Hamburg. Das Reich der Mitte gilt für viele Clubs noch immer als sprudelnde Geldquelle. Das Anzapfen ist allerdings kein Selbstgänger mehr.
Wahrscheinlich gibt es kaum ein Spiel in der jüngeren HSV-Vergangenheit, über das mehr berichtet wurde als über die Partie gegen Jahn Regensburg. 0:5 verloren die Hamburger, und Trainer Christian Titz stand fortan unter Dauerbeschuss. Dass sich ausgerechnet im Rahmen dieses so destruktiven Spiels auch durchaus Zukunftsweisendes im Volkspark ereignete, hatte an jenem Wochenende kaum einer mitbekommen.
„Ich bin froh, dass der HSV ein Mosaiksteinchen setzt in der Partnerschaft zwischen Deutschland und China“, hatte Hamburgs Staatsrat Christoph Holstein nur wenige Minuten vor dem Anpfiff in kleiner Runde im HSV-Museum geschwärmt. Den HSV, da war sich die Runde um Holstein, HSV-Chef Bernd Hoffmann und dem chinesischen Generalkonsul Sun Congbin einig, dürfe man mit Fug und Recht sogar als echten Vorreiter bezeichnen.
Echt jetzt? Ausgerechnet der HSV, der gerade aus dem Konzert der Großen in die Zweite Liga abgestiegen war und sich nun eher über Sandhausen und Heidenheim als über sein Asiengeschäft Gedanken machen muss, soll also so eine Art China-Vorzeigeclub sein?
Kooperation im Nachwuchs soll ausgebaut werden
Nun ja, die Wahrheit liegt auch im Bezug auf das Reich der Mitte natürlich in der Mitte. Denn vor der epischen Niederlage gegen Regensburg wurde im Museum lediglich vorgestellt, dass ab sofort alle Museumstafeln und Bildbeschreibungen auch in chinesischer Sprache angeboten werden. Die HSV-Vergangenheit ist damit China-kompatibel. Viel wichtiger für die Club-Verantwortlichen ist allerdings, dass es auch eine gemeinsame HSV-China-Zukunft gibt. Und nach Abendblatt-Informationen wird genau daran derzeit unter Hochdruck hinter den Kulissen gearbeitet.
„Wir befinden uns in der Tat in sehr guten Gesprächen zu einer Erweiterung der bestehenden Kooperation im Bereich der Nachwuchsförderung“, sagt Florian Riepe, dessen Büro nur wenige Meter Luftlinie vom Museum entfernt liegt. Der HSV-Direktor für Marketing und internationale Märkte, der sich vor allem um die seit zwei Jahren laufende Kooperation zwischen dem HSV und dem chinesischen Topclub SIPG Shanghai kümmert, ist guter Dinge, dass der in Kürze auslaufende Vertrag verlängert wird, wobei in Zukunft die Priorisierung im Nachwuchsbereich liegen soll. „Der Fokus der Zusammenarbeit zwischen dem HSV und SIPG liegt auch zukünftig klar auf der Nachwuchsförderung und der Nachwuchsarbeit. Wir sind dazu weiterhin im regelmäßigen Austausch mit den SIPG-Verantwortlichen.“
Was Riepe öffentlich nicht sagt: Zu der 2016 abgeschlossenen Kooperation, die dem HSV bis Ende dieses Jahres einen siebenstelligen Gewinn einbringen soll, gehörten neben der Nachwuchsförderung vor allem die Bereiche Marketing und Stadion. Diese Teilbereiche dürften nun wegfallen, wodurch der HSV in Zukunft wohl eher einen überschaubaren Gewinn einstreichen dürfte. „An Habe gewinnen heißt an Sein verlieren“, lautet ein chinesisches Sprichwort. In Deutschland würde man wohl eher sagen: „Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach.“
Zeiten des schnellen Geldes sind vorbei
Tatsächlich gilt China noch immer als einer der größten Zukunftsmärkte, für den Fußballmanager nur allzu gerne auf chinesische Tauben- und Spatzenjagd gehen würden. „Jede größere Fußballnation versucht momentan, das eigene Know-how in den unterschiedlichsten Formen in China zu platzieren“, sagt Riepe, schränkt aber ein: „Es wird oftmals die kulturelle Komplexität bei der tatsächlichen Umsetzung unterschätzt. Hier wird es spannend zu sehen sein, wer dafür wirklich nachhaltige Lösungswege entwickelt.“
Längst ist die halbe Bundesliga in China aktiv. Erst in der vergangenen Woche hat der VfB Stuttgart eine Partnerschaft mit dem Erstligisten Guangzhou bekannt gegeben, Schalke 04 arbeitet seit Ende April mit dem chinesischen Spitzenverein Hebei China Fortune FC zusammen. Die Königsblauen lassen 24 ihrer Jugendtrainer in China für ein Jahr nach deutschen Maßstäben trainieren. Auch HSV-Zweitligakonkurrent 1. FC Köln hat im Jugendbereich eine Partnerschaft mit dem FC Liaoning geschlossen. Und der FC Bayern München hat erst kürzlich die dritte Fußballschule im Reich der Mitte eröffnet.
Doch die Zeiten, in denen China für das ganz schnelle Geld im Fußball stand, sind mittlerweile wieder vorbei. „Nach wie vor ist ,erfolgreicher Fußball‘ eines der zehn chinesischen Staatsziele. Entsprechend viel Energie wird in die Umsetzung dieses Zieles gesteckt“, sagt Riepe. „Man hat aber auf chinesischer Seite gelernt, dass überteuerte Fußballlegionäre und hochrangig unterzeichnete Memoranden kein Garant für die Zielerreichung sind. Entsprechend mehr Tiefe wird bei der jeweilig angebotenen Hilfestellung eingefordert.“
Geschichte über chinesischen HSV-Einstieg war eine Ente
Auch der FC St. Pauli hatte sich darum bemüht, einen Fuß in die Tür nach China zu bekommen. Vor gut einem Jahr war St. Paulis Technischer Direktor Ewald Lienen mit der Fragestellung in die 2,4-Millionen-Einwohner-Stadt Baotou in die Innere Mongolei gereist, wie man an einem neuen Schul- und Trainingszentrum Strukturen schafft, dass man neben einer guten schulischen Ausbildung auch ein qualifiziertes Training mit ausgebildeten Trainern hinbekommen kann. Mehr als ein Gedankenaustausch ist aus der 14.000-Kilometer-Reise aber nicht entstanden.
Beim HSV hatte man da mehr Glück. Noch in diesem Jahr werden drei Standorte in China eröffnet, die das erfolgreiche Konzept der HSV-Fußballschulen importiert haben. „Bis 2020 rechnen wir mit mindestens 20 Schulen, die unter dem HSV-Dach Kindern spielerisch den Spaß am Fußball vermitteln sollen“, sagt Projektleiter Riepe.
Wie groß der Spaß von potenziellen Investoren aus China sein wird, die mittelfristig bei einem deutschen Proficlub einsteigen wollen würden, bleibt dagegen abzuwarten. „Wir werden sehr bald den Einstieg von Chinesen bei einem Bundesliga-Club sehen“, hatte Augsburgs Clubchef Klaus Hofmann bereits vor zwei Jahren orakelt. Auch „Spiegel Online“ hatte Anfang dieses Jahres spekuliert, dass SIPG und der HSV bereits über einen Anteilsverkauf verhandelt hätten. Letztendlich war die Geschichte über das schnelle Geld aus China aber nur eine Ente. Eine Peking-Ente. Oder besser: eine Shanghai-Ente.