Hamburg . Warum muss der HSV immer wieder um die Klasse zittern? Im sechsten Teil der Serie geht es um Entzweiung in der sportlichen Führung.
Dietmar Beiersdorfer sieht erholt aus. In sommerlicher Sporthose und T-Shirt erscheint der 53-Jährige braun gebrannt zum Termin mit dem Abendblatt in einem Eppendorfer Café. Beiersdorfer ist gerade erst aus dem Familienurlaub zurückgekehrt. Zwei Wochen Mittelmeer. Zuvor war er mit dem früheren HSV-Präsidenten Ronald Wulff drei Wochen auf Segeltour. Beiersdorfer hat Abstand gewonnen vom Fußball. Acht Kilo hat er abgenommen, seit er im Dezember beim HSV beurlaubt wurde. Die Rückrunde der Fußball-Bundesliga verfolgte er nur am Rande, die Rettung des HSV am Fernseher. Der Klassenerhalt sei verdient gewesen, sagt er – und spricht noch in Wir-Form.
Dass Beiersdorfer mit dem Club, für den er zuvor zweieinhalb Jahre als Vorstandsvorsitzender tätig war, noch nicht abgeschlossen hat, wird schnell klar, als er im Sommer 2017 über den Sommer 2016 spricht. Beiersdorfer wird emotional, als es um die Transferperiode vor einem Jahr geht. Er bestellt sich ein Heringsbrot, ein Stück Beerenkuchen und beginnt zu erzählen. „Die Umsetzung der Konstruktion war sehr anspruchsvoll, nicht leicht zu managen und sehr kräftezehrend“, sagt Beiersdorfer rund zwölf Monate danach.
Rückblick: Am 9. Mai 2016 beurlaubt Beiersdorfer seinen Sportchef Peter Knäbel. Zwei Tage zuvor hat der HSV trotz einer 0:1-Niederlage gegen den VfL Wolfsburg den Klassenerhalt gesichert und kann mit den Planungen für die neue Saison beginnen. Was zu diesem Zeitpunkt noch wenige wissen: Investor Klaus-Michael Kühne hat seine Absicht erklärt, im großen Stil in die Mannschaft zu investieren. Mit Spieleragent Volker Struth hat ihm sein Freund Reiner Calmund bereits einen Mann vermittelt, der Kühne bei der Auswahl der Transfers beraten soll.
Kühne schlug vor, kurzen Prozess zu machen
Für Knäbel ist in dieser Konstruktion, mit Trainer Labbadia auf der einen, Kühne und Struth auf der anderen sowie Beiersdorfer in der Mitte kein Platz mehr. Knäbel hatte zuvor noch die Transfers von Bobby Wood und Christian Mathenia vorbereitet. Mehr Geld ist nicht da. Will der HSV noch weitere Transfers tätigen, muss er sich mit Kühne einigen. Beiersdorfer traut Knäbel nicht zu, diese Aufgabe zu managen. Er entlässt ihn und übernimmt die Aufgabe des Sportchefs selbst. Es ist der Auftakt einer beispiellosen Transferperiode, an deren Ende Beiersdorfer und Labbadia sich nicht mehr viel zu sagen haben. Ein Bruch, über den Investor Kühne fast ein Jahr später im Abendblatt-Interview sagt: „Für mich war die Rivalität zwischen Beiersdorfer und Labbadia früh erkennbar. Ich hatte vorgeschlagen, kurzen Prozess zu machen.“
Dabei fing zunächst noch alles gut an. Am 5. Juni sitzen Beiersdorfer und Labbadia in Monaco zusammen. Im Rahmen des Freundschaftsspiels zwischen Russland und Serbien treffen sich die beiden mit Filip Kostic. Der Nationalspieler, der wenige Wochen zuvor mit dem VfB Stuttgart in die Zweite Liga abgestiegen war, ist der absolute Wunschspieler von Labbadia. Der Trainer überzeugt den Linksaußen, nach Hamburg zu kommen. Das Problem: Stuttgart verlangt für den Serben zu diesem Zeitpunkt eine Ablöse von 18 Millionen Euro. Zu viel für den HSV, der nur elf Millionen Euro zahlen will. Trotzdem sind sich Labbadia und Beiersdorfer einig: Kostic wird kommen.
