Werder-Anhänger verüben Farbanschlag auf HSV-Bus. Gregoritsch trifft, Jatta debütiert, “Papa“ wird schmerzlich vermisst.

Bremen. Die Köpfe hingen enttäuscht nach unten, doch der Blick ist nach vorne gerichtet. In einem packenden Bundesligaspiel verliert der HSV das 106. Nordderby mit 1:2 bei Werder Bremen. Die Hamburger erwischten einen Blitzstart und gingen durch Michael Gregoritsch (6.) in Führung. Max Kruse (41.) erzielte kurz vor der Pause den verdienten Ausgleich für die Gastgeber, die das Spiel Mitte der zweiten Hälfte durch den eingewechselten Florian Kainz drehten. Vor dem Spiel hatte es einen Farbanschlag auf den Mannschaftsbus des HSV gegeben.

"Wir waren vom Anfang an nicht so im Spiel wie wir es wollten. Werder hat verdient gewonnen, weil sie die bessere Mannschaft waren. Das war zu wenig von uns", sagte der Ex-Bremer Aaron Hunt, der bei seiner Rückkehr wie von ihm selbst prophezeit bei jedem Ballkontakt ausgepfiffen wurde. "Es war ein bisschen zu viel, was heute nicht gestimmt hat", sagte Trainer Markus Gisdol.

Sakai redet Klartext

Noch deutlicher wurde Kapitän Gotoku Sakai: "So holen wir keinen Punkt! Jeder muss bereit sein, heute waren wir es nicht", sagte der Japaner. "Wir waren ganz schlecht. Alle müssen mehr Verantwortung auf dem Platz übernehmen." Und auch Rechtsverteidiger Dennis Diekmeier meinte: "Wir sind heute nicht als Mannschaft aufgetreten und haben sofort die Quittung bekommen."

Während der HSV weiterhin im Abstiegskampf steckt und nur noch einen Punkt Vorsprung auf den Relegationsplatz hat, darf Bremen, neuer Tabellen-Achter mit 39 Punkten, von Europa träumen. "Wir haben die letzten acht Spiele nicht verloren, dieses Selbstvertrauen hat man einfach gemerkt", sagte Matchwinner Max Kruse.

Matz ab nach der Niederlage im Nordderby bei Werder

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    Gregoritsch ersetzte Wood

    Wie erwartet, musste Gisdol im vor 42.100 Zuschauern ausverkauften Weserstadion auf Top-Torjäger Bobby Wood verzichten. Wegen einer Einblutung im Knie konnte der US-Stürmer bereits die gesamte Woche kein Mannschaftstraining absolvieren und wurde kurzfristig aus dem Kader gestrichen. Sein Platz in der Startelf nahm Gregoritsch ein, der im Hinspiel beim 2:2 beide Tore für den HSV erzielt hatte.

    Die zweite personelle Änderungen im Vergleich zum 2:1-Heimsieg gegen Hoffenheim musste Gisdol in der Innenverteidigung vornehmen. Der wiedergenesene Gideon Jung ersetzte den gelbgesperrten Kyriakos Papadopoulos – der Wechsel sollte die Schwachstelle beim HSV werden. Der Ausfall seiner Mentalitätsbestie war für den HSV nicht zu ersetzen. "Ich erwarte von meinen Spielern, dass sie solche Ausfälle kompensieren", stellte Gisdol klar.

    Gregoritsch trifft nach Hunt-Flanke

    Das neu formierte Abwehrzentrum offenbarte schon nach 35 Sekunden leichte Abstimmungsprobleme. Bremen kam wild entschlossen aus der Kabine und hätte den HSV beinahe mit dem ersten Angriff kalt erwischt. Zlatko Junuzovic legte exzellent quer auf Max Kruse, der Diekmeier enteilt war und aus elf Metern frei stehend am glänzend reagierenden Mathenia scheiterte.

    Gregoritsch traf erneut gegen seinen Lieblingsgegner
    Gregoritsch traf erneut gegen seinen Lieblingsgegner © dpa | Carmen Jaspersen

    Der HSV ließ sich davon aber nicht beeindrucken, sorgte für Ruhe und spielte seinerseits nach vorne. Aaron Hunt bediente Michael Gregoritsch auf den Punkt genau und der Stürmer tat das, wofür er aufgestellt wurde: er traf gegen seinen Lieblingsgegner und köpfte trocken ins linke Eck zum 1:0 für den HSV! Damit erzielte der Österreicher vier seiner zehn Bundesligatore gegen Bremen.

    Werder und HSV sehr offensiv

    Werder-Kapitän Zlatko Junuzovic setzt zum Freistoß an...
    Werder-Kapitän Zlatko Junuzovic setzt zum Freistoß an... © imago/Nordphoto

    Die Führung sorgte keinesfalls für Ruhe auf dem Platz. Beide Mannschaften lieferten sich in der Anfangsphase einen offenen Schlagabtausch mit Torchancen auf beiden Seiten. Nachdem Kostic (16.) alleine aufs Tor zulief und in Wiedwald seinen Meister fand, hatten sowohl Florian Grillitsch (18.) als auch Junuzovic (22.) den Ausgleich auf dem Fuß. Während der eine Österreicher (Grillitsch) den Ball einen Meter am Tor vorbeisetzte, zirkelte der andere (Junuzovic) einen nahezu perfekt getretenen Freistoß aus 18 Metern an den Pfosten.

