Hamburg. Vorstand Wettstein erklärt den Trainerwechsel und droht einigen Lustlos-Profis. Bernd Hollerbach ist “sehr enttäuscht“.

Der zweite Trainerwechsel beim HSV in der laufenden Saison ist perfekt: Nach nur sieben Wochen haben die akut abstiegsbedrohten Hamburger Bernd Hollerbach entlassen. Interims-Vorstandschef Frank Wettstein informierte den früheren Linksverteidiger telefonisch über sein Aus. „Ich bin natürlich sehr enttäuscht“, sagte Hollerbach dem Abendblatt. "Ich habe versucht, ihn persönlich zu treffen. Das war ob der Entfernung nicht möglich. Wir haben uns aber zu einem persönlichen Gespräch in den kommenden Tagen verabredet", erklärte Wettstein das Vorgehen des Rauswurfs. Die Spieler erfuhren von dem Rauswurf erst, als die Nachricht längst die Runde machte.

Am Nachmittag bestätigte der Verein die Personalie auch offiziell: „Wir haben die sportliche Gesamtlage nach der 0:6-Niederlage in München intensiv analysiert und diskutiert“, sagte Wettstein, der mit Sportdirektor Bernhard Peters und dem Aufsichtsratsvorsitzenden Bernd Hoffmann die Entlassung Hollerbachs beschlossen hatte: „Am Ende sind wir zur Überzeugung gelangt, dass wir im Hinblick auf unsere Chancen im Kampf um den Klassenerhalt handeln mussten.“

Zwar habe Hollerbach "nie gejammert und sich tadellos verhalten", es sei aber keine "wesentliche Verbesserung erkennbar" gewesen, zudem hätten "positive Ergebnisse gefehlt", so Wettstein weiter. Hollerbachs Vertrag lief noch bis 2019 mit Gültigkeit für die Erste und Zweite Liga. Eine mögliche Abfindung wird in den kommenden Wochen verhandelt.

Wettstein: Titz soll bei Lustlos-Profis durchgreifen

Sein Nachfolger wird der bisherige U21-Coach Christian Titz. Ihm soll in den verbleibenden acht Saisonspielen ein stilvoller Abschied aus der Bundesliga oder sogar das Wunder Klassenerhalt gelingen. Seine erste Trainingseinheit leitet er am Dienstag. Dabei soll der neue Mann vor allem auf die Einstellung der Profis achten, die Wettstein in München missfiel. "Sollte das neue Trainerteam Spieler identifizieren, die sich nicht mit ausreichend Engagement den gemeinsamen Zielen widmen, kann es rigoros durchgreifen", sagte Wettstein.

Mit Hollerbach müssen auch seine Assistenten Steffen Rau und Rodolfo Cardoso gehen, Torwart-Trainer Stefan Wächter und Teammanagerin Maria Wallenborn wurden ebenfalls von ihren Aufgaben entbunden. Titz bringt seinen eigenen Co-Trainer Soner Uysal und den U21-Torwart-Trainer Nico Stremlau mit, der bisherige Co-Trainer Matthias Kreutzer wird ebenfalls zum neuen Trainerstab gehören.

17 Trainer in elf Jahren beim HSV:

17 Trainer in 14 Jahren beim HSV

Thomas Doll (18. Oktober 2004 – 1. Februar 2007)
Thomas Doll (18. Oktober 2004 – 1. Februar 2007) © Witters
Huub Stevens (1. Februar 2007 bis 30. Juni 2008)
Huub Stevens (1. Februar 2007 bis 30. Juni 2008) © Witters
Martin Jol (1. Juli 2008 bis 26. Mai 2009)
Martin Jol (1. Juli 2008 bis 26. Mai 2009) © Witters
Bruno Labbadia (1. Juli 2009 bis 26. April 2010)
Bruno Labbadia (1. Juli 2009 bis 26. April 2010) © Witters | TimGroothuis
Michael Oenning (13. März 2011 bis 19. September 2011)
Michael Oenning (13. März 2011 bis 19. September 2011) © Witters
Rodolfo Cardoso (19. September 2011 bis 10. Oktober 2011 und 17. September 2012 bis 24. September 2012)
Rodolfo Cardoso (19. September 2011 bis 10. Oktober 2011 und 17. September 2012 bis 24. September 2012) © Witters
Thorsten Fink (17. Oktober 2011 bis 17. September 2013)
Thorsten Fink (17. Oktober 2011 bis 17. September 2013) © Witters
Bert van Marwijk (25. September 2013 bis 15. Februar 2014)
Bert van Marwijk (25. September 2013 bis 15. Februar 2014) © Witters
Mirko Slomka (16. Februar 2014 bis 15. September 2014)
Mirko Slomka (16. Februar 2014 bis 15. September 2014) © WITTERS | TimGroothuis
Joe Zinnbauer (16. September 2014 bis 22. März 2015)
Joe Zinnbauer (16. September 2014 bis 22. März 2015) © dpa
Peter Knäbel (23. März 2015 bis 14. April 2015)
Peter Knäbel (23. März 2015 bis 14. April 2015) © Witters
Bruno Labbadia (15. April 2015 bis 25. September 2016)
Bruno Labbadia (15. April 2015 bis 25. September 2016) © dpa | Christian Charisius
Markus Gisdol (25. September 2016 bis 21. Januar 2018)
Markus Gisdol (25. September 2016 bis 21. Januar 2018) © WITTERS | TimGroothuis
Bernd Hollerbach (21. Januar bis 12. März 2018)
Bernd Hollerbach (21. Januar bis 12. März 2018) © Witters
Christian Titz (seit 12. März 2018)
Christian Titz (seit 12. März 2018) © Witters
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Doch damit nicht genug: Thomas von Heesen soll das neue Trainerteam unterstützen. Der ehemalige HSV-Profi und Aufsichtsrat übernehme "viele der Aufgaben des in der vergangenen Woche beurlaubten Direktors Profifußball" – allerdings nur interimsweise, bis über die sportliche Leitung neu entschieden ist.

