Hamburg. Ralf Becker und Kiels Fabian Wohlgemuth fachsimpeln über das Derby, Wunschspieler und 100-Millionen-Euro-Deals.
Vor drei Wochen haben sich HSV-Sportvorstand Ralf Becker und sein Kieler Nachfolger Fabian Wohlgemuth zum ersten Mal zum Abendessen getroffen. „Das können wir in Zukunft gerne öfter machen“, sagte Wohlgemuth, als das Abendblatt die beiden Manager vor dem Zweitligastart am Freitag (20.30 Uhr/Sky) ein zweites Mal zum Gedankenaustausch bat. Beide haben als Scout und Nachwuchschef angefangen, beide haben eine Hamburger Vergangenheit, beide waren schon einmal Nachfolger von Jens Todt – und beide wollen den Auftakt gewinnen.
Hamburger Abendblatt: Herr Becker, Herr Wohlgemuth, der HSV ist abgestiegen, Holstein Kiel nicht aufgestiegen. Darf man trotzdem richtig Lust auf die Saison in der Zweiten Liga haben?
Fabian Wohlgemuth: Unbedingt. Es beginnt wieder bei null. Jedem Anfang wohnt der berühmte Zauber inne. Man muss dabei nicht alles an den beiden Absteigern festmachen, aber natürlich sind Spiele wie das jetzt anstehende Nordderby von besonderem Reiz. Insgesamt muss sich unsere Zweite Liga im internationalen Vergleich nicht verstecken.
Ralf Becker: Uns ist natürlich bewusst, dass wir die Rolle des Gejagten akzeptieren müssen. Wir wissen aber auch, dass wir es in dieser Liga sehr schwer haben werden, wenn wir die Situation nicht annehmen. Noch mehr als in der Bundesliga spielen eine Etage tiefer Faktoren wie Mentalität, Wille und Charakter eine große Rolle. Das hat man ja in der vergangenen Saison vor allem bei Holstein Kiel gesehen. Uns wird nichts geschenkt – und trotzdem freuen wir uns mittlerweile auch auf diese Zweitliga-Saison.
Das Kiel-Spiel war so schnell ausverkauft wie nie. Gibt es eine rationale Erklärung für die Zweitliga-Euphorie im Norden?
Becker: Im Fußball ist glücklicherweise nicht immer alles rational zu erklären. Wir sind ja auch nicht die Einzigen, bei denen man dieses Phänomen beobachten kann. Schauen Sie sich mal den Drittligastart vom 1. FC Kaiserslautern an: Da kamen am vergangenen Wochenende 41.000 Zuschauer auf den Betze. Oft hat man ja die große Angst, dass nach einem Abstieg alles auseinanderbricht. Bei uns ist gefühlt in den vergangenen Wochen genau das Gegenteil passiert. Wir bekommen unglaublich viel Zuspruch, die Fans rennen uns ja regelrecht die Bude ein. Das ist fantastisch. Wir wollen die Erwartungen natürlich nicht enttäuschen.
Wohlgemuth: Unabhängig von dem letztlich verpassten Aufstieg ist auch bei uns die Vorfreude, aber auch eine entsprechende Erwartungshaltung spürbar. In Kiel ist in den vergangenen Jahren sehr gute Arbeit geleistet worden. Jetzt geht es für uns darum, den Blick nach vorn zu richten, den Integrationsprozess unserer Neuzugänge schnellstmöglich abzuschließen und Stabilität zu gewinnen. Das ist der Schlüssel, um auch in dieser Spielzeit reichlich Freude unter unseren Anhängern zu verbreiten.
Kiel hat in der vergangenen Saison mit einem kleinen Etat Großes erreicht, der HSV mit einem großen Etat komplett enttäuscht. Trotz radikaler Gehaltsreduzierungen hat der HSV noch immer einen Bundesliga-Etat. Muss man mit so einem Budget nicht zwangsläufig aufsteigen?
Becker: Natürlich brauchen wir keinen Hehl daraus zu machen, dass wir für Zweitligaverhältnisse gute Voraussetzungen haben. Zur ganzen Wahrheit gehört aber auch, dass wir von einem recht hohen Bundesliga-Etat kommen. Deswegen war es zwangsläufig notwendig, dass wir uns in der Zweiten Liga verändern. Klar ist, dass wir unser blaues Wunder erleben werden, wenn wir nur aufgrund unseres Namens oder aufgrund unseres Etats glauben, dass diese Zweite Liga ein Selbstläufer wird.
