Bad Erlach. Bakery Jatta will beim HSV sein persönliches Märchen weiterschreiben, seinen Vertrag verlängern und bald ganz speziell jubeln.
Zum Interview-Termin mit dem Abendblatt erscheint Bakery Jatta am Dienstagnachmittag deutlich zu spät. Mit ein paar Aufzeichnungen kommt er schließlich an der Seite von Aaron Hunt, Lewis Holtby, Jairo Samperio und Jonas David aus einem Konferenzraum. Hausaufgaben standen im Teamhotel Asia Linsberg auf dem Stundenplan. Und die Gruppe um Jatta saß fast eine Stunde länger als geplant zusammen. „Spielaufbau“, sagt Jatta und entschuldigt sich für die Verspätung. So lautete das Thema, mit dem sich die Fünfergruppe beschäftigt hat.
Vor der gesamten Mannschaft hielten am Abend schließlich alle Teams Referate zu den verschiedenen Themenkomplexen. „Es fühlt sich ein bisschen an wie in der Schule“, sagt Jatta über die theoretische Übungsform, die Chefcoach Christian Titz nicht nur im Trainingslager in Österreich in seinen Lehrplan einbaut. „Es entstehen richtig gute Ideen, wenn sich die Spieler in dieser Art auseinandersetzen“, sagt Titz.
Jatta überrascht immer wieder auch sich selbst
Bereits heute sollen die Ergebnisse dieser Arbeiten in das Training und auch in das Testspiel gegen ZSKA Moskau (17.45 Uhr beim ASV Draßburg) eingestreut werden. „Umso sicherer die Spieler in unserer Grundstruktur werden, umso stärker können sie ihren Freigeist mit einbringen“, sagt Fußball-Lehrer Titz über die Schulstunde mit seinen Jungs. Ein Beispiel aus dem Unterricht: „Wenn du gegen tief stehende Gegner spielst, brauchst du Freigeister, die etwas Überraschendes machen. Das ist wichtig. Wir wollen nicht wie eine Schablone ausrechenbar sein“, sagt Titz.
Eine Beschreibung, die besonders zu Jatta passt. Der 20 Jahre alte Gambier, der vor drei Jahren als Flüchtling nach Deutschland kam und vor zwei Jahren beim HSV seinen ersten Profivertrag unterschrieb, sorgt auf dem Platz immer wieder für Überraschungsmomente. Ein Freigeist, der mit seiner unorthodoxen Spielweise nicht nur die Gegner überrascht, sondern immer wieder auch sich selbst. Dass Jatta in seiner noch jungen Fußballkarriere 16 Bundesligaeinsätze nachweist, kann als die wohl größte Überraschung der vergangenen HSV-Jahre bezeichnet werden.
Bilder aus dem HSV-Trainingslager:
HSV nimmt nächsten Anlauf ins Trainingslager
Jatta wird von allen Kollegen geschätzt
Zweieinhalb Jahre ist es nun schon her, dass der damals unbekannte 17-Jährige im Januar 2016 ohne Vereinserfahrung beim HSV zum Probetraining erschien und den damaligen Trainer Bruno Labbadia sofort begeisterte. „Ich weiß noch, dass es unglaublich kalt war. Mir sind fast die Füße abgefroren. Ich hatte vorher noch nie im Schnee gespielt“, erinnert sich Jatta im Juli 2018. Trotz der kalten Füße denkt er heute gern an den Moment zurück. „Dieser Tag ist eine wichtige Erinnerung für mich. Damals fing alles an. Seitdem hat sich viel verändert in meinem Leben.“
Zweieinhalb Jahre später ist Jatta ein gestandenes Mitglied in der Mannschaft. Im Vergleich zu den vielen Neuzugängen aus dem eigenen Nachwuchs, wie etwa sein Zimmernachbar Jonas David (18), ist der Flügelstürmer mit seinen 20 Jahren fast schon ein alter Hase. „Ich fühle mich immer noch als einer der Jüngeren. Aber ich bin nicht mehr der ganz junge Baka“, sagt Jatta. In der Mannschaft wird er von allen Spielern geschätzt. Weil er in den vergangenen zwei Jahren zwischen Profis und U 21 pendelte, hat er zu nahezu jedem Spieler ein persönliches Verhältnis entwickelt. Seine eigene Entwicklung sieht er aber immer noch am Anfang. „Ich lerne jeden Tag dazu. Jedes Training und jedes Spiel ist ein Schritt für mich in meinem Lernprozess“, sagt Jatta.
"Der HSV macht mich zu 100 Prozent glücklich"
Wie lernfähig der Angreifer ist, hat er in den vergangenen 30 Monaten bewiesen. Er spricht schon gut deutsch, hat in Hamburg seinen Führerschein gemacht und sich ein selbstständiges Leben aufgebaut. „Ich musste lernen, ohne die Hilfe meiner Familie auf eigenen Füßen zu stehen. Das habe ich geschafft.“
Und auch sportlich wird Jatta jeden Tag besser. Geholfen hat ihm dabei, dass er die europäische Lebensweise angenommen hat. „Die Mentalität in Deutschland ist eine andere als in Gambia. Das Leben dort ist schwer vergleichbar mit dem Leben hier“, sagt Jatta. Seine Stimme wird ruhig. Er redet nicht gern über seine Vergangenheit. Nur so viel: „Für mich war es entscheidend, die europäische Mentalität zu adaptieren, ohne dafür mein Wesen großartig zu verändern.“
Jatta ist nicht nur als Sportler ein Freigeist geblieben. Am liebsten spricht er aber über den Fußballer Bakery Jatta, der mit seiner Arbeit beim HSV seinen großen Traum leben kann. „Ich bin jetzt Fußballprofi. Ich kann das tun, was ich liebe. In Hamburg zu leben und für den HSV zu spielen, macht mich zu 100 Prozent glücklich.“
Jatta hat bislang noch kein Profi-Tor erzielt
Jatta ist unter Titz als einer von vier Außenbahnstürmern fest eingeplant. Sein Vertrag endet nach der kommenden Saison. Unter Jens Todt gab es bereits Gespräche über eine Vertragsverlängerung. Für Sportchef-Nachfolger Ralf Becker hat die Personalie derzeit nicht die oberste Priorität. Jatta selbst kann sich einen Verbleib in Hamburg gut vorstellen: „Wenn die Möglichkeit besteht, beim HSV zu bleiben, möchte ich das gerne tun. Der HSV ist der erste Club in meiner Karriere. Ich bin sehr dankbar für diese Chance.“
In der Zweiten Bundesliga will Jatta möglichst bald auch die Chance auf sein erstes Pflichtspieltor für die Profis nutzen. In Testspielen hat er regelmäßig getroffen. In der Bundesliga war er bereits mehrfach nahe dran. Wenn es so weit ist, will er auch euphorischer jubeln, als er das bei seinen 19 Regionalliga-Toren in der U 21 getan hat.
„Ein Tor ist keine Normalität für mich. Das liegt in meinem Naturell“, erklärt Jatta seine introvertierte Freude nach Toren in der Regionalliga. Was nach seinem ersten Treffer für die Profis passieren wird, lässt Jatta erahnen: „Ich glaube, dann werden die Fans einen anderen Baka erleben.“