Hamburg. Wächst eine “goldene Generation“ heran? U17, U19 und U21 belegen allesamt Spitzenplätze. Nachwuchs-Chef Peters erklärt seine Vision.
Die Twitter-Accounts gehören beide dem HSV – aber sie zeigen ganz unterschiedliche Welten. Das offizielle Profil des Vereins zieren seit Tagen meist geknickte Gesichter, von Spielern und Trainer Markus Gisdol, Durchhalteparolen nach vier Niederlagen in Folge, Hoffnung auf die Wende beim Nordderby gegen Bremen. Aber nur einen Klick weiter wartet der Kanal der "Young Talents", des Nachwuchses des Vereins.
Dort zeigt eine Animation zwei Nachwuchsprofis in lässiger Jubelpose über den Ergebnissen vom Wochenende. Lockerer Derbysieg der U21 mit 3:1 gegen St. Pauli. Ein sattes 5:1 der U19 bei Hannover 96. Dank vier (!) Toren von Fiete Arp, der die Juniorenliga dominiert, als wäre sie ein Videospiel.
Jugendmannschaften liegen auf Spitzenplätzen
Der Nachwuchs des HSV erlebt in dieser Saison einen kollektiven Höhenrausch. Die U-19- und U-21-Mannschaften des Vereins führen die Tabelle in ihren Ligen jeweils souverän an. Und auch die U17 liegt in der Bundesliga Nord/Nordost auf einem starken dritten Platz, nur einen Punkt hinter dem Spitzenreiter Werder Bremen, bei allerdings einem Spiel mehr. Die U15 ist mit einer makellosen Bilanz nach drei Spielen Spitzenreiter in der Regionalliga Nord.
Im Volkspark freut sich vor allem einem Mann über die Leistungsexplosion: Bernhard Peters, Direktor Sport und Hauptverantwortlicher für den Nachwuchs. "Wer sich im Fußball auskennt, weiß, dass es fünf, sechs, sieben Jahre dauert, bis diese Arbeit Früchte trägt", sagte der 56-Jährige im Jahr 2016 zu seinem Projekt, den darbenden Nachwuchs beim HSV auf ein bundesweites Spitzenniveau zu heben – nach nun drei Jahren im Amt scheint sich die Mühe des ehemaligen Hockeynationaltrainers aber bereits auszuzahlen.
Das Ziel: Die großen Talente sollen bleiben
Peters will die Juniorenteams zu einem Durchlauferhitzer formen, der mittelfristig auch die Profimannschaft beständig mit hungrigen neuen Spielern versorgt. Das erklärte Ziel: Eklatante Versäumnisse wie bei Jonathan Tah, Seeler-Enkel Levin Öztunali oder zuletzt Keren Demirbay, die nun bei anderen Clubs Karriere machen, sollen sich nicht wiederholen.
"Wir haben viele richtige Schritte in einem guten Team umgesetzt. Mit der Alexander Otto-Akademie (Nachwuchsleistungszentrum; Anm. d. Red.) haben wir die Infrastruktur erheblich verbessert", sagt Peters, der im Gespräch mit dem Abendblatt auf seine Zeit beim HSV zurückblickt. "Außerdem haben wir an vielen Schrauben im Bereich der Ausbildung gedreht. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis weitere Talente in den Profikader rücken können."
Bereits in der vergangenen Saison hatte insbesondere die U21 nach Jahren im Abstiegskampf plötzlich im oberen Tabellendrittel mitgespielt. Dennoch traf der Direktor Sport im Frühjahr eine überraschende Entscheidung: Der Vertrag mit Trainer Dirk Kunert wurde nach nur einer Saison nicht verlängert, stattdessen berief Peters den damaligen U-17-Trainer Christian Titz zum Chefcoach der höchsten Nachwuchsmannschaft. Nach neun Spielen ist Titz mit den "Rothöschen" nun immer noch ungeschlagen, sieben Spiele wurden gewonnen.
"Die U21 verfügt über eine gute Führungsachse im Zentrum mit Tom Mickel als Torhüter, mit Henrik Giese und Matti Steinmann. Das haben wir uns so gewünscht. Wir konnten auch viele Spieler aus der U19 übernehmen und haben mit Törles Knöll und Tatsuya Ito klasse Strafraumspieler. Alle Spieler haben unsere Spielidee gut verinnerlicht. Dazu arbeiten wir mit einem hochqualifizierten Trainerteam", sagt Peters über den aktuellen Höhenflug der zweiten Mannschaft.
