Hamburg. Hamburgs neuer Sportvorstand hat beste Referenzen und galt schon als Spieler als echter Stratege. Becker weiß sich durchzusetzen.
Der erste richtungweisende Weg als Sportvorstand des HSV führte Ralf Becker am Montag zu Christian Titz. Mit dem Trainer der Hamburger will Becker eine Strategie für die Kaderplanung der kommenden Wochen entwickeln. „Es geht jetzt los. Wir haben keine Zeit zu verlieren“, hatte Becker kurz zuvor bei seiner Präsentation im Medienraum des Volksparkstadions gesagt.
Weißes Hemd, blaue Jeans, weiße Sportschuhe. Der ebenfalls neue Vorstandschef Bernd Hoffmann, der noch in seiner Funktion als Aufsichtsratschef die Gespräche mit Becker geführt hatte, hieß den neuen Sportchef in Hamburg willkommen. „Ralf Becker ist exakt der richtige Sportvorstand für unseren Club“, sagte Hoffmann.
Becker, den Hoffmann für eine niedrige sechsstellige Summe vom neuen Ligakonkurrenten Holstein Kiel loseisen konnte, unterschrieb am Montag einen Dreijahresvertrag bis 2021. „Mich reizt die Aufgabe“, sagte Becker. „Der HSV ist einer der größten Fußballclubs Deutschlands. Uns muss aber bewusst sein, dass wir in der nächsten Saison in der Zweiten Liga spielen. Wir müssen demütig, bescheiden und fleißig sein.“
Becker muss und wird auf Peters zugehen
Der zweite richtungweisende Weg dürfte Becker nun zu Bernhard Peters führen, um mögliche Differenzen auszuräumen. Becker soll einer Zusammenarbeit mit dem Direktor Sport und Nachwuchschef vor seiner Verpflichtung skeptisch gegenüber gestanden haben. Peters hatte vor drei Wochen im Abendblatt Ambitionen geäußert, Beckers Posten zu übernehmen. Der neue Manager solle am besten unterhalb der Vorstandsebene arbeiten, sagte Peters.
Nun wird Peters unterhalb des Vorstands Sport arbeiten – und der heißt ab sofort Ralf Becker. Clubchef Hoffmann machte am Montag klar, wie die Kompetenzen künftig verteilt sind. „Wir haben ganz klare Zuständigkeiten. Die Verantwortung für den Gesamtbereich Sport hat Herr Becker“, sagte Hoffmann. Somit muss nun auch Peters klarmachen, ob er sich in der Hierarchie unterhalb des Vorstandes einordnen wird.
In der Besetzung der entscheidenden Positionen sieht Hoffmann den HSV jetzt gut aufgestellt. Damit sei aber noch nichts erreicht. „Wir haben eine unglaubliche Vielzahl an Aufgaben zu lösen“, sagte Hoffmann. „Wir sind ein Club, der sich in einer echten Krise befindet. Da gilt es die Kräfte zu bündeln.“
Becker steht vor reichlich Aufgaben
Hoffmann machte schließlich auch deutlich, dass Becker keine B-Lösung sei. Kandidaten gab es von Beginn an mehrere. Rouven Schröder hatte nach der Saison erklärt, in Mainz bleiben zu wollen. Markus Krösche wollte der SC Paderborn nicht ziehen lassen. Becker, der sich schon vor Saisonende entschieden hatte, Kiel zu verlassen, gehörte immer zum auserwählten Kreis.
Krösche erhielt vor der Sitzung des Kontrollgremiums in einer Probeabstimmung zwar eine Zustimmung von 66,7 Prozent, für Becker stimmten am Sonnabend aber schließlich sechs von sechs Räten. „Ralf Becker ist meine absolute Wunschlösung“, sagte Hoffmann.
Kommentar: Becker-Zwist mit Peters: Schluss mit den HSV-Eitelkeiten
Mehr als 20 Personalentscheidungen warten nun auf den neuen Kader-Strategen. Dabei ist Becker sowohl als Einkäufer als auch als Verkäufer gefragt. Spieler wie Alen Halilovic, Pierre-Michel Lasogga, Albin Ekdal oder Filip Kostic gilt es zu Geld zu machen. Spieler wie Aaron Hunt muss er nicht nur vom Bleiben überzeugen – sondern auch von den deutlich geringeren Bezügen. Neben den vielen jungen Spielern, die aus dem eigenen Nachwuchs dazukommen, muss Becker auch noch Führungsspieler für den HSV gewinnen.
