Hamburg. Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt: Der HSV wirkt schon nach einem Spieltag wie ein manisch-depressiver Patient.

Mister Jones ist nicht zu beneiden. Nach einem feucht-fröhlichen Abend wird er am nächsten Tag verwirrt und deprimiert in einer Nervenheilanstalt eingeliefert. Die traurige Diagnose: Jones ist manisch-depressiv.

Die beruhigende Nachricht: Jener Jones ist nur eine Rolle von Richard Gere in einem Film aus dem Jahr 1993 („Mr. Jones“). Die beunruhigende Nachricht: In den vergangenen Jahren wurde ein Revival von Mister Jones aufgeführt. Nicht als Film, sondern in der Realität. Diesmal in der Hauptrolle: der HSV.

Mal himmelhoch jauchzend, dann wieder zu Tode betrübt. Der HSV wirkt oftmals wie ein manisch-depressiver Patient. In der Fachwelt spricht man von bipolarer Störung. In Bundesligazeiten brauchte es oft nur einen Sieg, um den Punkterückstand auf die Europacupplätze zum Hauptthema werden zu lassen. Eine Niederlage später war der tiefste Tiefpunkt der Clubgeschichte erreicht. Nun, in der Zweiten Liga, brauchte es gerade einmal 90 Minuten, um das sorgfältig aufgebaute Kartenhaus der HSV-Wiederaufstiegseuphorie einreißen zu lassen. Ist dieser HSV also reif für die Couch?

Diesen Rat gibt ein Sportpsychologe

Der HSV sei nun mal ein Verein der Extreme, glaubt Sportpsychologe Jürgen Lohr. „Die Verantwortlichen des HSV sehen sich in der jüngsten Zeit teilweise extremen, sowohl positiven als auch negativen Bewertungen ausgesetzt. Sowohl von außen – durch Journalisten, Experten, Ehemalige und Fans – als auch von innen durch Beteiligte aus dem Verein wurde binnen weniger Tage manchmal euphorisch gelobt und teilweise destruktiv kritisiert.“

Lohr lebt in Hamburg, hat sogar schon für den HSV gearbeitet. Seinerzeit, 2006, qualifizierte sich der Club zum letzten Mal für die Champions League. Doch auch damals, als Lohr im Trainerstab von Thomas Doll integriert war, waren die Ausschläge rund um den Verein extrem. „Aus psychologischer Kenntnis heraus sind beide Extreme stark leistungsmindernd. Die Euphorie kann zur Sorglosigkeit und Nachlässigkeit führen, und die destruktive Kritik kann verunsichern, mutlos machen und frustrieren“, sagt Lohr, für den der Stimmungsumschwung nach dem 0:3 beim Auftaktspiel gegen Kiel trotz des speziellen Umfelds überraschend kam.

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„Die teilweise extrem negativen Ausschläge nach dem Kiel-Spiel sind vor allem für junge und weniger erfahrene Spieler riesige Energiefresser. Es sind junge Menschen mit Emotionen, keine Roboter“, sagt der Fachmann, der noch immer als Mentalcoach bei anderen Proficlubs arbeitet. Sein Tipp für die aktuelle Situation: „Das Team braucht weiter Orientierung und Führung. Der Trainer schützt seine noch sehr jungen Spieler am wirkungsvollsten vor Sorglosigkeit, Verunsicherung und Frustration durch möglichst einfache, klare, umsetzbare Vorgaben, die abgeleitet sind aus einem allen Spielern bekannten Masterplan.“

Titz gibt Donnerstag frei

Trainer Christian Titz hat verstanden. Der Fußballlehrer trainierte drei Tage nach dem 0:3 am Montag knapp zwei Stunden lang, probierte viel aus, erklärte und ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Statt aktionistischem Straftraining verordnete Titz für den Donnerstag einen freien Tag. „Das ist doch normal“, sagt Sportchef Ralf Becker, der die gesamte Einheit interessiert verfolgte. „Zwischen den beiden Spielen liegen neun Tage, da braucht man auch mal einen freien Tag.“

Kommentar: Kein Grund zur Panik

Becker ist erst seit zweieinhalb Monaten beim HSV, hat aber bereits festgestellt, dass im Volkspark alles ein wenig kurzweiliger ist. „In Hamburg ist im Positiven alles größer, schneller und schöner und genauso ist im Negativen alles größer, schneller und schlimmer.“

Jansen verteidigt Hamburger Medien

Die entscheidende Frage, über die seit Jahren gestritten wird: Haben diese Ausschläge im Umfeld auch eine Auswirkung auf die Mannschaft? Ja, sagt Sportpsychologe Lohr. Nein, sagt Aufsichtsrat Marcell Jansen, der selbst sieben Jahre für den HSV gespielt hat.

