-Nachfolger Wolf allerdings nicht, um die Profis von seinem Führungsstil zu überzeugen. „Er spielt mit offenen Karten, ist fair und gibt einerseits Vertrauen und lässt gleichzeitig immer eine Tür offen“, sagt Arp. „Wer lange genug gute Leistungen im Training bringt, hat sich dann bei ihm auch einen Einsatz verdient.“
Bester Kronzeuge des wolfschen Prinzips ist derzeit Bakery Jatta. Während der Gambier unter Titz keine Rolle spielte, überzeugt er unter Wolf in fast jedem Spiel. Auf dessen beeindruckende Entwicklung angesprochen, erklärt Wolf lapidar: „Bakery hat sich seine Einsätze über das Training erarbeitet.“
Normal und unkompliziert
Anders als Titz hat es Wolf auch geschafft, das umstrittene Thema Lasogga geräuschlos abzuräumen. „Für den Trainer war klar, dass er 'Lasso‘ das Vertrauen schenkt. Pierre braucht dieses Vertrauen einfach, und wir brauchen ihn“, sagt sogar Lasogga-Konkurrent Arp. „Selbst wenn er 70 Minuten lang keinen Ballkontakt hat, kann er diesen einen entscheidenden Ballkontakt kurz vor Schluss noch haben, der dann sitzt und das Spiel entscheidet.“ Und tatsächlich: Vier Lasogga-Tore in vier Wolf-Spielen vor der Oberschenkelverletzung des Torjägers untermauern Arps Theorie.
Hört man sich im Club auch außerhalb der Kabine um, dann sind es vor allem die vielen Kleinigkeiten, die das große Ganze ausmachen. Wolf sei normal, sachorientiert und unkompliziert, sagt einer, der namentlich nicht genannt werden will, aber voll des Lobes ist. Der vierte HSV-Trainer im Jahr 2018 sei besonders unpolitisch, was in einem politischen Club wie dem HSV eine willkommene Abwechslung sei. So hätte unter Titz am Ende jede Entscheidung eine politische Dimension bekommen. Unter Wolf gehe es dagegen um – natürlich – „die bestmögliche Lösung.“
Großes Lob auch von Jürgen Klopp
Vielleicht ist Wolf selbst für den HSV ja genau das: die bestmögliche Lösung. Es gäbe jedenfalls mehr als genügend Gründe, ihm ein ausgezeichnetes Zwischenzeugnis auszustellen. Und wahrscheinlich gibt es beim HSV keinen, der es nach knapp zwei Wolf-Monaten anders sieht. Außer einem: Wolf selbst. Der macht noch vor seinem Besuch auf dem Lüneburger Weihnachtsmarkt auf Nachfrage sehr deutlich, dass er mit der Frage nach einer „Zwischenbilanz“ wenig bis gar nichts anfangen kann. „Das war ein schöner Abend am Freitag. Aber es war ja auch erst mein drittes Heimspiel. Ich kann ja jetzt nicht das ganze Jahr nach drei Heimspielen im Volkspark zusammenfassen“, antwortet Wolf ein wenig unwirsch. Außerdem seien er und die Mannschaft ja auch noch lange nicht fertig. „Wir haben ja noch zwei Spiele. Weiter geht’s. Jetzt bereiten wir uns auf Duisburg vor.“
Das nächste Spiel ist immer das schwerste Spiel. Besser hätte es Altmeister Sepp Herberger auch nicht formulieren können. Dabei würde sich Wolf natürlich niemals selbst mit den ganz Großen vergleichen. Dass sich die ganz Großen aber über ihn auslassen, kann er dann doch nicht verhindern. „Hannes ist ein außergewöhnliches Talent, das inzwischen alle klassischen Schritte einer Trainerkarriere gegangen ist. Er besitzt klare Ideen, war und ist immer lernbereit. Ich bin sicher, dass er seinen Erfolgsweg weitergehen wird“, lobte Liverpools Jürgen Klopp seinen früheren Dortmund-Kollegen in der „Stuttgarter Zeitung“.
Und auch Paris Saint-Germains Thomas Tuchel spielt die große Klaviatur der Anerkennung: „Wir haben Hannes immer angemerkt, wie tief er sich in seine Spieler hineinversetzt und mit wie viel Energie und Neugier er den Trainerjob lebt. Das war von Beginn an außergewöhnlich.“
Mehr als außergewöhnlich ist es, dass Wolf nach seinem sechsten Sieg im siebten Spiel vor allem gefragt wird, was er tun könne, dass man in den kommenden Spielen nicht mehr zittern müsse. „Wie kann irgendjemand in Hamburg denken, dass die Spiele leicht sind?“, stellt Wolf kopfschüttelnd die Gegenfrage. Schließlich gehe es doch immer nur um eines: die bestmögliche Lösung.