Hamburg. U-21-Europameister ist in Hamburg nur noch dritter Torhüter. Todt will ein paar Dinge klarstellen, Berater Rummenigge droht.
Als Julian Pollersbeck am Montagmorgen als letzter HSV-Profi vom aufgeweichten Rasen schlurfte, hatte der Novemberregen schon längst auch den letzten Trainingszuschauer vertrieben. Dunkle Wolken zogen über den Volkspark. Und wenn noch irgendwer ein Klischeebild über das ach so miese Hamburger Schmuddelwetter gebraucht hätte, dann wurde derjenige am Montag rund um das Stadion fündig. Ein stimmiges grau in grau in grau.
Die Rosamunde-Pilcher-Szenerie dürfte zum Gemütszustand Pollersbecks, der es am Vortag zum zweiten Mal in Folge nicht in den Kader geschafft hatte, gepasst haben. Der baumlange Torhüter schlich gebückt vom Platz, in der einen Hand eine kleine Getränkekiste, in der anderen einen Ball.
Pollersbeck ist "der HSV passiert"
Nur viereinhalb Monate ist es her, dass Pollersbeck schon einmal als Letzter den Rasen verließ. In den Katakomben des Marshal-Jozef-Pilsudski-Stadions von Krakau war die Stimmung allerdings eine andere. Pollersbeck und die U21 waren gerade Europameister geworden – und als der Torhüter nach seinen Gefühlen gefragt wurde, holte Deutschlands Nachwuchskeeper Nummer eins kurzerhand eine Musikbox hervor, drehte auf und zog zur Mallorca-Hitzeile „Currywurst und Dosenbier, Fiesta de la Noche“ singend ab. „Ich wusste, dass er eine echte Stimmungskanone sein kann“, lobte Trainer Stefan Kuntz im „Aktuellen Sportstudio“ seine Nummer eins, die sich innerhalb von einem Jahr von der Lauterer Zweitliga-Ersatzbank zum begehrtesten Torwarttalent Deutschlands entwickelt hatte.
Bleibt 20 Wochen später die Frage, was zwischen der Dosenbiernacht von Krakau und dem Schmuddelwettermorgen von Hamburg passiert ist. Der HSV, das ist die kurze Antwort. Doch wie meistens im Leben gibt es eben auch im Fall Pollersbeck eine lange Antwort.
Gisdol entscheidet sich für Mickel
Hinter vorgehaltener Hand gibt es sogar zwei lange Antworten. Antwort Nummer eins: Pollersbecks Trainingseinstellung. „Tom Mickel hat herausragend trainiert. Und als Trainer muss ich die Trainingsleistungen bewerten“, sagte HSV-Coach Markus Gisdol, der auch auf mehrfache Nachfrage zu Pollersbeck lediglich über Mickel reden wollte. „Es ist eine Entscheidung für Tom.“
Eine Entscheidung gegen Pollersbeck wird es aber dann, wenn man bei Antwort Nummer zwei landet: Pollersbecks angeblich mangelhafte Einstellung abseits des Trainings. „Ich habe keine Notwendigkeit gesehen für ein erneutes Gespräch“, antwortete Gisdol vielsagend nichtssagend. Allerdings ließ der HSV in der Vergangenheit auch eine Reihe von Zeitungsberichten unkommentiert, die dem 23 Jahre alten Torhüter eine zweifelhafte Berufsauffassung attestieren. So berichtete die „Bild“-Zeitung am Montag erneut, dass Pollersbeck auch „gerne mal in den Abendstunden etwas länger aus dem Haus gehen“ würde.