„Ich finde die Medien in Hamburg sehr fair, zurückhaltend und dem Verein wohlgesinnt. Da geht es in einigen anderen Städten deutlich heftiger zu“, sagte Jansen vor einiger Zeit im Interview mit dem Internetportal „goal.com“. Und weiter: „Sicher braucht man einige Tage, um sich daran zu gewöhnen. Ich habe das aber nie als Belastung gesehen.“

Sandhausen als Wegweiser für den HSV

„Mister Jones“ spielt nun am kommenden Sonntag in Sandhausen. Zweitliga-Provinz. 14.935 Zuschauer. Viel tiefer kann ein Patient wie der HSV nicht mehr fallen. „Man darf nicht vergessen, dass der HSV in eine ganz andere Welt eingetaucht ist“, sagt Lohr. „Man muss dem HSV, der Mannschaft und dem ganzen Club auch die Zeit geben, sich an die neue Gegebenheiten zu gewöhnen.“

Wunschdenken. Zeit ist im Profifußball ein rares Gut. Anders als früher, als nach zehn Spieltagen eine Zwischenbilanz gezogen wurde, wird nun im 90-Minuten-Takt abgerechnet. Gewinnt der HSV also am Sonntag, ist das 0:3 gegen Kiel schnell vergessen. Verliert aber Mister Jones, ist die Nervenheilanstalt wohl nicht mehr weit.

Die Bilder des Debakels:

