Sollte der HSV das Endspiel gegen Wolfsburg und die Relegation verlieren, müsste der Club noch nie da gewesene Einschnitte befürchten.
Hamburg. Die Botschaft ist unmissverständlich: Es geht um alles. Bürgermeister Olaf Scholz, der sich in der Vergangenheit nicht gerade als leidenschaftlicher Fußballfan hervorgetan hat, kündigt sich höchstpersönlich für das Saisonfinale zwischen dem HSV und dem VfL Wolfsburg am Sonnabend (15.30 Uhr) an. Das tat er zuletzt – mit Erfolg – in den beiden Relegationen gegen Karlsruhe (2015) und Fürth (2014). „Da in HSV-Krisenzeiten die Präsenz des Bürgermeisters bisher Wunder gewirkt hat, und weil wir keine Lust auf die Reise Braunschweig haben, wird der Bürgermeister am Sonnabend ins Stadion gehen“, ließ Christoph Holstein, Staatsrat für Sport, wissen.
Ein kleines Bürgermeister-Wunder kommt gerade recht. Denn selbstverständlich ist sich nicht nur Olaf Scholz der brenzligen Situation bewusst. „Die Stimmung bei uns ist sehr angespannt“, gibt HSV-Chef Heribert Bruchhagen vor dem Spiel der Spiele zu. „Das gilt für uns alle: Das gilt für die Verpackerin in unserer Merchandisingabteilung genauso wie für den Vorstand.“
Doch anders als die Fanartikel-Mitarbeiterin kennt Bruchhagen die Auswirkungen eines möglichen Abstiegs ganz genau. „Niemand will den Worst Case. Aber natürlich beschäftigen wir uns tagtäglich in allen Organisationsformen mit allen möglichen Szenarien“, sagt der Vorstandsvorsitzende. „Es ist nicht einfach, so eine Situation zu überstehen, wenn man Verantwortung für einen ganzen Club trägt.“
HSV drohen 40 Prozent weniger Erträge
Die genauen Folgen durch einen Abstieg sind nur schwer zu kalkulieren. Für den Fall der Fälle gehen Experten von einem sofortigen Rückgang der Erträge (Fernsehgelder, Marketing und Spieltagseinnahmen) von rund 40 Prozent, im zweiten Zweitligajahr sogar von 60 Prozent aus. Dem HSV würden 18 Millionen Euro TV-Erlöse aus der nationalen Vermarktung fehlen, zudem kalkulieren die Verantwortlichen mit rund 10.000 Zuschauern weniger und erheblichen Einbußen im Marketing. Hier würden die Einnahmen aus Sponsoring und Merchandising im Zweitligajahr von 38 auf maximal 28 Millionen Euro sinken.
Intern bereiten sich die Verantwortlichen im Abstiegsfall auf ein Gesamtdelta von 50 Millionen Euro vor. „Wir hätten extreme Einbußen“, gibt Bruchhagen im Gespräch mit dem Abendblatt zu, sagt aber auch: „Im Fall des Abstiegs würden bei uns aber nicht die Lichter ausgehen.“
Lasogga würde auch bei Abstieg 3,4 Millionen kassieren
Das haben die Verantwortlichen seit Kurzem sogar schwarz auf weiß. Dank der Kapitalerhöhung durch Milliardär Klaus-Michael Kühne, der statt elf mittlerweile 17 Prozent der AG-Anteile hält, ist die Zweitliga-Lizenz für das kommende Jahr gesichert. Doch trotz der Kühne-Millionen wäre der HSV im kommenden Jahr zum Kleckern statt Klotzen verpflichtet. Der Mannschaftsetat, der im Fall des Klassenerhalts von 56 Millionen Euro auf 48 Millionen Euro gekürzt werden soll, müsste auf 25 Millionen Euro zusammengeschmolzen werden.
Die gute Nachricht: Anders als bei den Relegationen 2014 und 2015, als die Verträge aller HSV-Profis zu gleichen Konditionen in Liga zwei weitergelaufen wären, haben die Verantwortlichen mittlerweile bei fast allen Lizenzspielern eine Abstiegsklausel eingearbeitet. So würden die Gehälter um rund ein Drittel gekürzt werden. Davon sind jedoch ausgerechnet die beiden Topverdiener ausgenommen. Sowohl Pierre-Michel Lasogga (3,4 Millionen Euro pro Jahr) als auch Lewis Holtby (3,5 Millionen Euro plus Prämien) hätten auch im Unterhaus Anspruch auf ihr derzeitiges Gehalt.
HSV weiß Kühne in der Hinterhand
Einen ähnlichen Fall gibt es in Wolfsburg nicht. Denn anders als die Verantwortlichen des HSV, die im Prognosebericht mit Platz zehn und 44 Punkten kalkulierten, haben die VfL-Chefs den schlimmsten Fall zumindest in der Theorie vorbereitet: Sämtliche Verträge würden nach VfL-Angaben um 30 bis 40 Prozent gekürzt. Die Wölfe müssten aber mit 40 Millionen Euro weniger an TV-Geldern rechnen. Zudem hat Volkswagen angekündigt, die Zuwendungen um 20 bis 30 Millionen Euro runterzufahren. Der Gehaltsetat würde statt 100 „nur“ noch 60 Millionen Euro betragen.
Hätte man all das ahnen können? Die Antwort aus Hamburger Sicht: selbstverständlich. „Das unternehmerische Handeln des HSV ist zwingend mit Risiken verknüpft“, heißt es ganz offiziell in der aktuellen Bilanz. Und weiter: „Ziel des Risikomanagements ist es, frühzeitig Risiken zu identifizieren und zu bewerten und rechtzeitig erforderliche Gegen- oder Absicherungsmaßnahmen zu ergreifen.“ Oder mit anderen und weniger Worten, beziehungsweise Namen: Kühne, Klaus-Michael.
Doch trotz Kühnes Zahlungen hatte Finanzvorstand Frank Wettstein den Fehlbetrag nach Steuern für die laufende Saison auf elf Millionen Euro geschätzt. Weiter heißt es im Prognosebericht: „Sollte der HSV entgegen der Annahme einen internationalen Clubwettbewerb erreichen, wird der Jahresfehlbetrag sich deutlich erhöhen, da der bedingte Forderungsverzicht nicht wirksam wird.“ Immerhin: Letztgenannter Fall konnte auch ohne die Hilfe des Bürgermeisters frühzeitig ausgeschlossen werden.