Hamburg. Kahn hatte das Torwartspiel von Pollersbeck als „sensationell“ bezeichnet. U-21-Europameister spricht über seine Entwicklung.
Wer sich das neue Torspiel des HSV in Zahlen anschauen möchte, findet im Internet interessante Statistiken. In gleich zwei wichtigen Rubriken liegt ein HSV-Spieler ganz vorne. Julian Pollersbeck führt sowohl bei den Ballkontakten (299) als auch bei den angekommenen Pässen (185) die Ligawertung vor den Kölnern Jonas Hector und Marcel Risse deutlich an – und das als Torhüter. Pollersbeck liebt das riskante Spiel. Im Interview spricht der 24-Jährige über die extremen Ausschläge im Leben eines jungen Torhüters.
Hamburger Abendblatt: Herr Pollersbeck, können Sie nach Spielen wie am Montagabend gut schlafen?
Julian Pollersbeck: Nach Abendspielen kann ich immer schwer einschlafen. Bis dein Körper mit dem Adrenalin wieder klarkommt, ist es meistens schon 2 Uhr nachts. Dann liegt man da wach im Bett. Nach Siegen wie gegen Bielefeld geht es grundsätzlich besser. Nach dem Kiel-Spiel konnte ich nur ganz schwer einschlafen. Das hat mich extrem beschäftigt. Du haderst und überlegst, woran es gelegen hat. Das Gefühl kann auch mal ein paar Tage andauern.
Haben Sie eine besondere Technik zum Einschlafen?
Pollersbeck: Ich schaue mir mit meiner Freundin immer ein paar Folgen „Two and a Half Men“ an. Wir haben zwar alle Folgen schon mehrmals gesehen, aber gerade deshalb kann ich dann die Augen schließen und weiß, welche Bilder gerade laufen. So schlafe ich am besten ein.
Sind Sie jemand, der noch viel über die Spiele oder Fehler nachdenkt?
Pollersbeck: Grundsätzlich bin ich ein Typ, der Dinge schnell abhaken kann. Wenn ich eine Flanke unterlaufe, mache ich mir keine zu großen Gedanken, weil ich weiß, dass ich es eigentlich kann. Wenn es Fehler sind, an denen ich grundsätzlich arbeiten muss, suche ich den Kontakt zum Torwarttrainer um mit ihm daran zu arbeiten. Ich versuche immer mein eigenes Spiel zu reflektieren. Dabei hilft mir auch mein Vater.
Wie kann Ihr Vater Ihnen dabei helfen?
Pollersbeck: Er hat selbst höherklassig gespielt und hatte als Libero das Feld immer vor sich. Dadurch konnte er mir schon in jungen Jahren viel mitgeben, zum Beispiel im Bereich Antizipation. Als ich mich entschlossen habe, Torwart zu werden, hat er sich in die Materie eingearbeitet. Er ist immer im Stadion und guckt sich jedes Spiel hinterher noch einmal in voller Länge an. Danach telefonieren wir und analysieren mein Spiel. Er hat dann alle wichtigen Szenen mit Minutenangaben auf seinen Zetteln.
Und was steht dort in der Regel drauf?
Pollersbeck: Er kann sehr kritisch sein, wenn ihm etwas auffällt. Das Lob muss man sich bei ihm sehr verdienen. Wenn ich ihn frage, wie er mein Spiel fand und er antwortet mit „okay“, dann weiß ich, dass ich ein richtig gutes Spiel gemacht habe (lacht).
Verteidigt er Sie auch, wenn Sie wie etwa von Ihrem Ex-Trainer Gerry Ehrmann öffentlich kritisiert werden?
Pollersbeck: Das sind Dinge, die man nicht beeinflussen kann. Mich hat die Kritik nur wenig berührt. Jemand der mich nicht täglich beobachtet oder mein Leben hier in Hamburg nicht kennt, auf dessen Meinung gebe ich nicht besonders viel.
Es gab zu Ihrer Anfangszeit in Hamburg auch Berichte über Ihr Privatleben. Fühlen sie sich in Hamburg stärker beobachtet?
Pollersbeck: Das würde ich so nicht sagen. Ich habe insgesamt schon das Gefühl, dass ich in Hamburg in Ruhe leben kann. Das hatte ich extremer erwartet. Wenn mich im Restaurant jemand beim Schnitzel-Essen fotografiert, ist mir das egal. Ich mache ja keine verbotenen Sachen.
Sie haben neulich gesagt, es hätte Ihnen gut getan, mal auf die Schnauze zu fliegen. Wie haben Sie das gemeint?