Unterschiedliche Meinungen über die Transferpolitik
So einig wie an diesem Sonntagabend sollten sich der Trainer und der Sportchef von da an aber nicht noch einmal sein. Bis Kostic beim HSV unterschrieb und letztlich für 14 Millionen Euro verpflichtet wurde, sollte es noch sieben Wochen dauern. Sieben Wochen, in denen sich Labbadia und Beiersdorfer aneinander aufrieben. „Wir hatten absolut unterschiedliche Meinungen über die Transferpolitik. Wir waren weit auseinander“, sagte Labbadia vor wenigen Wochen in seinem ersten Interview nach seiner Entlassung Ende September. „Das war ein harter Kampf. Dieser Kampf hat mich Kraft gekostet, die ich für die Mannschaft gebraucht hätte.“
Hätten beide Parteien früher reagiert, hätten sie sich diesen Kampf ersparen können. Denn die Fronten waren schnell klar. Beiersdorfer wollte Spieler, die ihren Leistungszenit noch vor sich haben. Labbadia wollte Spieler mit Erfahrung, die schnell helfen können. Beiersdorfer wollte das nicht. Weil er wusste, dass Kühne sie nicht finanzieren wird. „Ich musste als Gesamtverantwortlicher verschiedene Perspektiven einnehmen. Die wirtschaftliche. Die entwicklungsperspektivische. Die kulturelle. Gleichzeitig musste ich gucken, dass wir die Mittel zu Verfügung gestellt bekommen“, sagt Beiersdorfer.
Ihm war klar, dass er für Spieler wie die Schalker Dennis Aogo und Roman Neustätter, die Labbadia holen wollte, kein Geld von Kühne bekommen hätte. Auch Martin Harnik oder Max Kruse zählten zu den Namen, nach denen sich Labbadia erkundigte. Der damalige Trainer wollte von seiner Linie nicht abweichen. „Es wäre der logische Schritt gewesen, die Mannschaft noch ein Jahr zu stabilisieren“, sagte Labbadia rückblickend.
Das große Gezerre
Beiersdorfer schwebte ein anderer Weg vor. Mithilfe der Kühne-Millionen wollte der Club einen großen Schritt gehen, um insbesondere zum Start des neuen TV-Vertrags im Ranking der Geldverteilung einen großen Sprung zu machen. Doch anstelle einer konsequenten Trennung begann das große Gezerre. Beiersdorfer versuchte, den Spagat zwischen Kühne und Struth auf der einen und Labbadia auf der anderen Seite zu schaffen und alle Beteiligten einzubinden. So auch bei der Verpflichtung von Alen Halilovic, der für fünf Millionen Euro vom FC Barcelona kommen sollte. Labbadia war zunächst nicht überzeugt, setzte sich dann aber mit dem Mittelfeldtalent zusammen. Am Ende stimmte auch er dem Transfer zu.
Labbadia genoss bei Kühne bereits zu diesem Zeitpunkt nicht die allergrößte Wertschätzung. Trotzdem stellte sich Beiersdorfer auch auf Labbadias Seite. Etwa als sich noch vor der Europameisterschaft die Möglichkeit ergab, den französischen Nationalspieler Moussa Sissoko zu verpflichten. Zehn Millionen Euro sollte der Mittelfeldspieler von Newcastle United angeblich kosten. Kühne war offenbar gewillt, den Transfer zu finanzieren. Beiersdorfer rief bei Newcastle an. Doch der Club aus der Premier League wollte eine Ablöse von 18 Millionen und Sissoko ein Gehalt von vier Millionen Euro. Beiersdorfer lehnte nach Absprache mit Labbadia ab. Zumal der Franzose, der nach einer starken EM für 35 Millionen Euro zu Tottenham Hotspur ging, nicht der Spielertyp war, den der HSV suchte. Ein Sechser sollte es noch sein, der möglichst auch in der Innenverteidigung spielen kann.
