Hamburg. Vor dem Neustart spricht Markus Gisdol über Druck im Zirkus-Profifußball, die Kühne-Kritik, den Hype um immer jüngere Kollegen.

Markus Gisdol hat gute Laune, als er zum verabredeten Gespräch in eine Loge im Volksparkstadion erscheint. „Habt ihr gar kein Geschenk für mich“, witzelt der HSV-Trainer, der am Donnerstag seinen 48. Geburtstag feierte. Von seiner Mannschaft soll das Präsent an diesem Sonnabend in Form von drei Punkten und einem geglückten Saisonauftakt gegen Augsburg folgen. Hauptgesprächsthema in der Woche vor der Premierenpartie war allerdings wieder einmal Investor Klaus-Michael Kühne, der auch für Gisdol ein paar verbale Nettigkeiten zum Geburtstag hatte.

Hamburger Abendblatt: Herr Gisdol, konnten Sie Ihren Geburtstag nach dieser turbulenten Woche vor dem Saisonstart gegen Augsburg genießen?

Markus Gisdol: Mit 48 Jahren ist der Geburtstag nicht mehr so entscheidend. Aber ich habe mir Zeit genommen, mit meiner Familie ein wenig abzuschalten. Und ein paar Geschenke gab es auch.

Verraten Sie uns, welche?

Gisdol: Meine Frau beispielsweise hat mir Kopfhörer geschenkt. So richtig gute.

Wollen Sie wie ihre Spieler aussehen, von den 99 Prozent mit dicken Kopfhörern aus dem Bus aussteigen?

Gisdol: Das nicht (lacht). Aber ich bin wirklich begeistert, wie die Kopfhörer alle Geräusche herausfiltern. Sämtliche Nebengeräusche sind einfach weg.

Das klingt nach einem guten Mittel, um die Nebengeräusche vor dem ersten Spiel gegen den FC Augsburg einfach auszublenden...

Gisdol: Da habe ich Ihnen eine schöne Vorlage geliefert, was? Wissen Sie, ich habe schon immer die Fähigkeit gehabt, negative Stimmungen weitestgehend von mir fernhalten zu können.

Herr Gisdol, wir hatten uns vor längerer Zeit verabredet, um über Druck und Druckabbau im Zirkus Profifußball zu sprechen. Nun wurden wir von der Aktualität überholt. Hand aufs Herz: Haben Sie jemals zuvor so großen Druck vor einem ersten Spieltag gespürt?

Gisdol: Ehrlich gesagt empfinde ich den Druck nicht größer als sonst auch. Es wundert mich zwar immer wieder, wie schnell die öffentliche Stimmung hier in Hamburg umschlägt. Aber damit müssen wir klarkommen. Wir müssen uns sportlich davon freimachen. Wir haben eine gute Chance, eine bessere Saison zu spielen.

Ihre Antwort überrascht. Können Sie nach der Pokalpleite und dem anschließenden Theater überhaupt noch Vorfreude auf die neue Saison empfinden?

Gisdol: Selbstverständlich. Ich habe richtig Bock auf die neue Saison und empfinde große Vorfreude. Wobei Vorfreude nicht gerade ein Attribut ist, das man mit dem HSV in Verbindung bringt. Die pessimistische Haltung hat man sich hier leider über die Jahre „erarbeitet“. Wir haben unseren Beitrag geleistet mit dem Spiel in Osnabrück. Aber mittelfristig habe ich den Wunsch, den notorischen Pessimismus aus unserem Club herauszubekommen.

Die Aussagen von Herrn Kühne dürften bei Ihrem anspruchsvollen Vorhaben nicht gerade hilfreich gewesen sein…

Gisdol: Seine Aussage sind vom Sender Sky verkürzt dargestellt worden, allein diese halbwegs kritischen zwei Sätze sind veröffentlicht worden. Das war natürlich irreführend für die Leute da draußen. Aber ich zähle ohnehin nur auf die Dinge, die ich mit Leuten direkt bespreche – auch mit Herrn Kühne. Ich habe ihn als großen Fan des HSV kennengelernt, der den Club mit seiner wirtschaftlichen Unterstützung schon oft am Leben gehalten hat. Entscheidend ist, dass wir einen guten Austausch haben.