Neben Arp sind weitere Talente auf dem Sprung nach oben
Nicht nur wegen der akuten Personalnot bei den Profis sind nun gleich mehrere Talente auf dem Sprung in die Bundesliga-Mannschaft. Als größtes Talent im Nachwuchsstall gilt weiterhin Jann-Fiete Arp, der vor Kurzem vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) als bester Jugendspieler seines Jahrgangs mit der Fritz-Walter-Medaille in Gold ausgezeichnet wurde.
"Er ist auf einem super Weg hin zur Topform, hat jetzt auch seine Schulterverletzung überwunden. Natürlich muss er weiter Erfahrung sammeln, aber er ist bereit, den nächsten Schritt zu machen", sagt Peters über Arp, der vom Alter her auch noch in der B-Jugend spielen könnte und vom 6. bis 28. Oktober mit der deutschen U17 nach dem Titel bei der WM in Indien lechzt.
Auch dem japanischen Dribbler Ito (fünf Vorlagen in sieben Spielen für HSV II), Stürmer Knöll (sieben Tore in sieben Spielen) und Abwehrspieler Patric Pfeiffer (18), die allesamt immer wieder bei den Profis trainieren, traut Peters eine Profikarriere zu. "Sie sollen dort weiter auf den nächsten Schritt vorbereitet werden."
Künftige Topstars haben noch Schwächen
Bei aller Euphorie über die guten Ergebnisse ist den Verantwortlichen aber auch bewusst, dass die Nachwuchshoffnungen teils noch deutlich "zu leicht" sind, um auch in der Bundesliga für Furore sorgen zu können. Bakery Jatta hat zwar ein überirdisches Tempo, aber ein unterirdisches taktisches Verständnis. Der erst 17-jährige Arp zeigte auch in der Sommervorbereitung bei den Profis seinen Torinstinkt, prallte im Training aber regelmäßig an den robusten Innenverteidigern ab.
Dabei kommt es im kampfbetonten Spiel der HSV-Profis besonders stark auf die Wettkampfhärte und körperliche Durchsetzungskraft an – für passgenaue Zuspiele auf Vollstrecker wie Arp fehlt der Mannschaft schlicht das spielerische Vermögen. Trainer Markus Gisdol schickte Arp entsprechend zu Saisonbeginn zurück zu den Junioren.
Peters muss sich um Aufstieg der U21 Gedanken machen
Hält der Höhenflug der U-21-Mannschaft an, könnte der HSV am Saisonende vor einer schwierigen Entscheidung stehen: Der Verein müsste zulassen oder verwehren, dass seine zweite Mannschaft in die Dritte Liga aufsteigt. Als einzige Nachwuchsmannschaft eines Bundesligisten ist dort aktuell die zweite Mannschaft von Werder Bremen vertreten. "Wir wollen immer das Maximum erreichen, aber dazu müssen wir jetzt keine Entscheidung treffen. Mittelfristig ist der Übergang für Toptalente über die Dritte Liga aber leichter", sagt Peters.
Ein Aufstieg wäre mit weiteren Reisen und Kosten – in der Dritten Liga spielen Teams aus dem gesamten Bundesgebiet – sowie neuen Gefahren verbunden. Der HSV II würde vermutlich zunächst gegen den Abstieg spielen. Dabei soll im Fokus gar nicht der sportliche Erfolg, sondern die Entwicklung der Spieler stehen. "Uns kommt es vor allem auf die starke Entwicklung jedes einzelnen Spielers und die Umsetzung unserer Spielidee in den HSV-Spielprinzipien an", sagt Peters. "Siege und gute Tabellenstände kommen über inhaltliche Arbeit."
HSV will internationale Toptalente verpflichten
Peters sieht sich als mittel- und langfristiger Entwickler. Für die Zukunft wünscht sich der Nachwuchs-Chef, die "strategische Kaderplanung voranzutreiben". Peters: "Wir wollen neben erstklassiger Ausbildungsarbeit auch weitere internationale Toptalente verpflichten. Dazu brauchen wir Schnelligkeit und Flexibilität." Bei den Transfers der beiden Finnen Tobias Fagerström (17) und Anssi Suhonen (16) sowie dem Ungarn Peter Beke (16) habe sich dieser Weg bereits ausgezahlt.