Ulrich Kortenkamp betreibt die Seite fussballmathe.de. Für den HSV stellt er diverse Berechnungen an – hat dabei aber auch Bauchgefühl.
Viel Zeit hat Ulrich Kortenkamp nicht. Der Mathematikprofessor von der Universität Potsdam sitzt gerade im Zug auf dem Weg zu einer Lehrerweiterbildung an der Humboldt-Universität zu Berlin. Doch selbst zwischen Tür und Angel reicht die kurze Zeit, um wissenschaftlich zu untermauern, dass der HSV gar nicht so verloren ist, wie es manch einer annimmt. „Die Wahrscheinlichkeit, dass sich der HSV auch ohne Relegation rettet, liegt immerhin bei 48 Prozent“, sagt der Professor für Didaktik der Mathematik. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte: „Zu 47 Prozent bleibt der HSV auf einem Relegationsplatz, und zu fünf Prozent steigt der HSV sogar direkt ab.“
Zwei Spieltage vor dem Saisonende hat die höhere Fußball-Mathematik Hochkonjunktur: Was passiert, wenn ...? Und wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass ...? Es sind Fragen, die sich beinahe jeder Fußballfan stellt – und nur wenige Fußballfans wirklich beantworten können.
Kortenkamp ist so einer. Bereits vor knapp sieben Wochen hatte das Abendblatt den Mathe- und Softwareexperten gebeten, eine Wahrscheinlichkeitsrechnung für die HSV-Rettung aufzustellen. Seine damalige Prognose: 38 Punkte würden reichen. Drei Pleiten gegen Bremen, Darmstadt und Augsburg sowie ein blamables Unentschieden gegen Mainz später, rechnet ganz Hamburg mit dem Schlimmsten. Und Kortenkamp? Sagt nüchtern, dass er an der Prognose von damals festhält: 38 Punkte dürften reichen. Zumindest wahrscheinlich.
Bei einem 1:0 sieht es zu 80,9 Prozent gut aus
Der fußballbegeisterte Zahlenjongleur rechnet vor: Sollte der HSV 1:0 am Sonnabend gegen Schalke gewinnen, dann würden die Hamburger zu 80,9 Prozent die Klasse direkt halten. Aber: Bei einem 0:0 liefe es zu 54,4 Prozent auf Relegation hinaus. Und bei einem 0:1? Dann sehe es zu 76,7 Prozent eben doch schlecht aus. Alles klar so weit?
Kortenkamps Prognosen sind die Ergebnisse einer komplizierten Wahrscheinlichkeitsrechnung, die zahlreiche Variablen beinhaltet. Gemeinsam mit Matthias Ludwig von der Goethe-Universität hat der 46 Jahre alte Rechenkünstler Werte erstellt und in einem Rechenprogramm millionenfach simuliert. Die Ergebnisse kann man auf seiner Internetseite www.fussballmathe.de finden. Es ist so eine Art Fußball-Einmaleins für Fortgeschrittene.
Das Restprogramm der Abstiegskandidaten
Auch die Kiebitze rechnen
Das Fußball-Abc für Anfänger konnten Interessierte am Mittwochvormittag im Volkspark bestaunen. HSV-Trainer Markus Gisdol, der kein Freund von Rechenspielchen jeglicher Art ist, setzte beim letzten öffentlichen Training vor dem Spiel auf Schalke auf praktische Erfolgserlebnisse statt auf theoretische Zahlenkombinationen. Schnelles Umschalten, Überzahl- und Unterzahlspiel sowie Torabschlüsse. Für die Musterschüler Bobby Wood, Kyriakos Papadopoulos und Gideon Jung war nach gut 30 Minuten Schluss, der Rest machte noch ein paar Minuten weiter.
Am Rand standen drei Duzend Kiebitze, die aber weniger das Geschehen auf dem Platz als viel mehr die Konstellationen an den letzten beiden Spieltagen diskutierten (siehe Kreise). „Wenn wir gegen Schalke gewinnen, aber gegen Wolfsburg verlieren und Mainz beide Spiele gewinnt, dann halten wir trotzdem die Liga“, rechnet einer vor und erntet allgemeines Stirnrunzeln. „Voraussetzung ist, dass dann Augsburg beide Spiele gegen Hoffenheim und Dortmund verliert“, sagt der Zuschauer und freut sich.
Sollte der durchaus komplizierte Fall tatsächlich eintreten, könnten Glücksjäger nur bedingt absahnen. Die Klassenerhaltsquote für den HSV von Wettanbieter Mybet: 25,5:10. Noch weniger bietet der Internetbuchmacher im Relegationsfall: 11,50 Euro gibt es für 10 Euro Einsatz. Richtig abkassieren könnte man nur im direkten Abstiegsfall: Dann gibt es die verlockende Quote von 80:10.
Zu 31 Prozent muss Mainz in die Relegation
Die große Rechnerei ist dieser Tage aber nicht nur in Hamburg en vogue. So dürfen sich Wolfsburg (sieben Prozent) und Augsburg (zehn Prozent) darüber freuen, dass sie zumindest mathematisch einigermaßen sicher von einem Relegationsplatz sind. Die Fans von Mainz 05 müssen dagegen zu 31 Prozent zittern. Das alles: natürlich nichts als Theorie.
Ganz praktisch tut sich selbst Ulrich Kortenkamp schwer mit einer Einschätzung aus dem Bauchgefühl heraus. „Wenn ich mal alle Zahlenspielchen ignoriere“, sagt der Professor, „dann würde ich tippen, dass der HSV am Saisonende in die Relegation muss.“ Der Mathematiker macht eine kurze Pause. „Dort wird sich der HSV mal wieder retten.“ Noch eine Pause. „Mal wieder unverdient.“
Restprogramm: Ingolstadt (17. Platz/30 Punkte): Freiburg (A), Schalke (H); HSV (16./34): Schalke (A), Wolfsburg (H); Mainz (15./34): Frankfurt (H), Köln (A); Wolfsburg (14./36): Gladbach (H), HSV (A); Augsburg (13./36): Dortmund (H), Hoffenheim (A); Leverkusen (12./ 37): Köln (H), Hertha (A).