Sie haben sich erst vor Kurzem mit ihm im Elysée getroffen. Wie muss man sich Ihren Austausch vorstellen?

Gisdol: Ich finde es gut, wenn es einen unregelmäßig regelmäßigen Austausch gibt. Wir haben uns spontan auf einen Kaffee getroffen, als er kürzlich in Hamburg war. Jens Todt war ebenfalls dabei. Das persönliche Gespräch ist sehr wichtig.

Sie wirken recht gelassen. Haben Sie seine deutlichen Aussagen nicht als zusätzlichen Druck empfunden?

Gisdol: Für wen denn? Den ultimativen Druck haben wir in der vergangenen Saison gehabt. Was soll denn da noch kommen? Ich fühle diesen Druck nicht. Die Aussagen von Herrn Kühne kann ich gut einordnen. Ich hätte mir jedoch – wie gesagt – gewünscht, dass diese Aussagen vom Sender Sky vollständig wiedergegeben worden wären.

Ist der Druck beim HSV, der neben dem grünen Rasen aufgebaut wird, eine zusätzliche Belastung?

Gisdol: Wenn das so wäre, hätten wir die letzten acht Monate gar nicht standhalten können. Im Gegenteil. Ich muss mich selbst manchmal bremsen, damit ich nicht überziehe. Ich neige manchmal dazu, zu viel machen, mich zuviel kümmern zu wollen. Zum Glück habe ich gute Regulatoren in meinem Trainerstab. Die sagen mir dann auch mal, wenn ich mal wieder zu lange im Büro sitze und nach Hause gehen soll.

Sie haben auch gesagt, dass Sie noch so eine Saison nicht durchstehen würden. Könnte es Ihnen passieren, dass der Druck doch irgendwann zu groß wird?

Gisdol: Nein. Ich habe das auch ein Stück weit aus der Situation heraus gesagt, das war Minuten nach diesem nervenaufreibenden ‚Finale‘ gegen Wolfsburg. Ich liebe meinen Job und ich habe mir ein dickes Fell angeeignet. Für mich ist es immer noch ein Traum, Bundesligatrainer sein zu können. Du musst aber richtig einordnen können, dass die Luft in der Bundesliga sehr dünn ist für die Trainer.

Wussten Sie, dass Sie bei einem Wettanbieter auf Platz eins stehen bei der Frage nach der ersten Trainerentlassung?

Gisdol: Man bekommt das mit, aber solche Dinge interessieren mich wirklich nicht.

Das ist kein zusätzlicher Druck?

Gisdol: Der HSV hatte in den vergangenen zehn Jahren gefühlt 14 Trainer. Da ist es wohl normal, dass man in diesen Topf geworfen wird. Es gibt sicher andere Wettanbieter, die haben andere vorn. Das ist Spielerei, für mich total unerheblich.

Gleich drei Bundesligatrainer sind in der kommenden Saison nicht älter als 36. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?

Gisdol: Ich sehe das als eine Ausnahmesituation, die sich wieder relativieren wird. Es gibt immer Hypes. Es wird sicher nicht so sein, dass alle Bundesligisten irgendwann einen 28-jährigen Trainer haben.

Wir hätten da eine Theorie: Im Profifußball dreht sich alles immer schneller, der Druck wird immer größer und die Protagonisten sind immer schneller verbraucht.

Gisdol: Dieser Eindruck drängt sich tatsächlich auf. Manchmal geht es in unserem Business wirklich wahnsinnig schnell. Dabei sollte man auch sehen, wie nachhaltig Entwicklungen sind. Ich bin da eher konservativer geprägt und froh darüber.

Wie meinen Sie das?

Gisdol: In diesem komplexen Umfeld Fußball-Bundesliga ist es für jeden Trainer hilfreich, mehrere Entwicklungsstufen zu durchlaufen. Manche Schwierigkeiten kennst du als junger Trainer einfach noch nicht.

Sie selbst waren mit 36 Jahren noch Trainer in der Landesliga, haben in diesem Jahr insgesamt Ihr 20-jähriges Trainerjubiläum..

