Hamburg . Der neue Vorstandschef redet seinen Kollegen Ralf Becker bei dessen Vorstellung stark. Gelöst ist das Problem damit nicht.
Begleitet von reichlich Blitzlichtgewitter, betrat Bernd Hoffmann an der Seite des neuen Sportvorstands die Bühne. Klick. Klick, klick, klick. Schnell wird klar: Es ist Vorstellungsalltag beim HSV. "Ich freue mich, wieder hier zu sein", eröffnete der neue Club-Boss Bernd Hoffmann die Pressekonferenz am Montagnachmittag. Den Fokus schiebt er aber schnell zwei Stühle weiter, an Pressesprecher Till Müller vorbei zu Ralf Becker. "Es war ein sehr intensiver Auswahlprozess, der fast 100 Tage gedauert hat", erklärt Hoffmann, bevor er das Wort an den Auserwählten übergibt.
Dessen erste Worte klingen bescheiden. "Von meiner Seite auch erst mal Hallo", sagt Becker, der vor allem seinem Ex-Club Holstein Kiel, mit dem sich der HSV auf eine Ablöse im niedrigen sechsstelligen Bereich geeinigt hat, zu Dankbarkeit verpflichtet ist. "Ich bin Holstein Kiel wahnsinnig dankbar, mir diese Chance ermöglicht zu haben."
Dann richtet Becker den Blick nach vorn. "Einfach kann ja jeder. Mir ist schon klar, was hier auf uns zukommt. Mich reizt der HSV und die Aufgabe, hier eine erfolgreiche Zukunft zu gestalten. Hier kann man etwas bewegen und gemeinsam anpacken", sagt der neue Sportchef über seine Erwartungen in Hamburg. Und im Detail: "Der HSV ist einer der größten Fußballvereine in Deutschland. Wir sollten aber demütig und fleißig sein, unsere Ziele aber optimistisch stecken – das macht es spannend."
HSV-Aufsichtsrat wollte erst Krösche verpflichten
Gemeinsam mit Vorstandschef Bernd Hoffmann und dem für Finanzen zuständigen Frank Wettstein ist der 47-jährige Becker von sofort an verantwortlich für das operative Geschäft beim Bundesliga-Absteiger.
Der ehemalige Profi kommt vom erst in der Relegation gescheiterten Zweitliga-Dritten Holstein Kiel und erhält bei den Hamburgern einen Dreijahresvertrag. In Kiel war er Geschäftsführer Sport. Erst am Wochenende hatte sich der Aufsichtsrat für Becker und gegen Markus Krösche vom Zweitliga-Aufsteiger SC Paderborn ausgesprochen. Die Verpflichtung von Krösche war angeblich an den hohen Ablöseforderungen der Paderborner Clubführung von angeblich 2,5 Millionen Euro gescheitert.
Ein Thema, das Hoffmann an diesem Nachmittag beiseitewischte. "Ralf ist exakt der richtige Kandidat für uns in unserer Situation. Er kennt die Zweite Liga in- und auswendig; er paart die Qualitäten Leistungsbereitschaft, Bescheidenheit und Teamgeist. Deshalb ist er mein absoluter Wunschkandidat", stellte der neue Vorstandschef klar. Dass Hoffmann sich vor einigen Wochen Absagen von Leverkusens Jonas Boldt und dem Mainzer Rouven Schröder eingehandelt hatte, verschwieg er ebenfalls.
Hoffmann erklärt seinen Sinneswandel
Am Sonnabend hatte der Aufsichtsrat seinen Vorsitzenden Hoffmann in das Gremium „interimsweise“ gesandt. Der 55-Jährige wird für diese Zeit seinen Chefposten bei den Kontrolleuren ruhen lassen, bleibt aber ehrenamtlicher Präsident des Gesamtvereins – eine Lösung, die Hoffmann selbst noch vor wenigen Wochen ausgeschlossen hatte. Er selbst begründete die Entscheidung mit der prekären Situation des HSV nach dem Abstieg: "Wir kommen jetzt in eine neue Phase. Vor uns liegt ein Riesenberg an Aufgaben. Wir befinden uns nicht im Honeymoon-Modus, sondern in einer echten Krise."
Seit der Trennung von Vorstandschef Heribert Bruchhagen und Sportvorstand Jens Todt Anfang März war Finanzvorstand Frank Wettstein das einzige Vorstandsmitglied. Becker und seine neuen Kollegen erwartet viel Arbeit. Gemeinsam mit Trainer Christian Titz müssen sie die Rückkehr in die Bundesliga nach dem ersten Abstieg nach 55 Jahren gestalten.
