Rotenburg. Der HSV-Retter über sein Tor gegen Wolfsburg, seine Ziele und die Unterschiede zwischen seinen Mitbewohnern Mathenia und Cousin Sven.
Braun gebrannt, mit einem Lächeln im Gesicht genießt Luca Waldschmidt einen kurzen Moment der Ruhe, nachdem knapp die Hälfte des Lauf-Trainingslagers in Rotenburg absolviert ist. In Badelatschen wartet der 21-Jährige entspannt im Garten des Luxushotels Landhaus Wachtelhof, wo sich der Torschütze des 2:1 am 34. Spieltag gegen den VfL Wolfsburg zum Gespräch mit dem Abendblatt trifft.
Herr Waldschmidt, können Sie noch zählen, wie oft Sie sich Ihr Kopfballtor zur Rettung des HSV angesehen haben?
Luca Waldschmidt: Die Tage nach dem Spiel haben mir Freunde gelegentlich ein Video davon aufs Handy geschickt. Allzu oft war es aber nicht.
Beschreiben Sie mal, wie Sie die Wochen danach erlebt haben.
Waldschmidt: Die ganze Saison war extrem kräfteraubend. Ich habe erst mal zu Hause bei der Familie entspannt. Ein paar Tage brauchte ich schon, um zu realisieren, dass wir doch noch den Klassenerhalt geschafft haben und ich mein erstes Bundesligator geschossen habe.
Nach zwei Punkten aus den ersten zehn Spielen wurde der HSV schon für tot erklärt. Welchen Anteil hat Markus Gisdol an diesem historischen Comeback?
Waldschmidt: Durch ihn haben wir einen ganz neuen Teamspirit erfahren und uns oft als Mannschaft zusammengesetzt. Dadurch sind wir viel näher zusammengerückt. Der Trainer hat uns dabei unterstützt. Auch in den schwierigen Zeiten, wovon wir genug hatten, war er immer für uns da. Er ist stets positiv geblieben und hat uns die Orientierung gegeben.
Trotzdem war es für Sie persönlich eine eher durchwachsene Saison.
Waldschmidt: 14 Einsätze hört sich zwar einigermaßen zufriedenstellend an, insgesamt stand ich aber zu wenige Spielminuten auf dem Platz (348 Minuten, Anmerkung der Red.). Das war unbefriedigend. Aber ich habe mich immer wohl in der Mannschaft gefühlt.
Sie teilen sich hier in Rotenburg ein Zimmer mit Torhüter Christian Mathenia (25). Was unterscheidet ihn im Zusammenleben von Ihrem Cousin Sven (26), mit dem Sie eine WG in Eppendorf bilden.
Waldschmidt: Chris ist noch ein bisschen aktiver auf dem Zimmer, aber wir verstehen uns sehr gut. Wenn der andere mal kurz die Klappe halten soll, können wir das auch ganz offen ansprechen. Mit Sven ist es meist ein bisschen ruhiger, er musste ja auch sein Betriebswirtschaftsstudium (BWL) absolvieren.
Waren Sie am 31. Mai in Celle, als Ihr Cousin mit Altona 93 den Aufstieg in die Regionalliga Nord perfekt gemacht hat?
Waldschmidt: Leider nicht, da war ich schon im Urlaub. Dadurch habe ich auch die Aufstiegsfeier eine Woche später an der Adolf-Jäger-Kampfbahn verpasst. Im Laufe der Saison habe ich ihn aber ab und zu bei den Spielen beobachtet.
Das Landhaus Wachtelhof verfügt über einen luxuriösen Wellness-Bereich. Haben Sie überhaupt Zeit, dort auch mal zu entspannen?
Waldschmidt: Wir haben hier wirklich ein straffes Trainingsprogramm. Meistens sind wir nach der dritten Tageseinheit im Spa, um regenerativ in der Sauna oder im Eisbecken zu arbeiten. Aber Wellness kann man das nicht unbedingt nennen (lacht).
Das Trainingslager in Rotenburg:
HSV-Trainingslager in Rotenburg
In der jüngeren Vergangenheit stagnierten einige Talente beim HSV oder blühten erst bei anderen Clubs auf. Hatten solche Beispiele Einfluss auf Ihren Wechsel?
Waldschmidt: Solche Beispiele gibt es auch anderswo. Es ist nie so einfach, in einer schwierigen Situation wie die vergangenen Jahre in Hamburg, in denen es nur gegen den Abstieg ging, junge Spieler zu entwickeln oder sie ins Team zu integrieren.
Was stimmt Sie optimistisch, beim HSV den Durchbruch zu schaffen?
Waldschmidt: Wir haben einen Trainer, der schon gezeigt hat, dass er junge Spieler an die Bundesliga heranführen kann. Außerdem stehen wir vor einer neuen Saison, wo alle wieder bei null anfangen.
Würden Sie sich noch als Talent bezeichnen?
Waldschmidt: Ich würde mich auf keinen Fall als gestandenen Bundesligaspieler beschreiben und sehe mich schon ein Stück weit noch als Talent.
Welche Ziele setzen Sie sich für die kommende Spielzeit?
Waldschmidt: Wenn ich wieder auf 14 Einsätze, aber diesmal über 90 Minuten käme, wäre das schon ein Erfolg. Aber ich bin Fußballer und würde am liebsten alle Spiele machen. Durch mein Tor gegen Wolfsburg habe ich auch Blut geleckt. Solche Gefühle will ich häufiger erleben.
Im Sommer hätten Sie auch nach Hoffenheim oder Freiburg wechseln können.
Waldschmidt: Damit habe ich mich nicht beschäftigt.
Gisdol zieht einen Systemwechsel mit zwei Spitzen in Erwägung. Sehen Sie für sich dadurch eine neue Chance?
Waldschmidt: Wenn es so kommen sollte, definitiv. Ich fühle mich im System mit zwei Stürmern sehr wohl, übernehme dabei den Part als hängende Spitze. Aber letztlich möchte ich mich unabhängig vom System in die Mannschaft spielen.
Die Fans hoffen jeden Sommer aufs Neue, dass der HSV nicht erneut gegen den Abstieg spielen muss. Was macht Ihnen Hoffnung, dass die kommende Spielzeit erfolgreicher wird als die abgelaufene?
Waldschmidt: Wir haben jetzt die Möglichkeit, eine komplette Vorbereitung mit dem Trainer zu bestreiten und können seine Spielphilosophie besser einstudieren. Wenn wir eine optimale Grundlage legen, haben wir die Qualität, um eine bessere Saison als im Vorjahr zu spielen.
Nehmen Sie dabei eine wichtige Rolle ein?
Waldschmidt: Ich werde alles dafür geben und hart arbeiten, um eine wichtige Rolle zu spielen.
Sprechen wir über etwas anderes als Fußball. Wie haben Sie die Straßenschlachten im Rahmen des G20-Gipfels in Hamburg wahrgenommen?
Waldschmidt: Die Gewalt, der blanke Hass, das war schon schockierend. Es waren Bilder, die nicht zur Stadt passen und die generell nicht in die Welt gehören.