Herr Wohlgemuth, wenn Sie sich einen HSV-Spieler wünschen dürften, wen würden Sie holen?
Wohlgemuth: Wir sind mit unserer getroffenen Auswahl eigentlich durchaus zufrieden. (lacht)
Dann die Frage an Sie, Herr Becker. Welchen Kieler Spieler würden Sie nehmen, wenn Geld keine Rolle spielt?
Becker: Die Frage kann ich als Ex-Kieler natürlich so nicht beantworten. Ich habe meine Kieler Jungs doch alle lieb.
Das Problem am Fußball ist ja ohnehin: Geld spielt immer eine Rolle. Sind Sie als Sportchefs manchmal selbst entsetzt, mit was für Zahlen Sie tagtäglich jonglieren müssen?
Wohlgemuth: Eigentlich nicht. Man lernt mit der Zeit, mit diesen Summen umzugehen.
Becker: Natürlich dürfen wir den Bogen nicht überspannen. Wir müssen aufpassen, dass es am Ende nicht nur noch um Geld und absurde Millionensummen geht. Wobei sich das viele Geld in der alltäglichen Arbeit relativiert. Am Ende muss man mit dem Geld wirtschaften, das man zur Verfügung hat. Egal, ob das nun eine, zehn oder hundert Millionen Euro sind.
Würde es Sie reizen, mal einen 100-Millionen-Euro-Deal über die Bühne zu bringen?
Wohlgemuth: Der Reiz liegt weniger in der Summe als vielmehr in der Qualität. Als Sportchef freut man sich, wenn man genau den Spieler entdeckt hat, den andere übersehen. Es geht darum, kreativ zu sein. Und ich kann genauso kreativ mit einer Million in Kiel sein wie mit 100 Millionen Euro bei Real Madrid.
Becker: Man gewöhnt sich ja sehr schnell an alles – wahrscheinlich dann auch an 100-Millionen-Euro-Transfers. Allzu verrückt kommt diese Benchmark für die absoluten Topclubs ja nicht mehr daher. Aber unser Thema ist das ganz sicher nicht.
An den ganz großen Millionen-Transfers waren Sie in diesem Sommer nicht beteiligt, an einem der verrücktesten Deals dagegen schon: Dominick Drexler wechselte innerhalb von wenigen Wochen von Kiel über Midtjylland nach Köln.
Wohlgemuth: Zu diesem Transfer ist eigentlich alles gesagt. Nach meiner Kenntnis handelt es sich bei dem Wechsel nach Dänemark um ein Geschäft, das bereits im März abgeschlossen wurde. Insofern sind die Rahmenbedingungen unter dem Eindruck der Situation im März festgelegt worden. Der Wechsel nach Köln ist also ganz offensichtlich keine Angelegenheit von Wochenfrist, auch wenn das immer wieder so dargestellt wird. Wenn unsere Arbeit erfolgreich sein soll, dürfen wir ohnehin nicht ständig in der Kiste mit den alten Kamellen kramen, sondern müssen den Blick nach vorn richten.
Becker: Das stimmt. Dominick wollte gerne früh eine Sicherheit haben, wie es für ihn ab dem Sommer weitergeht. Und mit Midtjylland haben wir uns dann bereits im Winter geeinigt. Was dann danach passiert ist, dazu kann ich dann gar nicht allzu viel sagen.
Nun spielt er bei einem Konkurrenten von Ihnen beiden. Hätten Sie ihn auch gerne in Hamburg gehabt, Herr Becker?
Becker: Dominick war einer der Topspieler der Zweiten Liga, aber gerade auf seiner Position sind wir ziemlich gut besetzt. Für ihn persönlich freut es mich aber, dass er sein gutes Jahr nun nutzen konnte. Er ist ja auch schon 28 Jahre alt, hat länger als manch ein anderer gebraucht und könnte nun etwas verspätet belohnt werden. Sollte er die Leistung des letzten Jahres bestätigen, dann hat der 1. FC Köln einen außergewöhnlich guten Spieler für die Zweite Liga.
