Hamburg. Vorstand reagiert auf DFL-Aufforderung in der Frage nach 50+1. Justizminister und HSV-Fan Maas hat zur Regel eine eigene Meinung.

Viel Zeit hatte Heribert Bruchhagen am Dienstagmittag nicht. „Hat jemand Jens Todt gesehen?“, fragte der gehetzt wirkende HSV-Chef, als er um kurz vor 12 Uhr auf der Suche nach dem Sportchef durch den Bauch des Volksparkstadion eilte. Zwei Tage vor dem Transferende kann bekanntlich jede Minute entscheidend sein. Doch mehr noch als Neuzugang X oder Abgang Y beschäftigten Bruchhagen am Nachmittag ganz andere Fragen: Wie unabhängig ist der HSV wirklich? Und wie viel Einfluss hat Anteilseigner Klaus-Michael Kühne tatsächlich?

„Der Einfluss von Herrn Kühne in das operative Geschäft ist gleich null“, bemühte sich der Clubchef in den vergangenen Tagen immer wieder zu betonen. Doch nachdem es die Deutsche Fußball-Liga (DFL) nun genau wissen will und dem HSV am vergangenen Donnerstag schriftlich aufforderte, zu einer eventuellen Einflussnahme Kühnes beim Kauf von André Hahn und der Verlängerung von Bobby Wood Stellung zu nehmen, stand das Thema bei der Vorstandssitzung am Nachmittag weit oben auf der Tagesliste.

Der zentrale DFL-Vorwurf: Bei Wood und Hahn, die beide von Beraterschwer­gewicht Volker Struth betreut werden, sollen Kühne und der HSV die 50+1-Regel, durch die die Entscheidungsgewalt immer beim Club liegen soll, möglicherweise verletzt haben. „Ich habe dem Verein zwar dafür kein Geld gegeben, aber ich habe ihm zu der Verlängerung geraten und gesagt, dass ich André Hahn nur finanziere, wenn ihr Wood haltet“, hatte Kühne dem Pay-TV-Sender Sky in einem Interview verraten.

HSV-Vorstand beauftragt Kanzlei

„Wir werden der DFL bis zum Ende der Woche eine ausführliche Stellungnahme zukommen lassen“, sagte Bruchhagen, der es allerdings nicht bei einigen wohlgemeinten Worten belassen will. Nach Abendblatt-Informationen hat der HSV-Vorstand nun sogar eine Kanzlei beauftragt, ein juristisches Gutachten zu erstellen, wodurch der erhobene Vorwurf der Verletzung der 50+1-Regel entkräftet werden soll.

Festgehalten ist die viel diskutierte Regelung in Paragraf 8 der DFL-Satzung unter dem Titel „Zusammenschluss der lizenzierten Vereine und Kapitalgesellschaften der Fußball-Lizenzligen Bundesliga und 2. Bundesliga“. Konkret heißt es hier: „Eine Kapitalgesellschaft kann nur eine Lizenz für die Lizenzligen und damit die Mitgliedschaft in der DFL Deutsche Fußball Liga erwerben, wenn ein Verein mehrheitlich an ihr beteiligt ist.“

Bruchhagen gegen Aufweichung von 50+1

Nur wenn sich ein Investor mehr als 20 Jahre lang bei einem Verein engagiert habe, könne die bestehende 50+1-Regel aufgehoben werden, sofern die Vereinssatzung entsprechend geändert würde. Derartige Ausnahmeregelungen gibt es bei Bayer Leverkusen, dem VfL Wolfsburg, 1899 Hoffenheim und auch beim Sonderfall RB Leipzig. Zudem will Hannover 96 zeitnah eine vergleichbare Ausnahmeregelung erwirken.

Kurioserweise ist Bruchhagen selbst gegen eine Aufweichung der Regelung. „Die 50+1-Regel hat dafür gesorgt, dass die Bundesliga im Vergleich zu den anderen europäischen Ligen erstklassig ist. Sie hat in den vergangenen 15 Jahren die Bundesliga zu dem Produkt gemacht, das sie heute ist“, sagte er unlängst dem Abendblatt – und findet dabei prominente Unterstützung.

Maas sieht es konservativ

„Der Fußball darf nicht einfach so weiter geöffnet werden, für alle und jeden, der gerade genügend Geld auf dem Konto hat. Insgesamt halte ich die Entwicklung mit zusätzlichen Investoren und immer wahnsinnigeren Transfersummen ohnehin für schwierig“, sagt nun auch Justizminister Heiko Maas, ein glühender HSV-Anhänger, im Rahmen eines Abendblatt-Redaktions­besuchs. „Wenn ich mich umgucke im europäischen Profifußball, dann komme ich von mir aus sicherlich nicht auf die Idee, die 50+1-Regel infrage zu stellen.“

Bereits seit Ende der 70er-Jahre ist Maas durch und durch HSV-Fan: „Im Fußball bin ich ausnahmsweise ein echter Konservativer: ein Leben, ein Verein. Das hat mir viele Schmerzen und viel Häme eingebracht“, sagt der Minister, der als Jurist natürlich auch die Diskussion über seinen Club, 50+1 und HSV-Investor Kühne intensiv verfolgt: „Im Ergebnis ist der HSV sicherlich froh, dass er jemanden hat, der die Schatulle öffnet. Trotzdem muss einem als HSV-Fan nicht alles gefallen, was Herr Kühne öffentlich so von sich gibt“, sagt der Politiker, der sich aber vor allem über die Reaktion der HSV-Spieler gegen Augsburg und in Köln freute: „Ich finde, die Mannschaft hat da die richtige Antwort gegeben.“

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    Struth beantwortet Fragen

    Eine ganze Reihe von Antworten wurde am späten Montagabend auch von Berater Struth gefordert. Der Agent, der nicht nur Wood und Hahn offiziell berät, sondern dem man auch ein besonders enges Verhältnis zu Kühne und zu Trainer Markus Gisdol nachsagt, war zu Gast in der Sendung „Sky90“ und wurde auch dort zu Investor Kühne, dem HSV und der speziellen Konstellation befragt. „Herr Kühne hat den Hahn-Transfer nicht an Bedingungen geknüpft, seine Aussagen waren der Emotionalität geschuldet“, sagte Struth, der bereits in der vergangenen Woche gegenüber dem Abendblatt einen möglichen Interessenskonflikt als „absurd“ bezeichnet hatte. „Dass da Vereinspolitik betrieben worden sein soll, weise ich klar zurück“, so der SportsTotal-Chef.

    Wie absurd der Vorwurf tatsächlich ist, muss nun zunächst die DFL prüfen. Für Justizminister Maas, der sich an die aktuelle Tabellenkonstellation durchaus gewöhnen könnte („Dortmund, Bayern und der HSV – die drei Großen an der Tabellenspitze, das passt“), steht bis dahin nur eines fest: „Kein Club bietet so viel Drama wie der HSV.“