Hamburg. Ex-Trainer legt HSV vereinslosen Bosnier ans Herz – von dem Schweizer Zweitligisten Abstand nahmen. Todt witzelt über Weggefährten.
Es dauerte nur wenige Minuten, bis im Volkspark die Tuscheleien begannen. Einige Beobachter des HSV-Trainings am Dienstagnachmittag hatten bemerkt, an wessen Seite Sportchef Jens Todt die Einheit beobachtete: Der frühere Chefcoach des Karlsruher SC und des FC Ingolstadt, Markus Kauczinski, war zu Gast beim HSV. Ein neuer Trainer nach nur einer Niederlage? „Das sind die Gesetze des Marktes“, sagte Todt. Natürlich im Scherz. Kauczinski, mit dem der Manager beim KSC zusammenarbeitete, war lediglich zu Besuch beim HSV und seinem Weggefährten Todt.
Überraschende Verhandlungen führte der Sportchef dagegen bereits am Vormittag. Im Mannschaftshotel Grand Elysée wurde er bei einem Treffen mit Sejad Salihovic beobachtet. Ebenso überraschend war es, dass der frühere Hoffenheimer und derzeit vereinslose Bosnier nach dem Treffen zum Medizincheck ins Athleticum des UKE fuhr, um für einen möglichen Transfer zum HSV auf Herz und Nieren untersucht zu werden. Überraschend, da Todt erst zwei Tage zuvor erklärt hatte, dass die kurzfristige Verpflichtung eines vertragslosen Spielers äußerst unwahrscheinlich sei.
Bruchhagen musste noch den Segen holen
Nun also die Wende. „Wir beschäftigen uns mit ihm. Er ist ein interessanter Spieler“, sagte Todt am Dienstagnachmittag. Tatsächlich soll der 32 Jahre alte Mittelfeldspieler nach Abendblatt-Informationen bereits an diesem Mittwoch einen leistungsbezogenen Vertrag bis zum Saisonende unterschreiben und am Nachmittag erstmals mit der Mannschaft trainieren. Trainer Markus Gisdol hätte Salihovic gerne schon am Dienstag dabei gehabt. Doch Clubchef Heribert Bruchhagen musste den Transfer noch beim Aufsichtsrat absegnen lassen.
Die Hamburger reagieren damit doch noch auf die jüngste Verletzungsmisere. Nach der 0:2-Niederlage gegen RB Leipzig gesellten sich Linksaußen Filip Kostic (ausgeprägter Muskelfaserriss) und Verteidiger Rick van Drongelen (Knochenödem im Becken) in das ohnehin schon üppig besetzte Lazarett um Nicolai Müller (Kreuzbandriss), Aaron Hunt (Muskelfaserriss) und Bjarne Thoelke (Innenbandriss). Der HSV prüfte am Wochenende den Markt an vereinslosen Spielern.
Gisdol und Salihovic kennen sich
Markus Gisdol hatte bereits vor den Verletzungen von Kostic und van Drongelen die geringe Kadergröße als Gefahr bezeichnet. Nun sieht sich Sportchef Todt offenbar genötigt, den derzeit kleinsten Kader der Liga noch einmal nachzubessern. Für die Verpflichtung von Salihovic dürfte sich vor allem Gisdol ausgesprochen haben. Die beiden kennen sich noch gut aus ihrer gemeinsamen Zeit bei 1899 Hoffenheim.
Zwischen April 2013 und Mai 2015 erzielte Salihovic in 52 Pflichtspielen unter Gisdol 17 Tore, 13 weitere Treffer legte er auf. Unvergessen bleibt dabei sein Auftritt am letzten Spieltag der Saison 2012/13, als Hoffenheim so gut wie abgestiegen war, ehe Salihovic im Auswärtsspiel in Dortmund den 0:1-Rückstand mit zwei Elfmetertoren kurz vor Schluss noch in einen 2:1-Sieg drehte. Hoffenheim rettete sich in die Relegation und setzte sich dort souverän gegen Zweitligist Kaiserslautern durch. Salihovic war erneut einer der Protagonisten und bereitete in den zwei Spielen drei Tore vor.
Nach einer weiteren Saison, in der Salihovic mit elf Toren und fünf Vorlagen in der Liga Dreh- und Angelpunkt der TSG war, folgte ein enttäuschendes Jahr für den Standardspezialisten. Wegen einer entzündeten Fleischwunde im Knie verpasste Salihovic fast die komplette Hinrunde und schaffte es anschließend nicht mehr, sich in die Startelf zurückzukämpfen. Gisdol setzte auf ein System mit zwei Spitzen und hatte plötzlich keine Verwendung mehr für den Mittelfeldspieler, der seine Stärken in der Zentrale hat.
Zinnbauer berichtet nur Gutes über Salihovic
Im Sommer 2015 suchte Salihovic nach neun Jahren in Hoffenheim schließlich das Weite und ging ablösefrei nach China zu Guihou Renhe. Nach dem Abstieg in die Zweite Liga folgte er im vergangenen Winter dem Werben von Ex-HSV-Trainer Joe Zinnbauer und wechselte in die Schweiz nach St. Gallen.
Zinnbauer, von September 2014 bis März 2015 für 24 Spiele Chefcoach in Hamburg, erinnert sich gerne zurück: „Sejad hing sich in jeder Einheit rein, war immer der Erste auf dem Trainingsplatz und verließ diesen als Letzter. Auch läuferisch war er ein Vorbild. Die jungen Spieler hat er immer unterstützt.“ Trotzdem saß Salihovic zunächst nur auf der Bank. Über Kurzeinsätze erkämpfte sich der frühere Nationalspieler einen Stammplatz, ehe ihn eine Knieverletzung zum Saisonende außer Gefecht setzte.
Schweizer Zweitligisten nahmen Abstand
Für eine Weiterbeschäftigung bei St. Gallen, wo Zinnbauer inzwischen als Trainer entlassen war, reichte es in diesem Sommer nicht. Mehrere Clubs aus der Zweiten Schweizer Liga sollen sich mit Salihovic beschäftigt haben. Unter Vertrag nehmen wollte ihn aber keiner dieser Clubs, und so blieb der Routinier vereinslos. Kann so ein Spieler dem HSV wirklich helfen?
Ein großes Risiko birgt der Transfer nicht. Salihovic ist ablösefrei und wird zu den Geringverdienern zählen. Die Hamburger wollen eine Alternative mehr haben, sollte sich noch ein weiterer Spieler verletzen. Zudem bringt Salihovic eine Stärke bei Standardsituationen mit, die dem HSV fehlt. „Er hat seine Qualitäten nicht verlernt. Er ist einer, der den tödlichen Pass in die Tiefe spielen kann“, sagt Zinnbauer.
In den vergangenen Wochen hielt sich Salihovic auf eigenen Wunsch in Hoffenheim fit. Ob das reicht, um den körperlichen Ansprüchen in der Bundesliga gerecht zu werden, dürfte im Volkspark das große Tuschelthema der kommenden Wochen werden.