Pollersbeck: Es war ja kein einfaches erstes Jahr für mich beim HSV. Zwischenzeitlich war ich unter Markus Gisdol die Nummer drei. Daraufhin habe ich einfach noch mehr gemacht. Das hat ja auch Markus Gisdol schon honoriert, als er mich ins Tor gestellt hat.
Wollte Gisdol Sie kitzeln, als Sie auf die Tribüne mussten?
Pollersbeck: Das kann sein. Wir haben darüber nie gesprochen. Man muss die Entscheidungen des Trainers immer akzeptieren. Ich habe mich nicht herunterziehen lassen. Wahrscheinlich wollte der Trainer, dass ich eine Reaktion zeige. Ich habe mich jedenfalls nicht von meinem Weg abbringen lassen.
Macht Ihnen dieses Torwartleben als Grenzgänger Spaß?
Pollersbeck: Das kann man schon so sagen. Ich freue mich auch auf Momente wie ein Elfmeterschießen. Diesen Nervenkitzel liebe ich, das war schon als Kind so. Du musst als Torwart psychisch stark sein. Und lernen, dass Fehler dazugehören.
Lernt man im steigenden Alter, Fehler schneller zu verarbeiten?
Pollersbeck: Man lernt vor allem sich selbst besser kennen. Man wächst mit den Fehlern. Es ist wichtig auch Fehler zu machen, sonst lernt man nicht dazu. Mit 24 bin ich aber immer noch am Anfang. Ich habe ja erst vor zwei Jahren mein erstes Zweitligaspiel gemacht. In dieser Zeit konnte ich schon viele Lehren ziehen.
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Lesen Sie Kommentare über Sich in Sozialen Netzwerken?
Pollersbeck: In der Regel nicht, das sind einfach zu viele. Anonyme Kritik hat auch keinen Wert für mich. Das kann ich gut trennen.
Und wie sieht es mit Zeitung aus?
Pollersbeck: Wenn ich zum Bäcker gehe, kaufe ich mir schon mal eine Zeitung. Es wird sie freuen: Ich habe auch ein Digital-Abo beim Abendblatt abgeschlossen. Neulich kam die Monatsrechnung ins Haus (lacht).
Wenn Sie viel lesen, bekommen Sie auch extremes Lob mit. Zuletzt hat Oliver Kahn am Abend des WM-Finals live im ZDF das neue Torwartspiel des HSV als „sensationell“ bezeichnet. Was löst das bei Ihnen aus?
Pollersbeck: So ein Lob freut mich natürlich. Ich versuche aber sowohl positive als auch negative Kritik nicht zu sehr an mich heranzulassen. Als Spieler bekommt man immer irgendwie mit, wenn du öffentlich kritisiert oder gefeiert wirst. Du kannst nie alles von dir fernhalten. Ich wurde erzogen, immer demütig zu bleiben. Sollte bei mir die Gefahr bestehen, abzuheben, gibt es in meiner Familie oder meinem Freundeskreis genug Leute, die mich ganz schnell wieder erden.
Übernimmt Ihr Vater den strengen Part oder Ihre Mutter?
Pollersbeck: Den übernimmt mein Vater. Mittlerweile ist er aber ein bisschen lockerer geworden. Er ist nicht der klassische Fußballpapa. Er will vor allem, dass ich bodenständig bleibe. Auch meine Freundin passt auf mich auf. Oder meine Freunde. Da bekomme ich schon mal ein paar Sprüche und dann weiß ich wieder, wo ich herkomme. Meine Mutter freut sich einfach immer nur, wenn ich gut spiele, wenn es mir gut geht und ich gut esse.
Stichwort Essen: Stimmt es, dass Sie Ihre Ernährung im letzten Jahr umgestellt haben?
Pollersbeck: Ich habe mich da mal informiert und mit den Athletiktrainern gesprochen. Man muss für sich herausfinden, was einem gut tut. Ich habe ein paar Sachen ausprobiert und meine Linie gefunden.
Sind Sie jetzt auch unter die Veganer gegangen?
Pollersbeck: So weit ist es noch nicht (lacht). Abends gibt es bei mir keine Nudeln mehr. Am Morgen keine Zuckerprodukte oder Brot. Ich war zwar noch nie der Nutella-Typ, aber man merkt es schon, wenn man die Gummibären weglässt. Am Spieltag gibt es bei mir kein Fleisch mehr. Am Schweinebraten meiner Mutter führt aber kein Weg dran vorbei. Am liebsten mit Knödel und Kraut. Das habe ich mir neulich von ihr zum 24. Geburtstag gewünscht. An einem Donnerstag geht das schon.