Hamburg. Gladbachs Lars Stindl ist in der Form seines Lebens. Porträt eines Außergewöhnlichen, den der HSV nicht bekam.
So eine Geschichte wird Lars Stindl wohl nie wieder passieren. Nicht an diesem Donnerstag, wenn der Kapitän von Borussia Mönchengladbach vor dem Anpfiff des Achtelfinalhinspiels der Europa League beim FC Schalke 04 (21.05 Uhr/Sport1 und Sky) zur Seitenwahl antritt. Und auch nicht am Sonntag (17.30 Uhr/Sky), wenn Stindl nur elf Tage nach seinem Missgeschick in Hamburg erneut mit HSV-Kapitän Gotoku Sakai am Anstoßpunkt steht.
Der kleine Jonas aus Warstein wird beide Spiele nur am Fernseher verfolgen. Die Geschichte des Sechsjährigen hatte in der vergangenen Woche viele Fußballfans gerührt. Als Einlaufkind wollte er vor dem DFB-Pokalspiel der Gladbacher beim HSV (2:1) seinem Lieblingsspieler Stindl die Hand geben. Doch sein Idol übersah den kleinen Jungen. Das Video lief durch alle sozialen Medien. Stindl, der eben noch den HSV aus dem Pokal geschossen hatte, entschuldigte sich direkt nach dem Spiel und versprach Jonas sein Trikot. „Sorry. Ich bin doch immer so nervös“, schrieb Stindl, der Mann des Spiels, via Twitter.
Am Sonntag hatte Stindl den kleinen Jungen im Heimspiel gegen Schalke im Borussia-Park getroffen und ihm sein Trikot übergeben. Anschließend wurde Jonas, der nur Real Madrid und Cristiano Ronaldo noch mehr anhimmelt als die Borussia, von der „Sportbild“ in Warstein besucht. Der Reporterin habe der glückliche Jonas im viel zu großen Trikot des Gladbachers verraten: „Stindl ist cooler als Ronaldo.“ Das hollywoodreife Happy End einer außergewöhnlich menschlichen Geschichte.
Noch außergewöhnlicher sind allerdings die sportlichen Sternstunden, die Stindl seit Wochen erlebt. Der 28-Jährige spielt zwar seit mehreren Jahren auf einem konstant hohen Bundesliganiveau, doch so stark wie in den vergangenen Wochen war Stindl noch nie. „Ich arbeite noch nicht lange mit ihm zusammen, aber Lars ist im Moment megapräsent. Er trifft fast immer die richtigen Entscheidungen. Er ist in einer herausragenden Verfassung“, sagte Gladbachs Trainer Dieter Hecking – der sich mit Einzellob in der Regel zurückhält – nach dem Sieg im Pokal über Stindl.
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Insbesondere sein außergewöhnlicher Auftritt vor zwei Wochen im Europa-League-Rückspiel beim AC Florenz hat Stindl in den Fokus gerückt. Nach einem 0:2-Rückstand drehte der Angreifer das Spiel mit einem rekordverdächtigen Dreierpack innerhalb von nur elf Minuten und bescherte den Gladbachern das deutsch-deutsche Achtelfinalduell gegen Schalke. Drei Tage später traf er auch zum Sieg in Ingolstadt, wiederum drei Tage später zum Sieg in Hamburg. Vier Tage später gab er eine Vorlage beim 4:2 gegen Schalke. Heute geht es wieder gegen Schalke, am Sonntag wieder gegen Hamburg. Eine außergewöhnliche Konstellation.
HSV-Trainer Markus Gisdol wird seine Mannschaft wieder versuchen, auf den formstarken Stindl einzustellen. „Er ist ein toller Spieler, der den Unterschied ausmacht“, sagte Gisdol bereits vor dem jüngsten Pokalspiel gegen Gladbach, das Stindl mit seinem Elfmetertor maßgeblich mitentscheiden sollte. „Als er vor zwei Jahren nach Gladbach gewechselt ist, hat ihn ungefähr jeder Bundesligist auf dem Zettel gehabt und hätte ihn gerne geholt“, so Gisdol.
Gladbach bekam den Zuschlag
Auch der HSV war im Frühjahr 2015 an Stindl interessiert, wie der damalige HSV-Sportchef Peter Knäbel nun dem Abendblatt verriet. Stindl spielte noch für Hannover, und Knäbel saß im Februar 2015 auf der Tribüne der HDI Arena gegen Mainz. Anschließend erkundigte sich Knäbel nach dem 96er-Kapitän. Doch auch Dortmund, Schalke und Leverkusen wollten Stindl, während der HSV noch nicht wusste, in welcher Liga er in der Saison darauf spielen würde.
Am Ende bekam Gladbach den Zuschlag – für nur drei Millionen Euro. „Wir waren chancenlos“, sagt Knäbel heute, der Stindls Qualitäten schon damals schätzte. „Ich kenne keinen anderen offensiven Mittelfeldspieler, bei dem es bei Ballbesitz immer weiter nach vorne geht. Er spielt extrem raumgewinnend, hat eine tiefe Fehlerquote und einen super Abschluss.“ Kurz gesagt: „Lars ist ein außergewöhnlicher Spieler.“
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Auch als Typ genießt und genoss Stindl bei all seinen Clubs großes Ansehen. Er gilt als Traditionalist, der immer die Nähe zu den Fans sucht. Dass der kleine Jonas vor allem Ronaldo anhimmelt, wundert Stindl nicht. „Kinder werden vor allem auf die Superstars getrimmt, auf die Champions League. Die Sender stellen sie nicht mehr nur als Fußballer, sondern als Popstars dar“, sagte Stindl im Oktober in einem außergewöhnlichen „11 Freunde“-Interview.
Ein Superstar wird Stindl wohl nicht mehr, obwohl er in dieser Champions-League-Saison selbst gegen Barcelona herausragte. Möglicherweise hat das auch Bundestrainer Joachim Löw mitbekommen, der in Kürze sein Aufgebot für die Länderspiele gegen England und Aserbaidschan bekannt geben wird. Noch ist Stindl ohne A-Länderspiel. „Wenn es nicht klappt, dann ist das halt so. Das ist kein Weltuntergang“, sagte er kürzlich. Sollte es doch passieren, wäre es das vorläufige Happy End einer jetzt schon außergewöhnlichen Karriere.