Titz führt HSV II Richtung Aufstieg

Am Montagabend sollte die zweite Mannschaft des HSV eigentlich beim Tabellensechsten VfB Lübeck antreten. Die Partie ist allerdings wegen Unbespielbarkeit des Platzes abgesagt worden. Wenn der Nachholtermin steht, wird der bisherige U16-Trainer Steffen Weiß an der Seitenlinie stehen, weil Titz bereits mit den Profis beschäftigt sein wird. Nach Abendblatt-Informationen wurde der 46-Jährige erst am Montag über seine Beförderung in Kenntnis gesetzt. Am Sonntag ging er noch davon aus, am Montag mit seinem Nachwuchs nach Lübeck zu reisen.

Der bisherige U21-Trainer Christian Titz gewann 13 von 20 Saisonspielen in der Regionalliga, bei nur einer Niederlage und sechs Unentschieden
Der bisherige U21-Trainer Christian Titz gewann 13 von 20 Saisonspielen in der Regionalliga, bei nur einer Niederlage und sechs Unentschieden © Witters

Doch wer ist dieser Titz? Der Kumpel von Lewis Holtby trainierte den Mittelfeldspieler einst privat, übernahm erst im Sommer die U21 des HSV. Zuvor etablierte er die U17 mit Rang fünf (2015/16) und Rang drei (2016/17) in der Spitzengruppe der Staffel Nord/Nordost. "Mich beeindruckt seine Leidenschaft für das Spiel. Er ist detailversessen und mit aller Akribie in das Spiel vertieft", schwärmte Nachwuchs-Chef Bernhard Peters. "Er hat aus einer mittelmäßigen U17 ein sehr starkes Team gemacht. Wir glauben, dass er den HSV noch retten kann."

Noch erfolgreicher arbeitete Titz aber für die "Rothöschen". Die zweite Mannschaft der Hamburger führt die Tabelle der Regionalliga souverän an. Titz' Punkteschnitt beträgt stolze 2,25. Ob sich der Verein einen mit höheren Kosten verbundenen Aufstieg in die Dritte Liga überhaupt leisten kann, ist allerdings mehr als fraglich. Peters hofft aber weiterhin, die Verantwortlichen von einem Antrag für die Drittligalizenz überzeugen zu können. Er bejahte eine entsprechende Nachfrage und führte aus: "Wir streben das Optimale an."

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HSV seit drei Spielen torlos

Vor allem im Falle eines Abstiegs der Profis würde das nötige Kleingeld fehlen. Und der erste Abstieg in der 55 Jahre währenden Bundesliga-Geschichte des HSV scheint kaum noch verhinderbar. Auch nachdem Trainer Markus Gisdol entlassen wurde, hat sich die Mannschaft um Kapitän Gotoku Sakai nicht weiterentwickelt – und vor allem hat sie nicht entscheidend gepunktet. Magerere drei Zähler holte Hollerbach in sieben Spielen.

Noch erschreckender ist die Torausbeute in diesem Zeitraum: Gerade mal drei Törchen erzielten die Hanseaten unter der Regie des Franken, die vergangenen drei Partien endeten gar torlos – für den HSV. Seit 289 Minuten wartet der HSV auf einen Treffer, Platz 17 ist die Konsequenz. Der Rückstand auf den Relegationsplatz 16 (Mainz 05) beträgt sieben Punkte und neun Tore.

