Hamburg. Mit der Verpflichtung von Sportvorstand Ralf Becker ist das Führungspuzzle beim HSV komplettiert. Zumindest fast.

Der Parkplatz vor der HSV-Geschäftsstelle war am Mittwochvormittag gut besetzt. Auf Platz Nummer eins: Bernd Hoffmann, Vorstandsvorsitzender. Auf Platz Nummer zwei: Finanzvorstand Frank Wettstein. Auch Neu-Sportvorstand Ralf Becker parkte seinen Wagen vor dem Stadion, genauso Kaderplaner Johannes Spors und Trainer Christian Titz. Sogar Aufsichtsrat Max-Arnold Köttgen schaute in dieser Woche vorbei. Und natürlich wurde auch der Wagen von Sportdirektor Bernhard Peters gesehen. Zusammengefasst: Wer wichtig beim HSV ist, war am Dienstag und/oder Mittwoch vor Ort.

Gut 100 Tage ist es her, als alles andere als klar war, wer wirklich wichtig für den HSV ist. „Die wichtigen Positionen im Club sind nicht bestmöglich besetzt“, hatte Hoffmann am 18. Februar auf der Mitgliederversammlung in der Kuppel an der Trabrennbahn Bahrenfeld kritisiert. „Wir brauchen aber die Besten“, rief Hoffmann – und zählte auf: Clubchef, Sportvorstand, Finanzvorstand, Trainer, Chefscout, Nachwuchschef und Aufsichtsrat. Auf diesen sieben Positionen müsse ein Club bestmöglich besetzt sein. „Sind wir da wirklich optimal aufgestellt?“, fragte Hoffmann vom Podium aus mit bebender Stimme – und gab sich die Antwort selbst: nein!

André Hahn nach Augsburg

Dreieinhalb Monate, ein Abstieg und vier relevante Personalwechsel später stellte das Abendblatt nun die Frage erneut: Ist der HSV jetzt auf den sieben relevanten Positionen optimal aufgestellt? Hoffmanns Antwort diesmal: ja! „Über die Position des Vorstandschefs kann ich nicht viel sagen“, stapelte der Vorstandschef noch tief, lobte dann aber doch: „Ansonsten sind wir jetzt endlich auf allen Positionen, die entscheidend für den sportlichen und wirtschaftlichen Erfolg unseres Clubs sind, sehr gut aufgestellt.“

So gut jedenfalls, dass gestern Nachmittag die nächsten HSV-Personalentscheidungen verkündet werden konnten: Nach Lewis Holtby (hat verlängert) und Aaron Hunt (will verlängern) bleibt auch Kapitän Gotoku Sakai in der Zweiten Liga. Der Japaner unterschrieb einen neuen Vertrag bis 2020. Zudem wechselt André Hahn, der beim Neuaufbau in der Zweiten Liga keine Perspektive hatte, für drei Millionen Euro (plus erfolgsabhängiger Erfolgsprämien) zum FC Augsburg.

Stundenlange Gespräche

Beide Personalentscheidungen wurden von Trainer Titz angeregt, von Kaderplaner Spors umgesetzt und von Neu-Sportvorstand Becker abgenickt. Titz, Spors und Becker also. Das neue HSV-Trio hatte in den vergangenen drei Tagen ohnehin so etwas wie eine Volkspark-WG initiiert, in stundenlangen Gesprächen den kommenden Zweitligakader geplant. Kurzum: Das HSV-Führungspuzzle scheint komplett, oder? Oder nicht! Nach Hoffmanns Sieben­-Positionen-Grundsatzrede im Februar­ wurden die Clubchefs (Bruchhagen/Hoffmann), die Sportchefs (Todt/Becker), die Aufsichtsratschefs (Krall/Hoffmann/Köttgen) und die Trainer (Hollerbach/Titz) getauscht. Durch die ungewisse Zukunft von Sportdirektor Bernhard Peters passt ein HSV-Puzzleteil aber noch immer nicht.

Zur Erinnerung: Becker hatte in seiner Präsentation im Aufsichtsrat deutlich gemacht, dass er sich eine gemeinsame Zusammenarbeit mit Peters, der in einem Abendblatt-Interview selbst Ansprüche auf einen Vorstandsposten angemeldet hatte, nicht vorstellen könne. Auf Nachfrage wich Becker bei seiner ersten Pressekonferenz am Montag aus: „Zu Inhalten der Aufsichtsratssitzung äußere ich mich nicht. Alle anderen Themen, die es gibt, werden in den nächsten Tagen besprochen.“

Peters soll nur noch Nachwuchschef sein

Der offizielle Stand der Dinge lautet in etwa so: Es gibt da gewisse Differenzen, allerdings sollten diese möglichst zeitnah beigelegt werden. So hatte auch der Aufsichtsrat deutlich gemacht, dass es Becker und Peters zumindest mal mit­einander versuchen sollten. Und auch Trainer Titz, der ein gutes Verhältnis zu beiden pflegt, hofft auf baldiges Tauwetter mitten im Hochsommer.

Der inoffizielle Stand der Dinge ist indes ein anderer: So will Peters keinesfalls auf Becker zugehen – und Becker auch nicht umgehend auf Peters. „Der Schwerpunkt liegt derzeit auf der ersten Mannschaft“, sagt der Ex-Kieler. Intern hat Becker zudem klargemacht, dass Peters, der immer betonte, kein Nachwuchschef zu sein, ab sofort nur noch Nachwuchschef sein könnte. Somit gibt es nur zwei Möglichkeiten für eine Lösung. Möglichkeit eins: Peters akzeptiert seine Degradierung und konzen­triert sich fortan auf Campus und Talente. Nummer zwei: Peters verlässt den HSV. Für diesen Fall wurden bereits erste Gedankenspiele durchgespielt. Auch Nachwuchsleiter Dieter Gudel wäre ein Nachfolgekandidat für Peters.

„Hamburgs Führungspuzzle ist komplett“

Statt von den glorreichen Sieben kann man demzufolge vorerst beim HSV also nur von glorreichen Sechseinhalb sprechen. Wobei ein weiteres Puzzleteil zumindest unter erhöhter Beobachtung steht. So wird Wettstein und seinem neuen Vorstandskollegen Hoffmann keine allzu große Männerfreundschaft nachgesagt. Anders als im Fall von Peters ist hier aber kein Austausch von Puzzleteilchen angedacht.

Und trotzdem könnte Puzzlen schon bald die 31. Sportabteilung im HSV werden. So hatte das Abendblatt bereits vor vier Jahren die Geschichte „Hamburgs Führungspuzzle ist komplett“ veröffentlicht. Die damaligen (und mittlerweile fast schon wieder vergessenen) Puzzleteile: Vorstandschef Dietmar Beiersdorfer, Aufsichtsratschef Karl Gernandt, Sportkontrolleur Thomas von Heesen, Sportchef Peter Knäbel – und der letzte Noch-immer-Parkplatzbesitzer: Bernhard Peters.