Der Markt war schwierig
Doch auch hier waren sich Beiersdorfer und Labbadia nur selten einig. Einzig den Dortmunder Matthias Ginter hätten beide gerne verpflichtet. Doch der Weltmeister wollte nicht zum HSV. Beiersdorfer suchte weiter. Er gab Angebote ab für Onyinye Ndidi (KRC Genk) und Niklas Stark (Hertha BSC). Er buhlte um Mario Lemina (Juventus Turin) und Rodrigo Caio (FC Sao Paulo). Doch die Angebote wurden entweder abgelehnt oder Beiersdorfer und Labbadia konnten sich nicht einigen. „Der Markt war schwierig. Ich wollte auch nicht einfach irgendeinen Spieler holen. Wir wollten ja auch Gideon Jung nicht die Perspektive verbauen.“
Am Ende der Transferperiode kam mit Douglas Santos nur noch ein Linksverteidiger, den Beiersdorfer auf eigene Faust verpflichtete. Genau wie Vasilije Janjicic. Den 17 Jahre jungen Schweizer vom FC Zürich wollte Beiersdorfer eigentlich für die Profis verpflichten, doch Labbadia lehnte ab. Beiersdorfer kaufte ihn trotzdem für rund 400.000 Euro und ließ ihn zunächst in der U21 spielen. Erst unter Markus Gisdol rückte Janjicic zu den Profis hoch, am Ende der Saison stand der Mittelfeldspieler sogar zweimal in der Startelf.
„Das war mangelnde Konsequenz"
Trotz aller Differenzen ging Beiersdorfer mit Labbadia in die neue Saison. „Ich hatte die Hoffnung, dass die neuen Spieler uns in der Entwicklungsverharrung neuen Input geben und wir so einen Schritt nach vorne machen“, sagt er rückblickend. Selbst als der Trainer gegen Ende der Transferperiode den Entschluss fasste, zurückzutreten, redete Beiersdorfer noch auf Labbadia ein. Der wiederum ließ sich von seinen Vertrauten zum Weitermachen überreden. „Das war mangelnde Konsequenz. Aber ich wollte die Mannschaft nicht im Stich lassen“, sagte Labbadia kürzlich.
Und auch Beiersdorfer ließ Konsequenz vermissen. Nachdem er den Trainer selbst nach der ersten öffentlichen Spitze durch Kühne („Abwarten, ob Labbadia das Team in Form bringt“) schützte, ließ er ihn schon nach dem vierten Spieltag fallen. Der HSV hatte gerade gegen den SC Freiburg verloren. Es war die dritte Niederlage in Folge, und Beiersdorfer traf den Entschluss, sich von Labbadia zu trennen. Einen Spieltag später vollzog er nach dem 0:1 gegen Bayern München die Trennung – am Telefon. Seitdem haben die beiden nicht mehr miteinander gesprochen.
Der Retter in Hamburg war Geschichte
Es war das schnelle Ende einer Verbindung, die noch ein Jahr zuvor unzertrennlich schien, als die beiden nach der Rettung in der Relegation von Karlsruhe bis in die Morgenstunden mit ihren Frauen in der Schanzenkneipe Erika’s Eck zusammensaßen. Etwas mehr als ein Jahr später, am 25. September, war der Retter in Hamburg Geschichte.
Nur zwei Monate später traf es Beiersdorfer selbst. Ende November teilten ihm die Aufsichtsräte Karl Gernandt und Felix Goedhart mit, dass seine Zeit als Vorstandschef beim HSV beendet sei. „Ich habe immer versucht, den Club nach einer mittel- und langfristigen Perspektive auszurichten“, sagt Beiersdorfer heute. Doch in der kurzfristigen Perspektive sah der Aufsichtsrat keine andere Wahl mehr als die Beurlaubung.
Ein Jahr nach dem großen Bruch startet der HSV nun in die nächste Sommertransferperiode. Ohne Beiersdorfer. Und ohne Labbadia. Dafür mit Trainer Markus Gisdol. Mit Sportchef Jens Todt und mit Clubboss Heribert Bruchhagen. Und auch wieder mit Investor Klaus-Michael Kühne. Und mit der großen Hoffnung, die Fehler der Vergangenheit nicht noch einmal zu begehen.
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