Hamburg. Hamburgs Koreaner spricht im ersten großen Interview über körperliche Grenzen, Bulgogi und einen Sieg über Ito und Jatta.
Der Gesprächstermin mit Hee-Chan Hwang beginnt mit einer mehrfachen Verbeugung. Die Abendblatt-Übersetzerin Yeri Han, die bei Hwangs erstem großen Interview seit seinem Wechsel von Red Bull Salzburg nach Hamburg unterstützend dabei ist, und der HSV-Fußballer stehen sich auf der Geschäftsstelle im Volksparkstadion gegenüber und verbeugen sich immer wieder. Erst als die ungewöhnliche Begrüßungszeremonie beendet ist, gibt Hwang den restlichen Anwesenden dann ganz profan die Hand.
Am letzten Tag der Wechselfrist war der koreanische Nationalspieler für ein Jahr auf Leihbasis zum HSV gewechselt – und hat dabei für ziemlich viel Aufsehen in der Szene gesorgt. Ganz Fußball-Deutschland fragte sich: Wie kann es sein, dass sich der HSV so einen guten Fußballer angelt. Zweieinhalb Monate später ist Hwang noch immer ein ziemlich guter Fußballer, dessen Körper allerdings so langsam an seine Grenzen stößt. Ein Gespräch über Belastung, das gefühlte Alter und Schmerztabletten.
Herr Hwang, die langweiligste aller Interview-Einstiegsfragen: Wie geht es Ihnen?
Hee-Chan Hwang: Da habe ich nur eine langweilige Antwort: Gut.
Hintergrund der Frage ist, dass Sie in den vergangenen zwei Wochen mit hartnäckigen Adduktorenproblemen zu kämpfen hatten ...
Das stimmt. Es ist schon sehr viel besser geworden, aber immer noch nicht perfekt. An diesem Freitag muss ich noch mal einen Härtetest absolvieren, um zu schauen, ob es für Aue zu 100 Prozent schon wieder reicht.
Wahrschein gibt es keinen HSV-Spieler, der zum einen in diesem Kalenderjahr so viele Spiele absolviert hat und der zum anderen so viel geflogen ist. Macht sich die Dauerbelastung langsam bemerkbar?
Ich fühle mich ab und an schon mal etwas müde, aber eine Pause will ich nicht machen. Ich freue mich über jedes Spiel, das ich spielen kann.
Müssen Sie noch lernen, auf den eigenen Körper zu hören?
Daran denke ich gar nicht. Die Belastung ist zwar manchmal sehr hoch, aber ich bin ja auch sehr jung. Ich denke schon, dass mein Körper die ganzen Spiele verkraftet. Verletzen kann man sich im Fußball immer, aber ich würde schon sagen, dass ich meinen Körper kenne.
Jeder Spieler will viel spielen. Durch WM und Asienspiele hatten Sie aber auch nur zehn Tage Urlaub im Jahr 2018. Muss man nicht als Profi langfristig denken und den eigenen Körper, sein Kapital, schützen?
Natürlich muss man das. Aber klar ist doch auch, dass der Körper eines Anfang 20-Jährigen besser regeneriert als der Körper eines Mitte 30-Jährigen. Ich habe jedenfalls das Gefühl, dass ich viele Spiele machen kann und will, weil ich noch jung bin und mir Spielpraxis hilft, mich weiterzuentwickeln.
Sie sind gerade mal 22 Jahre alt. Wie alt ist Ihr gefühltes Alter?
(überlegt lange) Gute Frage. Nach einem anstrengenden Spiel fühle ich mich manchmal schon älter als 22 Jahre. Aber ehrlich gesagt habe ich mir darüber, wie alt ich mich fühle, noch keine Gedanken gemacht.
Der frühere HSV-Star Zé Roberto, der seine Karriere mit 43 Jahren beendete, hat mal gesagt, dass man als Fußballer eigentlich nie schmerzfrei ist.
Da hat er schon recht. Zum Fußball gehören Schmerzen. Aber natürlich im erträglichen Maße.
Nehmen Sie Schmerztabletten, um ein Spiel durchzuhalten?
Nein, im Normalfall nehme ich nur die für Profisportler üblichen Nahrungsergänzungsmittel und Vitamine.