Becker ist ein Stratege
„Wir brauchen eine gute Führungsstruktur“, sagte Becker über seine Kaderplanung für die Zweitligasaison. „Die nächsten zwölf Monate werden wir die Topmannschaft sein. Wir werden der Gejagte sein. Das werden Pokalspiele, darauf müssen wir uns einstellen. Wir müssen über Mentalität, Zweikämpfe und den Teamgedanken kommen.“
Attribute, die Becker bereits in Kiel erfolgreich vereinte. Und auch deswegen von Hoffmann für den HSV auserkoren wurde. „Er strahlt Leistungsbereitschaft, Bescheidenheit und Teamfähigkeit aus“, sagte Hoffmann, der nun mit Finanzchef Frank Wettstein und Sportchef Becker den dreiköpfigen Vorstand bilden wird, der den HSV wieder in bessere Zeiten führen soll.
Dass Becker die nötigen strategische Fähigkeiten besitzt, hat er nicht nur als Manager in Kiel bewiesen. Auch den früheren Spieler beschreiben ehemalige Weggefährten als Strategen. Becker war ein echter Zehner. 38-mal lief er für Bayer Leverkusen und den FC St. Pauli in der Bundesliga auf, 111-mal in der Zweiten Liga für den Karlsruher SC, die Stuttgarter Kickers und den SSV Reutlingen.
Einer seiner Mitspieler war Fredi Bobic. Allerdings bereits in Beckers jungen Oberliga-Jahren bei den TSF Ditzingen. Spielmacher Becker leitete ein, Stürmer Bobic vollstreckte.
Becker baute in Stuttgart Timo Werner auf
So ähnlich lief es auch 20 Jahre später, als Manager Bobic den Chefscout Becker zum VfB Stuttgart holte. Becker bereitete Transfers vor, Bobic schloss sie ab. Zudem leitete Becker in Stuttgart zwischenzeitlich die Nachwuchsabteilung. Dabei trieb er insbesondere die Entwicklung von Deutschlands Topstürmer Timo Werner voran. Auch Joshua Kimmich zählte zu den damaligen VfB-Youngstern.
Mit Bobic-Nachfolger Robin Dutt fand Becker dann aber keinen gemeinsamen Nenner. Chefscout Becker fühlte sich und seine Abteilung vernachlässigt, verließ Stuttgart im Januar 2016. Schon zu diesem Zeitpunkt reifte bei Becker der Entschluss, künftig selbst als Sportchef zu arbeiten. Eine Idee, die er konsequent verfolgte.
Beckers Erfolge bei Holstein Kiel
Im Sommer jenes Jahres folgte das Angebot von Holstein Kiel. Und Becker bewies auf Anhieb, dass er in der Lage ist, mit wenig Mitteln einen schlagkräftigen Kader zusammenzustellen. Für die späteren Leistungsträger Dominick Drexler (VfR Aalen), Kingsley Schindler (Hoffenheim II), Marvin Ducksch (FC St. Pauli/Leihe) oder Dominic Peitz (KSC) zahlte er nicht einen Cent Ablöse.
Zudem machte er mit seiner Trainerentscheidung alles richtig. Er beurlaubte nach nur wenigen Wochen den in Kiel beliebten Trainer Karsten Neitzel und verpflichtete Markus Anfang aus Leverkusen. Beschäftigt hatte sich Becker zudem mit Hannes Wolf und Domenico Tedesco. Anfang stieg mit Kiel in die Zweite Liga auf und verpasste vor einer Woche in der Relegation nur knapp den Durchmarsch in die Bundesliga.
In Hamburg schließt sich für Becker nun ein Kreis. Mit Trainer Christian Titz hatte er schon Anfang des Jahres gesprochen, als er einen neuen Kieler Trainer suchte. Nun planen die beiden die sportliche Zukunft des HSV. Damit der Club so schnell wie möglich wieder in der Bundesliga spielt.