HSV gerät beim FC Bayern unter die Räder:

HSV gerät beim FC Bayern unter die Räder

Mal wieder hängen die Köpfe beim HSV. Erst nach dem Spiel war Feuer drin, als Papadopoulos die Transferpolitik kritisierte
Mal wieder hängen die Köpfe beim HSV. Erst nach dem Spiel war Feuer drin, als Papadopoulos die Transferpolitik kritisierte © Bongarts/Getty Images | Sebastian Widmann
Einzig erfreuliche Nachricht: Josha Vagnoman feierte mit seiner Einwechslung in der 70. Minute sein Bundesliga-Debüt und ist mit 17 Jahren, zwei Monaten und 27 Tagen der jüngste Spieler, der für den HSV im Fußball-Oberhaus zum Einsatz kam
Einzig erfreuliche Nachricht: Josha Vagnoman feierte mit seiner Einwechslung in der 70. Minute sein Bundesliga-Debüt und ist mit 17 Jahren, zwei Monaten und 27 Tagen der jüngste Spieler, der für den HSV im Fußball-Oberhaus zum Einsatz kam © imago/Jan Huebner
Gideon Jung (M.) kann Thomas Müller nicht vom Ball trennen
Gideon Jung (M.) kann Thomas Müller nicht vom Ball trennen © dpa | Sven Hoppe
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Das 0:6 bei Bayern München am Sonnabend war ein spielerischer und kämpferischer Offenbarungseid. Das räumten selbst die Profis ein. „Viel schlimmer als gegnerische Fan-Gesänge ist die Einstellung bei einigen von uns. Keine Ahnung, wie so etwas möglich ist. Die sollte man mal fragen“, ätzte Stürmer Sven Schipplock im NDR. "Wir haben uns so dumm bei den Gegentoren angestellt. Gefühlt wurde aus jedem langen Ball des Gegners eine hundertprozentige Torchance", klagte Spielmacher Aaron Hunt. "Dabei haben wir sogar noch davon profitiert, dass Bayern zwei Gänge zurückgeschaltet hat."

Hollerbach kritisiert HSV-Führung

Für Hollerbach standen die Schuldigen nach dem Spiel schnell fest: die Clubführung, bestehend aus Interims-Vorstandschef Wettstein und Aufsichtsratschef Bernd Hoffmann. „In den letzten Wochen gab es schon viel Unruhe“, sagte der 48-Jährige, dem insbesondere der doppelte Rauswurf von Vorstandschef Heribert Bruchhagen, der ab Sommer auf sein Gehalt verzichtet, und Manager Jens Todt nur zwei Tage vor der Partie missfiel: „Ich bin eigentlich keiner, der nach Ausreden sucht, aber in dem Fall ist es schon viel, was auf die Spieler einprasselt.“

Für ihn und seine Mannschaft sei es nur schwer möglich gewesen, die Geschehnisse außerhalb des Platzes einfach so auf dem Platz auszublenden. Es waren Worte, die bei der Clubführung auf wenig Gegenliebe stießen. "Die Niederlage auf die jüngsten Entlassungen zu schieben, wäre ein Alibi. Einige, auch die Spieler, haben sich so geäußert, wie wir uns das nicht wünschen", sagte Wettstein am Montag.

Twitter-Bild zeigt Drohungen gegen den HSV

Hollerbachs Kritik fiel wohl so deutlich aus, weil Hollerbach unmittelbar nach dem Debakel von München bereits ahnte, keine Zukunft mehr beim (Noch-)Bundesliga-Dino zu haben. Als Indiz hierfür sah er vor allem die fehlende Kommunikation mit der Clubspitze. In den vergangenen Tagen wurde intern lediglich über, aber nicht mit Hollerbach geredet.

Wettstein: "Der Umstand, dass die Mannschaft in München ausgerechnet die Grundtugenden nicht eingebracht hat, hat uns alle sehr überrascht. Darum habe ich mich auch so intensiv mit Bernhard Peters und Hoffmann ausgetauscht und um ihre Expertise gebeten. Das Resultat war eindeutig: Wir sahen uns zum Handeln gezwungen."

Folgt Doll auf Titz im Sommer?

In den internen Gesprächen über die Zukunft des Vereins einigte man sich eigentlich darauf, dass der noch zu findende neue Sportvorstand den Trainerwechsel vollziehen soll. Da sich eine schnelle Entscheidung für die Nachfolge des beurlaubten Sportchefs Jens Todt aber weiterhin nicht abzeichnet, wählten die Verantwortlichen um Präsident Hoffmann nun mit Titz den Kompromiss einer internen Lösung.

Der bisherige U21-Coach soll die Profis die übrigen acht Spiele betreuen. Im Sommer strebt der Club dann eine prominentere Lösung an. Laut "Bild" soll auch ein alter Bekannter zum Kandidatenkreis zählen: Ex-Trainer Thomas Doll, der aktuell bei Ferencváros Budapest unter Vertrag steht.

Doch das ist ohnehin Zukunftsmusik. Die Bühne gehört nun vorerst Titz. Seine Premiere gibt der neue Coach am kommenden Sonnabend im Heimspiel gegen Hertha BSC (15.30 Uhr/Sky und im Abendblatt-Liveticker). "Hertha ist unsere letzte Chance. Es ist ein Finale", weiß Abwehrchef Kyriakos Papadopoulos, der noch an den letzten Funken Hoffnung glaubt. Den Funken Titz.