Gisdol: Wirklich? Kaum zu glauben (lacht). Aber ganz im Ernst: Ich bin froh, dass ich noch den langen Weg über alle Trainer-Lizenzen gegangen bin. Für meinen Weg als Trainer war es wichtig, dass ich mir ein Fundament aufgebaut habe. Ich hätte mir nicht vorstellen können, mit 30 schon Bundesligatrainer zu sein. Für mein Empfinden war ich bei meinem Bundesliga-Einstieg mit 42 auch noch ein junger Trainer.

Ist so ein konservativer Weg wie Ihrer heute überhaupt noch möglich bei der hohen Geschwindigkeit?

Gisdol: Natürlich gibt es immer Ausnahmen. Das Tempo in diesem Geschäft sehe ich aber als gefährliche Entwicklung an. Das Rad kann sich nicht schneller drehen, als es sich ohnehin schon dreht. Irgendwann ist Schluss.

Können Sie das näher beschreiben?

Gisdol: Alfred Gislasson vom THW Kiel hat mir mal erzählt, dass er diesem Hire-and-fire-Zirkus in der Fußball-Bundesliga extrem skeptisch gegenübersteht. Er hat beobachtet, dass alle Clubs, die in der Handball-Bundesliga ständig ihre Trainer wechseln, im letzten Drittel der Tabelle stehen. Mannschaften, die an einer Struktur, einer Entwicklung und einer Spielkultur festhalten, sind im Handball die erfolgreichen. Dass er das so deutlich aufzeigen konnte, hat mich in meiner Sichtweise und Überzeugung bestätigt.

Fehlt den Clubs durch den extremen Wettbewerb die Geduld?

Gisdol: Wenn du als Trainer eine Mannschaft übernimmst, übernimmst du immer ein Stück eines Vereins. Du baust deine Mannschaft dann natürlich zu einem Großteil nach deinen Vorstellungen um. Wenn dann der nächste Trainer kommt und einen anderen Weg einschlägt, bist du als Club nie auf der geraden Autobahn. Dann wirst du es nie schaffen 200 km/h zu fahren. Du bleibst immer in der Tempo-30-Zone stecken.

Sie scheinen darauf zu setzen, dass Sie es mit dem HSV irgendwann auf die Autobahn schaffen. Immerhin haben Sie Ihre Familie nach Hamburg geholt, obwohl der HSV in den vergangenen Jahren alle paar Monate den Trainer gewechselt hat.

Gisdol: Wissen Sie, wenn man seine Familie nicht da hat, heißt es, man identifiziert sich nicht mit seinem Verein. Wenn man sie herholt, fragen andere, ob man verantwortungslos sei. Davon lasse ich mich nicht treiben. Mir gibt es Kraft, meine Familie bei mir zu haben. Wie lange wir unter dem Strich in Hamburg sind, das weiß in unserem Job niemand.

Wenn Sie abends nach Hause kommen, können Sie die Arbeit vor der Tür lassen?

Gisdol: Das versuche ich, aber es bleibt nicht aus, dass wir zuhause noch über meine Arbeit sprechen. Meine Frau ist auch im Thema, sie will wissen, wie mein Tag war. Manchmal will ich aber nicht mehr über Fußball reden. Ich mag gerne ein ganz normaler Familienvater sein. Den Luxus will ich mir nehmen, auch wenn es immer nur für wenige Stunden ist.

Hilft Ihnen Ihre Familie, den täglichen Druck besser zu verarbeiten?

Gisdol: Mir persönlich hält es den Spiegel vor, wenn ich bei meinen Kindern bin. Wenn du mit ihnen sprichst und im Kopf noch woanders bist, merken sie das sofort. Kinder haben die feinsten Antennen.

Hat Ihr Sohn Ihnen schon einen neuen Glücksbringer für die neue Saison geschenkt?

Gisdol: Das werde ich natürlich nicht verraten, sonst bringt er ja kein Glück mehr.

Und das Legomännchen, das er Ihnen in der letzten Saison geschenkt hat und zum Glücksbringer im Abstiegskampf wurde, steht jetzt im HSV-Museum?

Gisdol: Das war ein Geschenk. Das gebe ich nicht mehr her.