In England endet die Transferphase erstmals bereits am 9. August. Würden Sie es befürworten, wenn das Fenster auch in Deutschland vor dem 31. August schließt?
Wohlgemuth: Ich bin ein großer Befürworter dieser Überlegung. Eine um zwei bis vier Wochen verkürzte Transferperiode würde den Clubs eher helfen als schaden. Man könnte sich sehr viel besser auf eine Saison vorbereiten.
Becker: Grundsätzlich sehe ich das genauso. Allerdings haben wir jetzt einen Vorteil, weil die Engländer und Italiener ihre Planungen vor uns abschließen. Als Erstligist hat man dann die Möglichkeit, sich von den voll besetzten Reservebänken aus England zu bedienen, ohne die Gefahr, dass die eigenen Spieler noch gekauft werden. Als Zweitligist, der Anfang August startet, würde ein verkürztes Transferfenster insofern helfen, als dass die Bundesligaclubs unsere Spieler nicht noch knapp vier Wochen lang scouten können, ehe sie zuschlagen.
Wohlgemuth: Eben weil Erste und Zweite Bundesliga so stark versetzt starten, wäre eine frühere Transferdeadline sehr wünschenswert.
Becker: Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen. Ich weiß zwar, dass die TV-Anbieter das anders sehen, aber ich könnte einem parallelen Start von Erster und Zweiter Liga sehr viel abgewinnen, weil man so sehr viel besser planen könnte. Dieses Szenario bleibt wohl aber Wunschdenken.
Stichwort Wunschdenken: War die Aufgabe des Sportchefs schon immer Ihr Traumjob?
Wohlgemuth: Fang du mal an, Ralf.
Becker: Ich lasse dir den Vortritt.
Wohlgemuth: Natürlich bin ich sehr gerne Sportchef. Aber es war nicht so, dass ich mein ganzes Leben darauf hingearbeitet habe. Die Arbeit im Nachwuchs hat ihren ganzheitlichen Reiz. Man hat sehr viel mehr Zeit, einen Spieler zu entwickeln. Grundsätzlich ist es eine gute Schule, wenn man als Sportchef zuvor auch schon im Nachwuchs oder auch im Scouting gearbeitet hat.
Becker: Dem stimme ich zu. Ich habe ja einen ganz ähnlichen Karriereweg wie Fabian. Auch ich war zunächst im Scouting und im Nachwuchs tätig, bevor ich dann Sportchef wurde. Dieser Weg war nie geplant, aber er ist stimmig.
Wohlgemuth: Es ist ein Prozess. Der unmittelbare Übergang vom Profi in die Sportchef-Position gelingt nur in wenigen Fällen. Was vielleicht kaum einer weiß: Viele meiner Grundlagen habe ich mir in Hamburg erarbeitet. Ich war B-Jugend-Trainer beim HSV, habe unter den Nachwuchschefs Stephan Hildebrandt, Jens Todt und Paul Meier bis 2010 das Nachwuchsscouting geleitet.
In der Vergangenheit wurde immer wieder diskutiert, ob man analog zum Fußballlehrerkurs auch einen Sportcheflehrgang anbieten müsste. Was halten Sie von der Idee?
Becker: Der Job des Sportchefs wird in jedem Verein anders gelebt – und er wird ja auch überall anders bezeichnet. Aber grundsätzlich finde ich den Gedanken, einen Managerlehrgang vergleichbar mit dem Lehrgang zum Fußballlehrer anzubieten, sehr spannend.
Wohlgemuth: Absolut. Das Feld des Sportchefs ist ja unglaublich vielschichtig. Man hat mit Finanzen, Medienarbeit und natürlich Sportthemen zu tun. Ich würde es sehr begrüßen, wenn man sich mal ernsthafte Gedanken über so einen Lehrgang machen würde.
Dann machen Sie sich doch bitte zum Abschluss noch einmal ernsthafte Gedanken rund um den Freitagabend. Ihr Tipp?
Becker: Wir freuen uns auf das Spiel, auf ein ausverkauftes Stadion, und wir hoffen natürlich auf den ersten Sieg.
Wohlgemuth: Auf das Spiel und das ausverkaufte Stadion freuen wir uns alle. Über die Sache mit dem Sieg reden wir dann noch mal am Freitagabend.