Klärendes Gespräch mit Peters steht bevor
Gleich sein erster Anruf am Sonntag habe Titz gegolten, um mit ihm den Kader für die kommende Saison zu planen, sagte Becker: "Der Schwerpunkt muss jetzt auf dem Fußball liegen." Alle anderen Fragen seien nachgeordnet und würden "in den nächsten Tagen" besprochen.
Kommentar: Becker-Zwist mit Peters: Schluss mit den HSV-Eitelkeiten
Gemeint war damit vor allem der schwelende Konflikt mit Bernhard Peters. Becker soll eine Zusammenarbeit mit dem für die Nachwuchsarbeit verantwortlichen Direktor Sport bei seiner Präsentation vor dem Aufsichtsrat zumindest für schwierig gehalten haben, was er am Montag auf Nachfrage nicht bestätigen wollte.
Hoffmann spricht Machtwort
Hintergrund: Der ehemalige Hockey-Bundestrainer Peters (58) hatte sich in einem Abendblatt-Interview selbst als neuen Sportvorstand ins Gespräch gebracht. Das war für den HSV allerdings kein Thema. Da er aber große Verdienste um die Nachwuchsarbeit erworben hat, will man Peters eigentlich im Verein behalten.
Hoffmann sprach in der Sache jetzt ein Machtwort: "Wir haben ganz klare Zuständigkeiten. Es gibt einen Verantwortlichen für den gesamten Sport, und das ist Ralf Becker." Der neue Sportvorstand selbst pochte ebenfalls auf die Hierarchie. Sein Augenmerk liege zwar auf der ersten Mannschaft, "sie ist das Flaggschiff, das funktionieren muss", sagte Becker. Für allen anderen sportlichen Fragen gebe es beim HSV "gute Mitarbeiter, die die von mir gestellten Aufgaben gut bewältigen können".
Schon in seiner Zeit als Chefscout und Nachwuchsleiter des VfB Stuttgart (2011 bis 2016) sollen sich Becker und Peters, bis 2014 Nachwuchschef bei 1899 Hoffenheim, im Werben um Talente ins Gehege gekommen sein. Becker will davon aber nichts wissen: Er habe noch einmal überlegt, ob er irgendwas vergessen habe. "Aber es gab in meiner VfB-Zeit nie irgendwas, was mit der heutigen Situation zu tun hat."
Aufsichtsratschef ruft zu Geschlossenheit auf
Der kommissarische Aufsichtsratsvorsitzende Max-Arnold Köttgen rief deshalb zur Geschlossenheit auf. "Wir stehen vor einem brutal schwierigen Jahr und haben nun Topleute an Bord, von denen jedem Einzelnen bewusst sein sollte und muss, dass wir ihn brauchen und dass wir nur als Einheit den Erfolgsweg einschlagen werden, den wir alle anstreben", sagte er in einem Interview mit "HSV.de". "Wir als Aufsichtsrat haben daher einen konkreten Auftrag an alle Führungskräfte: Bringt eure Stärken ein, spielt im Team, und stellt persönliche Interessen hinten an, dann haben wir die größtmöglichen Erfolgschancen."
Becker hat in Kiel, aber auch schon als Chefscout des VfB Stuttgart sein Können bewiesen. Vor allem bei Holstein zeigte er, dass er aus geringen Mitteln viel machen kann. In seinen zwei Jahren in Kiel führte er den Club gemeinsam mit dem künftigen Kölner Trainer Markus Anfang von der 3. beinahe in die Bundesliga. Die Kieler waren erst in der Relegation am VfL Wolfsburg gescheitert.
Becker wollte Titz nach Kiel holen
Becker hatte unabhängig davon aber bereits seinen Abgang zum Saisonende angekündigt. Der HSV sei dabei seine "Wunschlösung" gewesen, "aber vielleicht gab es auch eine Alternative". Beckers Fähigkeiten sind nun bei der Zusammenstellung eines aufstiegsfähigen HSV-Kaders gefragt. Es gelte jetzt, eine gute Alters- und Führungsstruktur zu finden.
Becker schätzt Trainer Titz, mit dem er schon einmal über einen möglichen Wechsel nach Kiel gesprochen hatte. "Seine Spielidee ist interessant und ähnelt der von Holstein Kiel", sagte Becker. Der Kontakt zu Titz komme ihm jetzt entgegen: "Ich bin froh, dass wir uns in einer Zeit kennengelernt haben, die nichts mit der heutigen zu tun hat."
Becker hat eine klare Vorstellung davon, was den HSV in der Zweiten Liga erwartet – und es wird ganz anders sein als das, was er mit dem Aufsteiger und Underdog Holstein Kiel in der vergangenen Saison erlebt hat. "Wir werden die Gejagten sein", sagte Becker. "Jedes Spiel wird Pokalcharakter haben, weil wir für den Gegner die Topmannschaft sind."