Neue Liga, altes Leid: HSV wird von Kiel gedemütigt

David Bates (l.) und Lewis Holtby trauern über das Gegentor zum 0:1
David Bates (l.) und Lewis Holtby trauern über das Gegentor zum 0:1 © WITTERS | TimGroothuis
HSV-Verteidiger David Bates (o.) sorgt sich um den verletzten Gotoku Sakai
HSV-Verteidiger David Bates (o.) sorgt sich um den verletzten Gotoku Sakai © WITTERS | Tim Groothuis
Da hilft auch David Bates' langes Bein nicht: Kiels Jonas Meffert (l.) nimmt genau Maß …
Da hilft auch David Bates' langes Bein nicht: Kiels Jonas Meffert (l.) nimmt genau Maß … © imago/Claus Bergmann | Claus Bergmann
… und lässt sich verdientermaßen feiern
… und lässt sich verdientermaßen feiern © imago/Claus Bergmann | Claus Bergmann
HSV-Verteidiger David Bates rauft sich aus Frust über das 0:1 die Haare
HSV-Verteidiger David Bates rauft sich aus Frust über das 0:1 die Haare © WITTERS | TayDucLam
Khaled Narey (u.) wird von Kiels Johannes van den Bergh übersprungen
Khaled Narey (u.) wird von Kiels Johannes van den Bergh übersprungen © WITTERS | TimGroothuis
Douglas Santos (l.) kommt vor Kiels Kingsley Schindler an den Ball
Douglas Santos (l.) kommt vor Kiels Kingsley Schindler an den Ball © WITTERS | TimGroothuis
Janni Serra (l.) hat HSV-Verteidiger Rick van Drongelen im Nacken
Janni Serra (l.) hat HSV-Verteidiger Rick van Drongelen im Nacken © WITTERS | TayDucLam
Kiels Alexander Mühling im Kopfballduell mit Matti Steinmann
Kiels Alexander Mühling im Kopfballduell mit Matti Steinmann © Bongarts/Getty Images | Martin Rose
Khaled Narey (M.) vergibt eine Großchance für den HSV …
Khaled Narey (M.) vergibt eine Großchance für den HSV … © WITTERS | LeonieHorky
… und kann es nicht fassen
… und kann es nicht fassen © WITTERS | TayDucLam
Aber auch Kiels Matthias Honsak (l. gegen David Bates) lässt das mögliche Führungstor liegen
Aber auch Kiels Matthias Honsak (l. gegen David Bates) lässt das mögliche Führungstor liegen © Bongarts/Getty Images | Martin Rose
Rick van Drongelen (r.) springt höher als Kiels Janni Serra (l.) und Matti Steinmann
Rick van Drongelen (r.) springt höher als Kiels Janni Serra (l.) und Matti Steinmann © WITTERS | TimGroothuis
Jonas Meffert (r.) holt HSV-Angreifer Vasilije Janjicic von den Beinen
Jonas Meffert (r.) holt HSV-Angreifer Vasilije Janjicic von den Beinen © imago/Claus Bergmann | Claus Bergmann
HSV-Torwart Julian Pollersbeck (r.) lässt gegen Kiels Hauke Wahl (M.) die Faust fliegen
HSV-Torwart Julian Pollersbeck (r.) lässt gegen Kiels Hauke Wahl (M.) die Faust fliegen © WITTERS | TimGroothuis
Lewis Holtby (r.) versucht es mit einem Lupfer, Kiels Dominik Schmidt kommt zu spät, hat aber Glück, dass der HSV-Angreifer danebenzielt
Lewis Holtby (r.) versucht es mit einem Lupfer, Kiels Dominik Schmidt kommt zu spät, hat aber Glück, dass der HSV-Angreifer danebenzielt © imago/Michael Schwarz | ABS Michael Schwarz
Neuzugang Jae Sung Lee hat die erste Kieler Torchance
Neuzugang Jae Sung Lee hat die erste Kieler Torchance © Bongarts/Getty Images | Martin Rose
Jairo Samperio (l., gegen Hauke Wahl) hat das 1:0 für den HSV auf dem Fuß
Jairo Samperio (l., gegen Hauke Wahl) hat das 1:0 für den HSV auf dem Fuß © imago/Contrast | O.Behrendt
HSV-Verteidiger David Bates im Luftkampf mit Jonas Meffert
HSV-Verteidiger David Bates im Luftkampf mit Jonas Meffert © Bongarts/Getty Images | Martin Rose
Kiels Star-Neuzugang Jae Sung Lee (l.) wird von HSV-Verteidiger Rick van Drongelen bedrängt
Kiels Star-Neuzugang Jae Sung Lee (l.) wird von HSV-Verteidiger Rick van Drongelen bedrängt © Bongarts/Getty Images | Martin Rose
Jairo Samperio (r.) hält sich Kiels Johannes van den Bergh vom Leib
Jairo Samperio (r.) hält sich Kiels Johannes van den Bergh vom Leib © imago/Michael Schwarz | ABS Michael Schwarz
Der HSV schwört sich auf die Zweite Liga ein
Der HSV schwört sich auf die Zweite Liga ein © WITTERS | TimGroothuis
Der HSV wird beim Einlauf von den Vereinslegenden Franz-Josef „Bubi“ Hönig (r.) und Uwe Seeler begrüßt
Der HSV wird beim Einlauf von den Vereinslegenden Franz-Josef „Bubi“ Hönig (r.) und Uwe Seeler begrüßt © imago/Contrast | O.Behrendt
Vor dem Anpfiff gab es eine kurze Saisoneröffnungszeremonie – bei der auch die Fahne des Lokalrivalen FC St. Pauli entrollt wurde
Vor dem Anpfiff gab es eine kurze Saisoneröffnungszeremonie – bei der auch die Fahne des Lokalrivalen FC St. Pauli entrollt wurde © WITTERS | LeonieHorky
Vor dem Anpfiff entrollte die Nordtribüne eine beeindruckende Choreografie
Vor dem Anpfiff entrollte die Nordtribüne eine beeindruckende Choreografie © imago/Contrast | O.Behrendt
Im Kieler Fanblock wird derweil gezündelt
Im Kieler Fanblock wird derweil gezündelt © imago/Jan Huebner | Jan Huebner/Taeger
Präsidialer Plausch: Der umstrittene DFB-Chef Reinhard Grindel und HSV-Boss Bernd Hoffmann
Präsidialer Plausch: Der umstrittene DFB-Chef Reinhard Grindel und HSV-Boss Bernd Hoffmann © WITTERS | TayDucLam
Auf der Anzeigetafel wurden die Zuschauer zum „Bundesligaspiel“ begrüßt
Auf der Anzeigetafel wurden die Zuschauer zum „Bundesligaspiel“ begrüßt © imago/Nordphoto | nordphoto / Ewert
Statt der Bundesligazugehörigkeit zählt die Stadionuhr des HSV jetzt die Zeit seit der Gründung 1887
Statt der Bundesligazugehörigkeit zählt die Stadionuhr des HSV jetzt die Zeit seit der Gründung 1887 © imago/Nordphoto | nordphoto / Ewert
Christian Titz überraschte mit seiner Startaufstellung
Christian Titz überraschte mit seiner Startaufstellung © imago/Michael Schwarz | ABS Michael Schwarz
Für seinen kieler Kollegen Tim Walter war es das erste Spiel als Cheftrainer einer Profimannschaft
Für seinen kieler Kollegen Tim Walter war es das erste Spiel als Cheftrainer einer Profimannschaft © imago/Contrast | O.Behrendt
Für HSV-Sportvorstand Ralf Becker war es ein Wiedersehen mit dem alten Team
Für HSV-Sportvorstand Ralf Becker war es ein Wiedersehen mit dem alten Team © imago/Michael Schwarz | ABS Michael Schwarz
Seine Nachfolge als Holstein-Sportdirektor übernahm Fabian Wohlgemuth
Seine Nachfolge als Holstein-Sportdirektor übernahm Fabian Wohlgemuth © imago/Michael Schwarz | ABS Michael Schwarz
Darum geht’s: Die Meisterschale der Zweiten Bundesliga
Darum geht’s: Die Meisterschale der Zweiten Bundesliga © WITTERS | TimGroothuis
Sie wurde anlässlich der Saisoneröffnung im Volksparkstadion prräsentiert. Der HSV wäre am Ende sicher auch mit dem zweiten Platz zufrieden
Sie wurde anlässlich der Saisoneröffnung im Volksparkstadion prräsentiert. Der HSV wäre am Ende sicher auch mit dem zweiten Platz zufrieden © WITTERS | TimGroothuis
Anlässlich der Hamburg Pride Week waren die Regenbogenfarben im Volkspark präsent
Anlässlich der Hamburg Pride Week waren die Regenbogenfarben im Volkspark präsent © WITTERS | TimGroothuis
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