Hamburg. Der neue HSV-Trainer verzichtet im Gegensatz zu Vorgänger Titz auf eine übergeordnete Spielidee – und macht sein Team variabler.
Wenn sich HSV-Trainer Hannes Wolf heute auf das kommende Spiel am Sonnabend (13 Uhr/Sky) beim FC Ingolstadt vorbereitet, wird er wieder das Programm „Taktik-Feed“ starten. In dieser Online-Datenbank hat er Zugriff auf alle Spiele der Zweiten Liga. Für die Gegner-Analyse nutzt er die sogenannte Taktik-Kamera. Aus dieser Perspektive kann Wolf mehr Erkenntnisse ziehen als durch das gewöhnliche Fernsehbild. „Es geht vor allem um die Räume. Ich kann so auch die ballentfernten Spieler sehen“, sagt Wolf.
Der HSV-Coach nutzt dieses digitale Hilfsmittel auch für die Analyse der eigenen Spiele. Und wer sich die bisherigen Partien der Hamburger unter Wolf anschaut, der wird schnell feststellen, dass der HSV unter dem neuen Trainer taktisch variabler geworden ist. „Wir haben jetzt die eine oder andere Variante drin. Das ist vielleicht der größte Unterschied in den paar Wochen, in denen er jetzt hier ist“, sagte Kapitän Aaron Hunt nach dem 2:2 am Montag gegen Union Berlin über den Nachfolger von Christian Titz.
Unter Wolfs Vorgänger setzte der HSV auf die Spielidee des dominanten Ballbesitzfußballs. Während der Torhüter eine Art Libero spielte, schoben die Innenverteidiger im Spielaufbau breit nach außen, die Außenverteidiger wiederum standen sehr hoch. Was in der Bundesliga gegen spielstärkere Gegner noch so gut funktionierte, wirkte gegen die tief stehenden in der Zweiten Liga aber zunehmend ausrechenbar. Titz musste auch deshalb gehen, weil er von seiner Idee nicht abrücken wollte und der Vorstand das Vertrauen in dessen taktische Vielfältigkeit verlor.
Keine übergeordnete Spielidee
Dass Wolf nicht viel von einer übergeordneten Spielidee hält, machte er gleich in seiner ersten Pressekonferenz als HSV-Trainer deutlich. Drei Wochen später sagte er im Abendblatt-Interview: „Du kannst dir kein System ausdenken, mit dem du jeden Gegner aushebelst. So ein Wundersystem gibt es nicht. Ich schaue immer, was zu einer Mannschaft und zur Situation passt.“
Dennoch hat Wolf in der Positionierung der Spieler einiges verändert. Neben dem wieder tiefer stehenden Torhüter Julian Pollersbeck sind vor allem die Außenverteidiger von der Umstellung betroffen. Besonders deutlich wurde das in der ersten Hälfte gegen Union Berlin. Bei Ballbesitz rückten Linksverteidiger Douglas Santos und Rechtsverteidiger Gotoku Sakai auf die zentralen Halbpositionen im defensiven Mittelfeld, um dort eine Überzahl zu schaffen – sowohl bei Ballbesitz als auch bei Ballverlust. „Das ist für uns eine Variante, weil Douglas und Gotoku zwei Spieler sind, die in guten Momenten das Zentrum aufspielen können. Das ist für den Gegner dann schwer zu verteidigen“, erklärte Wolf. „Beide haben große Qualitäten in den Halbräumen, die müssen nicht immer an der Außenlinie kleben. Sie sollen die Positionen flexibel spielen.“
HSV holt Tabellenführung zurück:
Wolfs größte Qualität im taktischen Bereich liegt wohl darin, dass er während des Spiels die Positionierung immer wieder korrigiert. Gegen Union hatte die Verdichtung im Zentrum durch die Außenverteidiger in weiten Teilen der ersten Halbzeit nicht funktioniert. Die Räume wurden zu eng. Wolf reagierte und stellte Santos wieder stärker Richtung Außenlinie. In der zweiten Halbzeit bewegten sich die Spieler in den Positionen variabler. „Dadurch sind wir nicht so ausrechenbar für unsere Gegner“, sagte Aaron Hunt.
Größere Freiheiten
Insbesondere dem Kapitän tat es gut, mit größeren Freiheiten zu spielen. Hunt ärgerte sich zwar über seine frühe Auswechslung, lobt aber insgesamt das größere Variantenreichtum im HSV-Spiel. „Wir spielen nicht auf Teufel komm raus Ballbesitzfußball“, antwortete Hunt angesprochen auf die taktischen Veränderungen unter Wolf.
Ähnlich hatte sich jüngst schon Verteidiger Rick van Drongelen geäußert. „Vielleicht spielen wir jetzt etwas klarer. Das heißt nicht, dass es unter Christian Titz schlechter war – nur eben anders. Manchmal vielleicht etwas komplexer“, sagte der Niederländer der „Mopo“. Vor allem ist es jetzt variabler, weil Wolf seine Ausrichtung dem Gegner anpasst. Gegen Union hatte der HSV 63 Prozent Ballbesitz, spielte 534:313 Pässe – Werte wie unter Titz. In Aue und gegen Köln hatten die Hamburger dagegen zuvor weniger Spielanteile – und entschieden die Partien vor allem durch ein effektives Pressing.
Trainerwechsel erschwert Analyse
HSV-Coach Wolf dürfte jedoch bewusst sein, dass sich die Bewertung seiner taktischen Variabilität schnell drehen kann. Auch Titz wurde zunächst für seine neuartige Spielidee gefeiert. Am Ende warf man ihm vor, keinen Plan B zu haben. In Stuttgart lief es für Wolf genau andersherum. Als der Erfolg in den Wochen vor seiner Entlassung ausblieb, wurde ihm die fehlende Spielidee angekreidet – wie nun auch seine missglückte Umstellung auf eine Fünferkette in der Schlussphase gegen Union.
Am Sonnabend in Ingolstadt wird sich Wolf wieder etwas Neues überlegen. Die taktische Vorbereitung erschwert jedoch der Trainerwechsel. Weil noch gar nicht klar ist, wer Ingolstadt am Sonnabend betreut, ist die Analyse der jüngsten Spiele kaum etwas wert – ob mit oder ohne „Taktik-Feed“.