Hamburg. Die Wandlung eines Abstiegskandidaten: Dieser HSV wird vom Willen angetrieben. Und wie bei Bayern München glänzen die Oldies.

Sind die Spieler plötzlich fitter? Ist der Jugendwahn der Bundesliga einem „Oldie but Goldie“-Trend gewichen? Oder kann man den Aufwärtstrend des abstiegsbedrohten HSV einfach mit guter Planung erklären? Es mutet beinahe schon gespenstisch an, wie die Mannschaft von Trainer Markus Gisdol sich in den vergangenen Monaten verändert hat. Das 2:1 über die TSG 1899 Hoffenheim (auf dem Weg in die Champions League) mit dem neuen Hype- und Wundertrainer Julian Nagelsmann offenbarte einen Hamburger SV, der total auf die Mission Klassenerhalt fokussiert ist.

Da fällt die halbe Abwehr aus, inklusive Torwart René Adler. Und trotzdem hält die Festung Volksparkstadion, was Spieler und Trainer versprechen. Gingen in der Hinrunde Spiele häufig in der Schluss-Viertelstunde verloren oder nur unentschieden aus (gegen Freiburg, zu Hause gegen Bayern und und und), fallen die entscheidenden HSV-Tore plötzlich spät und wie ein Blattschuss gegen die perplexen Gegner.

HSV: Hier geht's zur Einzelkritik

Hertha, Gladbach (in der Bundesliga), Köln – diese nominell besseren Teams wurden wie Hoffenheim von einem bis in die Schluss-Sekunden fitten und willigen HSV bezwungen.

„Noch haben wir nichts erreicht“, sagen in seltener Eintracht Trainer Gisdol und der neue HSV-Chef Heribert Bruchhagen. Aber der Abstand zum gefürchteten Relegationsplatz 16 wächst. Nicht die Niederlage in Dortmund (0:3), nicht die Klatsche in München (0:8) stand dem Trend im Wege.

HSV gegen Hoffenheim: Die besten Bilder

Hunt nimmt dem HSV die Hoffenheim-Angst

Nicht im Mittelpunkt, aber Doppeltorschütze: Lewis Holtby reiht sich nach dem 2:1 gegen Hoffenheim zwischen Vollstrecker Aaron Hunt (l.) und Vorbereiter Bobby Wood ein
Nicht im Mittelpunkt, aber Doppeltorschütze: Lewis Holtby reiht sich nach dem 2:1 gegen Hoffenheim zwischen Vollstrecker Aaron Hunt (l.) und Vorbereiter Bobby Wood ein © Witters
Aaron Hunt nach seinem zweiten Treffer gegen Hoffenheim
Aaron Hunt nach seinem zweiten Treffer gegen Hoffenheim © Imago/Pressefoto Baumann
Alter schützt vor Kunststoß nicht: Aaron Hunt (r.) schnibbelte den HSV in der 25. Minute per Freistoß in Führung
Alter schützt vor Kunststoß nicht: Aaron Hunt (r.) schnibbelte den HSV in der 25. Minute per Freistoß in Führung © Witters
Anschließend holt sich der 30 Jahre alte Routinier den Dank seiner Kollegen ab
Anschließend holt sich der 30 Jahre alte Routinier den Dank seiner Kollegen ab © Getty Images
Hamburgs Sechser Walace (l.) gegen Marco Terrazzino, der bei Hoffenheim aufgrund der Wadenprobleme von Kerem Demirbay und Nadiem Amiri in die Startelf rückte – und das Foul vor dem 1:0 beging
Hamburgs Sechser Walace (l.) gegen Marco Terrazzino, der bei Hoffenheim aufgrund der Wadenprobleme von Kerem Demirbay und Nadiem Amiri in die Startelf rückte – und das Foul vor dem 1:0 beging © Witters
Lewis Holtby beweist seine Sprungkraft
Lewis Holtby beweist seine Sprungkraft © Witters
Christian Mathenia vertrat den verletzten René Adler und kam somit zu seinem neunten Bundesligaeinsatz für den HSV
Christian Mathenia vertrat den verletzten René Adler und kam somit zu seinem neunten Bundesligaeinsatz für den HSV © Witters
Beim Ausgleich durch Andrej Kramaric per Elfmeter war Hamburgs Torhüter ohne Abwehrchance (35.)
Beim Ausgleich durch Andrej Kramaric per Elfmeter war Hamburgs Torhüter ohne Abwehrchance (35.) © dpa
Dabei hatte Mathenia sogar die Ecke geahnt
Dabei hatte Mathenia sogar die Ecke geahnt © Witters
Nach seinem Treffer ließ sich Kramaric zu einer Provokation Richtung HSV-Fanblock hinreißen
Nach seinem Treffer ließ sich Kramaric zu einer Provokation Richtung HSV-Fanblock hinreißen © Witters
Gisdol mit einer Order an Abwehrchef Mergim Mavraj
Gisdol mit einer Order an Abwehrchef Mergim Mavraj © Getty Images
Hoffenheims Trainer Julian Nagelsmann landete nach dem 1:0-Sieg gegen die Bayern in Hamburg zu Beginn wieder auf dem Boden der Tatsachen
Hoffenheims Trainer Julian Nagelsmann landete nach dem 1:0-Sieg gegen die Bayern in Hamburg zu Beginn wieder auf dem Boden der Tatsachen © Witters
Heiße Duelle: Niklas Süle gegen Bobby Wood
Heiße Duelle: Niklas Süle gegen Bobby Wood © Witters
Auch Sandro Wagner hatte im Volksparkstadion keinen leichten Stand
Auch Sandro Wagner hatte im Volksparkstadion keinen leichten Stand © Witters
Wie ein Klassentreffen: HSV-Trainer Markus Gisdol (l.) bei der herzlichen Begrüßung seines Hoffenheimer Kollegen Julian Nagelsmann
Wie ein Klassentreffen: HSV-Trainer Markus Gisdol (l.) bei der herzlichen Begrüßung seines Hoffenheimer Kollegen Julian Nagelsmann © dpa
Auch 1899-Präsident Peter Hofmann wurde von Gisdol geherzt
Auch 1899-Präsident Peter Hofmann wurde von Gisdol geherzt © Witters
"Es freut mich, die alten Weggefährten mal wiederzusehen", sagte Gisdol © Getty Images
Und diese waren vor Anpfiff bestens gelaunt, hier demonstriert von Nagelsmann und TSG-Sportchef Alexander Rosen (l.)
Und diese waren vor Anpfiff bestens gelaunt, hier demonstriert von Nagelsmann und TSG-Sportchef Alexander Rosen (l.) © Getty Images
Ernster wirkten die Minen des äquivalenten HSV-Pärchens Jens Todt (l.) und Gisdol
Ernster wirkten die Minen des äquivalenten HSV-Pärchens Jens Todt (l.) und Gisdol © Getty Images
Und der verletzte Nicolai Müller betrat das Volksparkstadion ohnehin mit nachdenklichem Gesicht
Und der verletzte Nicolai Müller betrat das Volksparkstadion ohnehin mit nachdenklichem Gesicht © Getty Images
1/20