Die vielen Spiele sind das eine, die langen Reisen das andere. Nächste Woche müssen Sie zum Beispiel mit Südkorea in Australien spielen. Können Sie im Flugzeug eigentlich schlafen?
Leider überhaupt nicht. Die langen Reisen sind tatsächlich ein Problem. Die Flüge schlauchen ganz schön – und wirklich regenerieren kann man im Flugzeug natürlich auch nicht.
Immerhin dürfte es in der ersten Klasse einigermaßen angenehm sein.
Das wäre schön. Aber zu Länderspielen fliege ich in der Businessklasse. Weil der Flug für die Regeneration nicht optimal ist, versuche ich aktiv dagegenzusteuern.
Indem Sie im Flugzeug joggen gehen ...
(lächelt) Sie lachen, aber ich mache tatsächlich Stretchübungen im Gang, damit meine Beine in Bewegung bleiben. Die anderen Fluggäste schauen dann immer ein wenig verdutzt. Aber in koreanischen Flugzeugen werde ich auch manchmal erkannt, dann wundern sich die Leute nicht wirklich.
Haben Sie ein Miles-and-More-Konto?
Habe ich. Ich kann Ihnen aber gar nicht sagen, wie viele Meilen ich mittlerweile gesammelt habe. Ich habe das tatsächlich noch nie kontrolliert.
Vielleicht können Sie Ihre Meilen über Weihnachten einlösen. Nach dem letzten Spiel am 23. Dezember in Kiel haben Sie endlich mal zehn Tage am Stück frei …
… hab ich leider nicht. Im Januar steht ja der Asien-Cup auf dem Programm. Ich muss also direkt nach dem Kiel-Spiel zur Nationalmannschaft.
Sie feiern Weihnachten bei der Nationalmannschaft statt zu Hause?!
So ist das nun mal. Weihnachten ist zwar auch in Südkorea wichtig, aber der Asien-Cup ist auch wichtig.
Hoffentlich sehen das Ihre Eltern ähnlich. Die sind ja gerade zurück nach Südkorea geflogen. Sie sind also erstmals in Ihrer Karriere ganz allein auf sich gestellt. Kommen Sie klar?
Ich denke schon. Aber da meine Eltern erst am Mittwoch in die Heimat geflogen sind, kann ich diese Frage so wirklich erst in ein paar Wochen beantworten. Aber machen Sie sich keine Sorgen, ich werde höchst wahrscheinlich nicht verhungern.
Kochen Sie selbst?
Klar. Ich war in Salzburg auch schon mal für eine kurze Zeit allein, da habe ich es mir selbst beigebracht. Ich habe Gerichte bei Naver gesucht, das ist so eine Art südkoreanisches Google, und dann habe ich die einfach ausprobiert.
Und? Schmeckt‘s?
Ich finde schon. Und sogar meine Mutter hat es geschmeckt. Kimchi zum Beispiel. Oder Bulgogi, das ist ein würziges Fleischgericht aus Korea.
Was machen Sie eigentlich, wenn Sie nicht gerade trainieren oder kochen?
Ich muss zugeben, dass ich ziemlich gerne koreanische Serien gucke, sogenannte K-Serien. Aber ich habe mir fest vorgenommen, nun auch deutsche Serien zu schauen, um ein bisschen besser Deutsch zu lernen.
Nach unserem Interview haben Sie mit Tatsuya Ito und Bakery Jatta Deutschunterricht. Verraten Sie uns, wer von Ihnen drei schon am besten Deutsch spricht.
(Hwang antwortet erstmals auf Deutsch) Ich. (lacht)
Das Gespräch endet wie es angefangen hat: mit mehreren Verbeugungen. Wir haben so viel über Belastung und Regeneration gesprochen, sagt Übersetzerin Han und fragt, ob Hwang nach dem Deutschunterricht denn noch ein Mittagsschläfchen halte. „Ich bin kein Mittagsschlaf-Typ. Nur an Spieltagen“, antwortet der HSV-Profi. Und wie gefällt es ihm in seiner neuen Wahlheimat Rissen, will Han noch wissen. Ruhig sei es dort, sagt Hwang. „Vielleicht sogar ein bisschen zu ruhig.“