Hamburg. HSV-Chefscout Spors hat seine Abteilung neu aufgestellt. Worauf der Kaderplaner Wert legt und wo sich der Club verbessern muss.
Am Mittwochmorgen ging Johannes Spors (35) auf Dienstreise. Der Chefscout und Kaderplaner des HSV sucht derzeit mit Sportvorstand Ralf Becker händeringend nach einem neuen Innenverteidiger, der die Langzeitverletzten Gideon Jung und Kyriakos Papadopoulos ersetzen kann.
Ein heißer Kandidat: Hoffenheims Ermin Bicakcic (28). Spors kennt den Bosnier aus seiner Zeit bei 1899, wo er von 2013 bis 2015 als Chefscout arbeitete. Seit sechs Monaten ist Spors jetzt in dieser Funktion beim HSV tätig. Seit seinem Wechsel von RB Leipzig nach Hamburg hat er die Abteilung neu aufgestellt. Mit Marcel Klos (29) aus Leipzig und Sebastian Dirscherl (32) vom Karlsruher SC hat sich Spors zwei neue Scouts in sein Team geholt. Wie der langjährige Chefscout Michael Schröder (58) in die neu strukturierte Abteilung integriert wird, ist noch nicht abschließend geklärt.
Hamburger Abendblatt: Herr Spors, wie fällt Ihr Halbjahreszeugnis aus?
Johannes Spors: Mit der Umstrukturierung unserer Abteilung bin ich sehr zufrieden. Um den langfristigen Auftrag zu gewährleisten, mussten wir uns neu aufstellen. Dieser Prozess ist für den Moment abgeschlossen. Wir sind jetzt ein kleines Team. In der Zweiten Liga braucht der HSV aber auch keine 15 Scouts zu beschäftigen. Wir müssen uns als Gruppe finden, um bei der Bewertung der Spieler dieselbe Sprache zu sprechen. Unsere Kriterien und inhaltlichen Schwerpunkte haben wir definiert und befinden uns dazu innerhalb der Abteilung, aber natürlich auch mit Ralf Becker und Christian Titz im permanenten und konstruktiven Austausch.
Welche Schwerpunkte sind das?
Spors: Ich bin überzeugt von einer Drei-Säulen-Struktur, die wir aufgebaut haben. Dazu zählt das TV-Scouting, also die Sichtung des gesamten Bewegtbildmaterials. Die zweite Säule ist die Datenanalyse, die es uns ermöglicht, noch mehr Tempo in die Sichtung zu bringen. Und schließlich natürlich das Live-Scouting, das immer das Entscheidende sein wird. Mir war es wichtig, diese drei Säulen mit Experten zu besetzen, die sich in jedem der drei Verantwortungsbereiche bewegen können. Unsere Livescouts können nicht in der Woche drei Spiele schauen und das war’s. Das entspricht nicht unserem Anspruch.
Wie schnell wird man Ergebnisse der Umstrukturierung erkennen?
Spors: Den Effekt wird man grundsätzlich erst langfristig merken. Wenn man aber strategisch klug mit einer gemeinsamen Idee an Positionsprofile herangeht, wird man auch mal schneller Ergebnisse liefern können. Man braucht breite Fangarme, um alle Ideen einzusammeln. Und es geht auch darum, die neuen Anforderungen der Digitalisierung für den HSV zu nutzen.
Sie haben in Hoffenheim und bei RB Leipzig als Chefscout gearbeitet. Konnten Sie deren Modelle auf den HSV übertragen?
Spors: Das Drei-Säulen-Modell habe ich schon in Leipzig aufgebaut. Insbesondere den Bereich der Datenanalyse. Im Vergleich zu Leipzig sind wir aber deutlich kleiner. In Leipzig hatten wir den Anspruch, die ganze Welt zu kennen. Das ist beim HSV mit unseren Mitteln nicht möglich und als Zweitligist auch erstmal nicht nötig.
Sie beschäftigen keine Scouts für den südamerikanischen oder asiatischen Markt?
Spors: Nein, vor Ort nicht. Natürlich habe ich durch meine Vergangenheit bei RB gute Kontakte in alle Kontinente. In unserer Situation beim HSV gilt es aber primär in den Kernmärkten stark zu sein. Und das sind der deutsche Markt sowie die Anrainerstaaten. Da müssen wir unsere Hausaufgaben machen und richtig gut sein. Dazu müssen wir Nischen finden. Wir werden uns immer auch mit Südamerika und mit Asien beschäftigen. Gerade in Japan haben wir einen guten Namen. Wir können und wollen als HSV aktuell aber nicht sagen, wir scouten die ganze Welt.
Wie Spors Neuzugang Bates gescoutet hat
Stichwort Nischen. Wie haben Sie David Bates gefunden? Schottland ist schließlich kein Kernmarkt für den HSV.
Spors: Bates ist mir in meiner täglichen Recherche aufgefallen, weil er als sehr junger Spieler in einem sehr wichtigen Spiel für die Glasgow Rangers gegen Celtic Glasgow reinkam und eine sehr positive Resonanz erhalten hat. Sowohl bei den Daten als auch in der öffentlichen Kritik. Ein Spieler, der vorher unter dem Radar lief. Wir haben uns das Spiel dann noch einmal geschnitten angeschaut. Da war er richtig gut. Dann bin ich nach Glasgow geflogen, habe ihn mir live angeschaut und dann persönlich getroffen. Hinzu kam eine sehr günstige Vertragskonstellation.
Dazu hätten Sie aber kein Drei-Säulen-Modell benötigt. Das klingt eher nach Zufall.