Ehrmann zieht über Pollersbeck her
Es dauerte nicht lange, ehe sogar Pollersbecks Entdecker den Stab über seinen einstigen Zögling brach. „Ich habe kein Mitleid mit ihm. Er denkt, er habe es nicht nötig. Er ist zu bequem und hat sehr wenig Eigenantrieb. Man muss ihm zweimal die Woche den Arsch aufreißen, weil er von sich aus nichts macht“, schimpfte Kaiserslauterns Torwarttrainer Gerry Ehrmann bei Sport1 – und weiter: „Ich habe gehört, dass er um die Häuser ziehen soll. Wenn das bei mir passiert wäre, dann hätte er am nächsten Tag so trainiert, dass er dafür zu müde gewesen wäre. Er ist nicht grundlos dritter Torwart beim HSV, da kommt Hochmut vor dem Fall.“
Todt will ein paar Dinge klarstellen
Sportchef Jens Todt kennt die Pollersbeck-Vorwürfe. Und sie ärgern ihn sehr. „In der Vergangenheit wollten wir uns zu diesen Gerüchten nicht äußern, aber jetzt ist es mal an der Reihe, ein paar Dinge klarzustellen“, sagt der Manager, der am Montag zunächst mit Pollersbeck selbst und später auch mit dessen Berater Roman Rummenigge, Sohn von Bayern-Chef Karl-Heinz, sprach. „Eines vorweg: Es gibt von uns keinen Tadel, dass sich Julian unprofessionell verhalten würde“, sagt Todt, der auf Nachfrage lediglich zwei mehr oder eher weniger schwere Vorwürfe einräumt. So sei Pollersbeck am 21. August mitten in der Nacht beim „Sport Bild“-Award in der Fischauktionshalle erschienen, obwohl er am nächsten Tag Training hatte (das Abendblatt berichtete). Der HSV-Neuzugang hatte an diesem Abend nach eigenen Angaben aber keinen Alkohol getrunken. Somit könnte man den nächtlichen Ausflug auf die Party mit Sportjournalisten aus ganz Deutschland als „ziemlich unclevere Aktion“ (Todt) abhaken.
Vorfall Nummer zwei: Pollersbeck wurde in einem Restaurant mit einem Weinglas fotografiert. „Als Fußballer darf man auch mal ein Glas Wein trinken“, sagt Todt, der dem vielkritisierten Keeper sogar eine ordentliche Entwicklung auf dem Rasen bescheinigt: „Polle hatte ein paar Dinge, an denen er arbeiten musste. Das hat er getan.“
Rummenigge nimmt Pollersbeck in Schutz
Also Ende gut, alles gut? Nicht ganz. Denn besonders Berater Rummenigge kann trotz Todts Friedensangebot nur wenig mit Pollersbecks Degradierung zur Nummer drei anfangen. „Julian hatte mehrere Angebote im Sommer und hat sich bewusst für den HSV entschieden. Er möchte sich in Hamburg durchsetzen und macht dafür sehr viel“, sagt Rummenigge.
So hätte sich Pollersbeck nach einem ersten Gespräch mit Gisdol bereits vor Wochen einen Ernährungsberater genommen, mit Boxtraining angefangen und mit Torwarttrainer Stefan Wächter ein persönliches Extraprogramm ausgearbeitet. Die erneuten Negativschlagzeilen nach Pollersbecks Degradierung will Rummenigge deswegen nicht akzeptieren: „Klar ist, dass ein Club seinen eigenen Spieler schützen muss, wenn über ihn Dinge verbreitet werden, die nicht der Wahrheit entsprechen“, sagt er, und droht: „Wir werden uns sehr genau anschauen, wie es in den kommenden Wochen mit Julian weitergeht.“
Die Frage ist für diesen Dienstag schnell beantwortet: trainingsfrei. Auch für Pollersbeck. Ab Mittwoch will der Neu-Hamburger dann wieder angreifen. Auf dem Platz. Und über den zusätzlichen Druck dürfte sich der gebürtige Altöttinger nicht allzu große Gedanken machen. „Druck braucht man“, stellte Pollersbeck bereits unmittelbar nach seiner Vertragsunterzeichnung beim HSV klar, und referierte: „Hätte der Neandertaler keinen Hunger gehabt, wäre er nicht auf die Jagd gegangen. Und wäre ihm nicht kalt gewesen, hätte er kein Feuer gemacht.“
Es wird Zeit, auf die Jagd zu gehen.