    Kurz vor der Pause belohnte sich Werder für seinen hohen Aufwand und egalisierte den Spielstand. Nach Vorlage von Fin Bartels musste Kruse aus kurzer Distanz nur noch einköpfen. HSV-Torhüter Mathenia blieb diesmal ohne Abwehrchance.

    Mavraj und Mathenia klären für den HSV

    Bremen blieb auch nach dem Seitenwechsel brandgefährlich und drückte den HSV zunehmend in die Defensive. Im Eins-gegen-Eins-Duell zahlte Jung Lehrgeld, als er sich auf den Hosenboden setzte. Der 22 Jahre alte Aushilfsverteidiger durfte sich bei Abwehrchef Mergim Mavraj bedanken, der Jungs Fehler wieder ausbügelte und sich Bartels in den Weg stellte (49.).

    Als dann auch der albanische Fels in der Brandung nicht mehr klären konnte, riss einmal mehr Mathenia (53.) die Arme hoch und parierte gegen Grillitsch, der vom Elfmeterpunkt frei zum Schuss kam.

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    Der HSV brauchte wieder mehr Entlastung und erspielte sich diese durch Hunt, der sich gegen seine alte Liebe top motiviert präsentierte. Der in die Jahre gekommene Spielmacher (30) steckte durch für Matthias Ostrzolek, der nur noch Wiedwald vor sich hatte. Doch der Linksverteidiger bewies eindrucksvoll, warum er fürs Tore verhindern bezahlt wird, und schoss frontal auf Werders Schlussmann, nachdem er viel zu lange mit dem Abschluss zögerte.

    Kruse leitet auch das 2:1 ein

    Florian Kainz machte Werder zum Derbysieger und düpierte HSV-Torhüter Mathenia in der kurzen Ecke
    Florian Kainz machte Werder zum Derbysieger und düpierte HSV-Torhüter Mathenia in der kurzen Ecke © imago/Nordphoto

    Wer nun allerdings glaubte, der HSV könnte gepusht durch diese Szene mehr Gegenwehr leisten, sah sich getäuscht. Werder blieb die strukturiertere und tonangebende Mannschaft und der HSV wurde für seine Passivität im zweiten Durchgang bestraft. Kruse (69.), der Jung immer wieder düpierte, leitete mit seinem Schuss ans Außennetz die Schlussoffensive ein, für die Bremen sich wenig später selbst belohnte: der eingewechselte Kainz lief Diekmeier davon und vollendete ein Kruse-Zuspiel ins kurze Eck.

    Mathenia, der dem Österreicher die Torwartecke anbot, sah dabei nicht gut aus. Alleine dem Vertreter des verletzten René Adler das Gegentor zuzuschreiben, wäre aber vermessen, denn die komplette HSV-Elf lief bei diesem Angriff der Bremer nur hinterher. Kainz' Treffer war bereits das 14. Gegentor durch einen Einwechselspieler für den HSV in dieser Saison – ein Negativrekord in der Bundesliga.

    Jatta debütiert für den HSV

    Fortan überließ Werder dem HSV das Spiel, was der Gisdol-Elf nicht liegt und sichtlich Probleme bereitete. Mehr als ein Abseitstor durch den eingewechselten Bakery Jatta brachte der HSV trotz fünf Minuten Nachspielzeit nicht mehr zustande. Für Jatta gab es dennoch einen kleinen Grund zur Freude. Es war das Bundesligadebüt für den aus Westafrika geflohenen 18-Jährigen. In der HSV-Geschichte ist er damit der erste eingesetzte Spieler aus Gambia. "Es ist der Beginn meines großen Traums. Ich hoffe, es geht für mich jetzt so weiter", sagte Jatta.

    Der HSV muss die Niederlage nun so schnell wie möglich verarbeiten und bereits in sechs Tagen im Heimspiel gegen Darmstadt 98 ein anderes Gesicht zeigen. "In ein, zwei Tagen richten wir die Köpfe wieder auf", verspricht Hunt.

    Die Statistik

    Bremen: Wiedwald - Veljkovic, Sane, Moisander - Eggestein - Gebre Selassie, Grillitsch (63. Kainz), Junuzovic, Santiago Garcia (73. Bauer) - Bartels, Max Kruse (90. Bargfrede). - Trainer: Nouri

    HSV: Mathenia - Diekmeier, Gideon Jung, Mavraj, Ostrzolek - Gotoku Sakai, Walace - Hunt, Holtby (83. Waldschmidt), Kostic (83. Jatta) - Gregoritsch (63. Lasogga). - Trainer: Gisdol

    Schiedsrichter: Felix Brych (München)

    Tore: 0:1 Gregoritsch (6.), 1:1 Max Kruse (41.), 2:1 Kainz (75.)

    Zuschauer: 42.100 (ausverkauft)

    Gelbe Karten: Junuzovic (5), Grillitsch (4), Veljkovic (4) - Diekmeier (4)

    Torschüsse: 13:6

    Ecken: 4:3

    Ballbesitz: 53:47 %

    Zweikämpfe: 116:105