Spors: Man entdeckt Spieler oft zufällig, aber man kann Zufälle provozieren, in dem man durch viele Daten, viele Augen und eine belastbare Strategie die Anzahl an Zufällen erhöht. Bates war eine Auffälligkeit. Man erhöht die Anzahl der Auffälligkeiten, je breiter man sein System aufgestellt hat. Es gibt nicht den einen Weg, um einen Spieler zu finden.
Als Sie Bates verpflichtet haben, wussten Sie noch gar nicht, mit welchem Trainer Sie in welcher Liga spielen. Geht es im Scouting nicht auch um eine übergeordnete Spielphilosophie?
Spors: Das wäre der Idealzustand. In Nachwuchsakademien funktioniert das gut. Auch bei Clubs wie Barcelona, Ajax Amsterdam oder RB Leipzig. Der Trainer sollte natürlich die Idee vorleben. Bei Bates waren wir von den Merkmalen des Spielers so überzeugt, dass es nicht entscheidend war, wie es bei uns weitergeht. Wir wussten der Kaderplatz von Bjarne Thoelke wird zu vergeben sein und Bates hat Entwicklungspotenzial und die passende Mentalität um diese Kaderposition zu besetzen. Das sind für uns entscheidende Kriterien bei der Auswahl von Neuzugängen. Wir wollten noch mehr Spieler haben, die ihren Karriereverlauf vor sich haben und das haben wir mit dem aktuell jüngsten Kader Deutschlands auch.
Diese Kriterien stehen seit mehr als zwei Jahren im HSV-Leitbild. Orientiert hat sich daran kaum jemand.
Spors: Das muss unsere Grundherangehensweise sein. Genauso kann eine Kaderplanung aber auch ergeben, dass es kurzfristig sinnvoll ist, die Chance auf sportlichen Erfolg über eine erfahrene Spielerpersönlichkeit zu erhöhen. Da kommt es auf eine gute Balance aus Erfahrung und Potenzial an. Wenn man aber Werte schaffen will, und das ist bei der Kaderplanung ganz entscheidend, sind übergeordnete Merkmale wichtig. Zum Beispiel das Thema Tempo. Das haben wir mit Khaled Narey, Jairo Samperio und auch Manuel Wintzheimer bekommen.
Beispiel Wintzheimer: Wie oft scouten Sie so einen jungen Spieler, ehe Sie sich für einen Transfer entscheiden?
Spors: Manuel ist ein hochdekorierter Juniorennationalspieler. Es ist unsere Hausaufgabe, alle deutschen U-Nationalspieler zu kennen und mehrfach gesehen zu haben. Das ist selbstverständlich. Am Ende überzeugt man als Mensch einen anderen Menschen und das möglichst früh. Manuel hatte ja auch andere Angebote, das ist kein Geheimnis.
Sie setzen verstärkt auf das Videoscouting. Besteht dabei die Gefahr, dass man einen falschen Eindruck gewinnt?
Spors: Wir setzen nicht vermehrt auf Videoscouting, sondern zusätzlich zum live-Scouting darauf, weil diese Kombination uns tiefere Informationen liefert. Es gibt immer die Schwierigkeit bei diesen vorgefertigten Videos. Einen Fehler kann man nur machen, wenn man ein Video schaut, von dem man nicht weiß, wie es entstanden ist. Man kann aus jedem Regionalligaspieler einen Champions-League-Spieler schneiden. Solche Highlight-Shows gucken wir nicht. Wir haben gut ausgebildete Analysten, die genau wissen wie man aus einem gesamten Spiel alle wichtigen Szenen herausfiltert. Die wissen, dass beispielsweise auch ballentferntes Verhalten zum Spiel gehört und nicht nur Ballaktionen.
Kann das Videoscouting das Live-Scouting ersetzen?
Spors: Dazu ein klares nein! Die Kombination der 3 Säulen bringt uns Geschwindigkeit in den Prozess und tiefere Informationen. Natürlich ist man über das Videobild eingeschränkt, aber wenn man fünf Spiele im Video schaut, kann man schon einen guten Eindruck von einem Spieler gewinnen. Aus einem ganzen Spiel schneiden wir Acht-Minuten-Videos mit allen Szenen. Innerhalb von 30 Minuten kann ich mir vier ganze Spiele anschauen. Danach kann ich immer noch entscheiden, ob ich mir den Spieler live anschaue. Zu 99 Prozent sortieren wir erstmal aus und sagen nein.
Welche Clubs machen für Sie das beste Scouting?
Spors: Überall dort, wo große Transfergewinne erzielt werden, steckt in der Regel eine gute Scoutingstrategie dahinter. Dazu gibt es in der Bundesliga mittlerweile viele gute Beispiele. International macht es RB Salzburg herausragend. AS Monaco und AS Rom bekommen großes Lob, weil sie viele Talente finden. Die geben aber auch entsprechend Geld aus. Monaco hat gerade für den 16-jährigen Willem Geubbels 20 Millionen Euro bezahlt. Dafür hat man dort mit dem letzten Kader auch fast eine halbe Milliarde an Transfereinnahmen erzielt. Jetzt baut Monaco die nächsten Mbappés auf.
Abschließend gefragt: Investiert der HSV jetzt auch wieder mehr in das Scouting?
Spors: Wir investieren nicht mehr Geld, aber sehr viel Energie. Es geht darum, mehr Tempo in die Prozesse zu bekommen. Und das ist auch wichtig, weil der Stellenwert des Scoutings in Deutschland insgesamt stark gestiegen ist. Auch beim HSV hat sich schon einiges zum Positiven verändert. Dafür arbeiten wir im Team hart.