Und es gibt einen weiteren Aspekt, der diesen HSV wieder zum „normaleren“ Bundesligaclub macht und weg vom Image des besonderen Chaos-Clubs mit Trainer- und Vorstandskarussell führt. Plötzlich trifft einer wie Aaron Hunt (30) wieder. Der Ex-Bremer sollte im Winter in die Türkei transferiert werden. Zu teuer, zu ineffektiv. Dann gab es ein Gespräch mit Gisdol. Und Hunt ist kaum wegzudenken aus seiner neuen Rolle. Die beiden Tore gegen Hoffenheim waren das Zuckerl auf der Wiedergeburt eines stillen Antreibers.

Hunt und Adler wie Robben und Ribery

Auch Torwart Adler, obwohl jetzt durch einen Rippenbruch gehandicapt, hat sich einen zweiten Frühling antrainiert. Eine Vertragsverlängerung hat noch einmal Unterfütterung durch klare sportliche Gründe bekommen. Beide, wie auch Mergim Mavraj, gehören zur Ü-30-Fraktion der Bundesliga, die im Saisonfinale noch einmal alle Register zieht. Dazu gehören ebenfalls die bärenstarken und schnellen Oldies Franck Ribery und Arjen Robben bei Bayern München. Wer hätte gedacht, dass diese beiden für den Rekordmeister auf dem Weg zum ersehnten zweiten Triple noch einmal so wichtig sein könnten?

Die Statistik

HSV

Mathenia - Diekmeier, Mavraj, Papadopoulos, Ostrzolek - Walace, Sakai - Hunt (90.+3 Janjicic), Holtby, Kostic (81. Gregoritsch) - Wood (85. Wood). Trainer: Gisdol

TSG Hoffenheim

Baumann - Bicakcic (78. Uth), Hübner, Süle, Vogt - Rudy (46. Amiri), Schwegler, Zuber, Terrazzino (61. Rupp) - Wagner, Kramaric. Trainer: Nagelsmann

Schiedsrichter

Dr. Felix Zwayer (Berlin)

Tore

1:0 Hunt (25.), 1:1 Kramaric (35./Elfmeter), 2:1 Hunt (75.)

Gelbe Karten

Kostic, Walace, Papadopoulos (5.), Diekmeier – Rudy, Kramaric, Zuber, Hübner

Zuschauer

55.000

1/6

Und Aaron Hunt sagt einfache Wahrheiten, die aber immer wieder gültig sind: „Wir waren von der ersten Minute an sofort im Spiel und haben verdient gewonnen. Das ist ein gutes Gefühl.“ Gisdol sagte über Hunt: „Er ist ein richtig guter Pressing-Spieler. Es heißt immer, es geht nur mit jungen Spielern. Schön zu sehen, dass Hunt da ist.“ Am nächsten Sonntag geht es gegen Werder Bremen, wo Adler (verletzt) und Papadopoulos (gesperrt) fehlen werden. Wieder so ein Team, das wie Hoffenheim und zuvor Köln und Gladbach mit einer beeindruckenden Siegesserie auf den HSV trifft. Diesen vermeintlichen Überfliegern, so scheint es, nimmt der HSV derzeit den Aufwind.

Und Aaron Hunt? Er freut sich auf seine alte Heimat: "Ich hoffe, mir passiert nichts, denn auf uns wartet dort ein richtig geiles Spiel." So klingt eine Kampfansage.