Hamburg. Während HSV-Präsident Meier nach dem Brandbrief des Investors in der Sackgasse steckt, rudert Kühne zumindest teilweise zurück.

Klaus-Michael Kühne war am Mittwochmorgen im Volkspark. Natürlich nicht persönlich, aber doch in aller Munde. So gab es für die 35 Trainingszuschauer nur ein Thema: den Kühne-Knall und die Folgen. In einem Brandbrief am Vortag hatte der HSV-Investor Präsident Jens Meier, den designierten HSV-Aufsichtsrat, Vorstandschef Heribert Bruchhagen und Sportchef Jens Todt in einem Rundumschlag kritisiert. „Was sich der Kühne erlaubt, ist eine Sauerei“, sagte also ein Trainingskiebitz. Ein anderer widersprach: „Wer dem HSV mehr als 100 Millionen Euro zur Verfügung stellt, darf auch sagen, was er denkt.“ Eifriges Nicken in der Runde. „Ich finde, dass der Kühne neuer HSV-Präsident werden sollte.“

Man kann erahnen, was der noch amtierende HSV-Präsident von diesem Vorschlag halten dürfte. Doch weil sich Jens Meier aus beruflichen Gründen derzeit in Los Angeles befindet, sind Nachfragen bis zu dessen Rückkehr am Freitag schwierig. Klar ist aber, dass Kühnes Rundumschlag vom Dienstag auch den Hafenchef im weit entfernten Kalifornien schwer unter Druck setzt.

So war der neue Streit zwischen Kühne und der HSV-Führung vor allem daran entbrannt, dass Meier im kommenden AG-Aufsichtsrat auf Karl Gernandt, die rechte Hand Kühnes, verzichten will. Kühne sprach sich für einen „von mir befürworteten, unabhängigen und kompetenten AG-Aufsichtsrat“ aus – relativierte am Mittwochnachmittag allerdings seine Fundamentalkritik vom Vortag: „Das habe ich getan, weil mich der Prozess rund um die Auswahl des neuen Aufsichtsrats extrem ärgert“, ließ der streitbare Investor in einem Interview mit der PR-Abteilung des HSV verbreiten. Und weiter: „Ich sehe die Grundausrichtung der HSV Fußball AG stark gefährdet. Und das werde ich als Gesellschafter und auch als Fan doch wohl sagen dürfen.“

Kühne relativiert seinen Brandbrief

Das ja, manch anderes wohl eher nicht. „Meine finanzielle Unterstützung hat dem HSV keine zusätzlichen Probleme beschert, sondern einige davon beseitigt, andere gelindert“, ließ sich Kühne nun am Mittwoch zitieren – und machte zudem klar, dass ihn die in Gang gesetzte Debatte befremde, ob nicht er das eigentliche Problem des HSV wäre: „Diese Wahrnehmung verwundert mich sehr“, so Kühne, der am Tag nach dem Brandbrief ums Löschen bemüht war: „Ich pflege mit dem aktuellen Vorstand und dem sportlichen Bereich des HSV einen professionellen, inhaltlichen und sehr vertraulichen Austausch.“

Kommentar: HSV muss sich von Kühne lösen

Mit dem aktuellen Präsidenten des HSV dagegen eher nicht. So bleibt Jens Meier, Spitzname: Smartie, auch nach Kühnes PR-Relativierung in einer Entweder-oder-Sackgasse, einer Pest-oder-Cholera-Zwickmühle. Entweder Meier bleibt trotz Kühnes Konter nach der Kritik an seinem Vorpreschen hart und hält an seinen Aufsichtsratsplänen ohne einen Vertrauensmann des Investors fest. In diesem Fall droht dem HSV ein finanzielles Desaster. Es wäre die Entscheidung Pest. Oder Meier gibt doch nach, geht auf den Milliardär zu und versucht eine Lösung zu finden. In diesem Fall wäre es nur eine Frage der Zeit, bis die Deutsche Fußball Liga (DFL) wegen zu großer Einflussnahme Einspruch erhebt. Die Entscheidung Cholera.

HSV braucht wohl eine Alternativstrategie

Und nun noch einmal langsam. Die Entscheidung Pest: Längst ist es kein Geheimnis mehr, dass Kühne dem HSV schon mehrfach die Lizenz gesichert, mehr als 100 Millionen Euro investiert und seine Anteile kürzlich auf 20,5 Prozent erhöht hat. Am 25. August dieses Jahres wurde diese – vom Club damals nicht kommunizierte – Kapitalerhöhung im Handelsregister eingetragen. Demnach hält der HSV e. V. noch immer 3,5 Millionen der nun 4.594.134 Aktien.

