Hamburg. Auch im siebten Spiel unter Hannes Wolf bleiben die Hamburger ungeschlagen. Aber warum müssen sie gegen Paderborn wieder zittern?
Es lief am Freitagabend die vierte Minute der Nachspielzeit, als der erst spät eingewechselte Ben Zolinski plötzlich ganz allein vor HSV-Torhüter Julian Pollersbeck auftauchte – und diesen den Ball mitten in die Arme schoss. Pollersbeck fing den Ball – und schoss ihn nach dem direkt folgenden Schlusspfiff voller Ekstase auf die Tribüne. 1:0 hatte seine Mannschaft das Spiel gegen den SC Paderborn gewonnen und damit die Tabellenführung vor dem 1. FC Köln verteidigt. „Spitzenreiter, Spitzenreiter“, riefen die versöhnten Fans, die in diesem Jahr so viel durchmachen mussten.
Mit einem standesgemäßen Tusch wurde also auch das letzte Heimspiel des Jahres beschlossen. Und trotz des 1:0-Siegs gegen Paderborn wird es kaum zwei Meinungen darüber geben, dass die Heimbilanz im Volkspark im kommenden Jahr dringend verbessert werden muss. Von insgesamt 17 Heimspielen konnte der HSV gerade einmal sieben gewinnen. Dabei unvergessen bleibt wohl der 2:1-Sieg im letzten Bundesliga-Heimspiel gegen Borussia Mönchengladbach, als der erste Abstieg der Clubgeschichte endgültig besiegelt wurde.
Das alles: lange her. Am Freitagabend, sieben Monate nach dem letzten Auftritt in der Bundesliga, sorgte die Mannschaft des nun auch nach sieben Pflichtspielen unbesiegten Trainers Hannes Wolf vor 49.449 Zuschauern immerhin dafür, dass man sich durchaus berechtigte Hoffnungen auf eine baldige Rückkehr in die Eliteklasse des deutschen Fußballs machen darf. Nur einen Tag nach Nikolaus hatten sich Hamburgs Profis offenbar fest vorgenommen, ihre Anhänger im letzten Heimspiel des Jahres reichlich zu beschenken.
So dauerte es gerade einmal handgestoppte 26 Sekunden, ehe Khaled Narey erstmals von Paderborns Hintermannschaft zur Bescherung geben wurde, aber genauso dankend ablehnte wie Kollege Lewis Holtby (3.) und noch einmal Narey (4.). Angesichts der eher dürftigen Heimbilanz in diesem Jahr musste sich manch ein Zuschauer verwundert die Augen reiben und seinen Sitznachbarn fragen: Ja, ist denn heut schon Weihnachten?
Nareys Tor – wie ein Weihnachtsgedicht
"Wir sind sehr gut ins Spiel gekommen und haben viel Druck gemacht", sagte Wolf. Doch obwohl es in Wahrheit noch 17 Tage bis zum Heiligen Abend waren, kam nach insgesamt zehn gespielten Minuten dann tatsächlich Festtagsstimmung auf: Ballgewinn Bakery Jatta, Ballstreichler von Aaron Hunt auf Ballverteiler Orel Mangala und schließlich Ballaballa von Narey. Ein Führungstor wie ein Weihnachtsgedicht.
Und an dieser Stelle darf dann auch der Zusatz „ausgerechnet“ nicht fehlen. Denn ausgerechnet Nareys fünfter Saisontreffer war tatsächlich der erste Heimtreffer des Neuzugangs – und gleichzeitig die Kirsche auf der Sahne der mit Abstand besten Anfangsphase im Heimspieljahr 2018. Das einzige Problem an dem bunten Feuerwerk zu Beginn des Spiels: es verpuffte nach dem hochverdienten Führungstreffer.
Lasoggas vorweihnachtlicher Wunsch
Zwar dominierten die Hamburger auch den Rest der ersten Halbzeit, konnten sich dabei aber keine wirklichen Torchancen mehr herausspielen. Und Paderborn? Der mit 33 Treffern zweitbeste Sturm der Zweiten Liga, dessen Pressing und Gegenpressing direkt vor dem Anpfiff noch einmal von HSV-Trainer Wolf bei Sky hochgelobt wurde, verzichtete nahezu komplett auf Offensivbemühungen. Lediglich ein Freistoß von Standardexperte Philipp Klement an die Oberkante der Latte sorgte für so etwas Ähnliches wie Torgefahr (16.).
„Man hat gesehen, dass wir das Spiel über weite Strecken dominiert haben und gut im Griff haben. Paderborn hat sich ein bisschen hinten reingestellt und auf Konter gelauert, wie die anderen Gegner hier auch“, zog der noch immer am Oberschenkel verletzte Pierre-Michel Lasogga ein zufriedenes Halbzeitfazit. Sein Post-Nikolaus-Wunsch: „Jetzt sollten wir nachlegen, damit wir nicht zittern müssen.“
Zu doof, dass Lasoggas Kollegen in der Halbzeitpause den Worten des verhinderten Kollegen bei Sky nicht gelauscht haben. Denn der HSV startete zwar ähnlich schwungvoll in den zweiten wie in den ersten Durchgang, belohnte sich diesmal allerdings nicht mit dem erhofften Tor Nummer zwei. Weder Jatta (54.) noch Lasogga-Ersatz Hee-Chan Hwang (57.) und auch ein weiteres Mal Narey (71.) konnten ihre Riesenchancen nutzen, sodass der HSV trotz drückender Überlegenheit seinen Zuschauern die obligatorische Heimspielzitterpartie nicht ersparte.
Hunt kritisiert Chancenverwertung
"Wir haben nach der Führung aufgehört, Fußball zu spielen", kritisierte Kapitän Hunt: "In der zweiten Halbzeit müssen wir mindestens zwei Tore schießen, wir stehen dreimal allein vorm Tor. Wenn wir nur eine dieser Chancen nutzen, ist das Spiel durch."
Zehn Minuten vor Schluss kam schließlich, was in solchen Spielen so oft kommt: Paderborns einhundertprozentige Chance zum Ausgleich. Ob der völlig alleinstehende Mohamed Dräger bei seinem Schuss in den Nachthimmel aus sieben Metern aber möglicherweise daran dachte, dass Paderborn-Trainer Steffen Baumgart seit Kindheit großer HSV-Fan ist, bleibt sein Geheimnis.
Wolf: Keiner sollte sich über knappe Siege ärgern
Ein vorweihnachtliches Geschenk bereite Baumgarts Kollege Wolf kurz vor Schluss Bakery Jatta, als er den besten Mann des Abends gegen Fiete Arp (der auch noch eine Riesenchance vergab) austauschte und ihm so den verdienten Sonderapplaus gewährte.
Und so darf man es durchaus als Ironie der Fußballgeschichte bezeichnen, dass das schwierige HSV-Heimspieljahr, das mit einer 0:2-Niederlage gegen den 1. FC Köln (und der Entlassung von Wolf-Vorvorvorgänger Markus Gisdol) vor elf Monaten begann, nun mit einem versöhnlichen Sieg gegen Paderborn endete. Und trotz Kölns 3:1-Sieg in Regensburg mit der Verteidigung der Tabellenführung, dank einer Serie von nun zehn Ligaspielen ohne Niederlage.
"Wir haben großen Respekt vor der Liga und großen Respekt vor unseren Gegnern. Daher soll sich bitte keiner über knappe Siege ärgern", sagte Wolf. Und Siegtorschütze Narey prophezeite, "dass in dieser Saison auch noch einige enge Spiele kommen". In diesem Sinne: Ein frohes Fest!