Sollte die HSV AG, die zuletzt Verbindlichkeiten in Höhe von 105,5 Millionen Euro einräumte, im Hinblick auf die kommende Lizenzierung erneut Bedarf haben, würde Kühne wohl kaum wieder als Rettungsanker zur Verfügung stehen. Die Frage auf der HSV-Homepage, ob er seine Unterstützung endgültig beende, beantwortete Kühne mit einem eindeutigen Jein: „Ich kann es Ihnen noch nicht sagen. Ich werde mir die weitere Entwicklung sehr genau ansehen.“ Übersetzt heißt das wohl: Der HSV bräuchte das, was er seit seiner Zusammenarbeit mit Kühne im Jahr 2010 noch nie hatte – eine Alternativstrategie.

Und die Entscheidung Cholera: Die Partnerschaft zwischen Kühne und dem HSV wird bei der DFL ohnehin schon seit längerer Zeit kritisch verfolgt. So bat die DFL den HSV vor gut zwei Monaten um eine Stellungnahme, nach-dem der Vorwurf laut geworden war, dass Kühne und der HSV die 50+1-Regel verletzten. Der konkrete Fall: Kühne hatte in einem Sky-Interview zugegeben, dass er bei der Verpflichtung André Hahns und der Verlängerung des Vertrags mit Bobby Wood Druck ausgeübt habe. „Ich habe dem Verein zwar dafür kein Geld gegeben, aber ich habe ihm zu der Verlängerung geraten und gesagt, dass ich Hahn nur finanziere, wenn ihr Wood haltet“, hatte Kühne gesagt. Dies hatte auch deswegen Geschmäckle, weil sowohl Hahn als auch Wood von Beraterschwergewicht Volker Struth betreut werden, der einst auch Kühne beriet.

DFL bat bereits im August um Stellungnahme

Um die Vorwürfe zu entkräften, soll der HSV im Sommer sogar ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben haben. „Der Einfluss von Herrn Kühne in das operative Geschäft ist gleich null“, hatte Bruchhagen versichert. Ein weiteres Nachfragen der DFL hat es nicht gegeben. Damals. Im Hier und Jetzt dürfte der HSV sehr wohl mit DFL-Post rechnen, wenn Kühnes Forderungen umgesetzt werden würden. Daran dürften auch seine Beschwichtigungen am Mittwoch („Ich greife nicht ins operative Geschäft ein, was auch rechtlich gar nicht möglich ist“) nichts ändern. Auf Abendblatt-Nachfrage hieß es von der DFL allerdings nur: „Kein Kommentar.“

Viel mehr wollte auch Meier neun Zeitzonen von Hamburg entfernt nicht zu der Sackgasse sagen, in die sich der HSV-Präsident selbst manövriert hat. Der Hauptvorwurf, der nun vermehrt hinter vorgehaltener Hand erhoben wird: Meier, der sich im Februar für eine neue Amtszeit als Präsident wählen lassen will, habe die Wahl des neuen Aufsichtsrats im Alleingang durchgezogen, dabei aber versäumt, Großinvestor Kühne rechtzeitig mit ins Boot zu holen. Dieses Boot, um im Bild zu bleiben, ist nun untergegangen – auch wenn das Leck von Klaus-Michael Kühne am Mittwoch noch einmal notdürftig geflickt wurde: „Ich hoffe und wünsche mir, dass die Auswahlprozesse für die Aufsichtsratswahl schnell professioneller werden und das Kontrollgremium der HSV Fußball AG bestmöglich zusammengestellt wird“, so Kühne.

Und HSV-Chef Heribert Bruchhagen? Der schien die Sachlage rund um die Kühne-Papers vom Dienstag ohnehin anders zu bewerten. Im Sport-1-Interview bekräftigte er: „Ich habe mit Herrn Kühne einen sehr guten und freundschaftlichen Austausch.“ Ahoi.

Einen hatte Kapitän Kühne dann aber auch noch. Ob er denn einen besonderen Wunsch an den HSV habe, wollte die HSV-Medienabteilung wissen. „Punkte, Punkte, Punkte“, war die Antwort. „Und dass sich Aufsichtsrat, Vorstand und Sportdirektor handlungs- und entscheidungsfreudig zeigen, was die Vertragssituation von Nicolai Müller und Fiete Arp angeht.“

In diesem Sinne: Leinen los!