Hamburg. Auf den Tag vor zwölf Monaten spielte der Gambier erstmals im Volkspark vor. Die Geschichte eines Flüchtlings, der angekommen ist.
Bakery Jatta ist der Letzte. Mal wieder. Während seine Mannschaftskollegen am Mittwochmorgen längst in die Kabine getrabt sind und sich vor Sturmtief Axel in Sicherheit gebracht haben, sammelt der junge Mann mit der Streifenhörnchenfrisur noch die übrig gebliebenen Bälle auf dem Trainingsplatz zusammen. Jatta kickt den letzten Ball hoch, nimmt ihn mit der Fußspitze in der Luft auf und grinst zufrieden. Genug für heute. Noch ein paar Autogramme, ein freundliches Nein zu einem Anhänger, der fragt, ob er seine Schuhe haben dürfte, dann ist Feierabend. Profifußballeralltag.
Auf den Tag ist es genau ein Jahr her, da hätte Bakery Jatta sein letztes Hemd dafür gegeben, einen Profivertrag beim HSV zu unterschreiben. Jetzt braucht er nicht mal seine Fußballschuhe herzugeben. „Bakery hat es geschafft“, sagt Jattas Berater Efe Aktas. „Er ist glücklich, weil er endlich das Gefühl hat, angekommen zu sein. Für ihn ist das eine wirklich tolle Geschichte.“
Der HSV war Jattas Wendepunkt
Jattas Geschichte ist eine besondere Geschichte. Die Kurzform geht so: Von der Diktatur Gambias durch die Wüste und über das Mittelmeer geflüchtet, in der Akademie Lothar Kannenberg in Bothel bei Bremen gestrandet, beim HSV am 4. Januar 2016 vorgespielt und schließlich im Sommer einen Dreijahresvertrag unterzeichnet. Die Kurzform einer Flüchtlingsgeschichte, die längst hoch und runter erzählt wurde. Dabei ist es die lange und klischeefreie Version, die diese Geschichte erzählenswert macht.
„Das erste Training beim HSV werde ich mein Leben lang nicht vergessen, da es der Wendepunkt in meinem Leben war, den mir der HSV ermöglicht hat“, sagt Jatta ein Jahr danach. Und obwohl sein Talent schon damals nach nur zwei Trainingseinheiten unübersehbar war, waren seinerzeit nicht alle beim HSV von einer sofortigen Verpflichtung Jattas überzeugt. Besonders beim Alter des jungen Mannes hatte der eine oder andere Zweifel. Die biologische Entwicklung des zu der Zeit angeblich 17 Jahre alten Jattas sei längst abgeschlossen, verriet der damalige Sportchef Peter Knäbel nach einer genauen Untersuchung im UKE. Die unbewiesene Vermutung: Jatta sei eher 21 oder 22 Jahre alt. Und so dauerte es dann noch ein halbes Jahr, bis – allen Zweifeln zum Trotz – alle Dokumente ausgefüllt und Behördengänge erledigt waren und am 13. Juni, eine Woche nach seinem mutmaßlichen 18. Geburtstag, der Profivertrag unterschrieben werden konnte. Ein Dreijahresvertrag. Viel wichtiger: eine dreijährige Aufenthaltsgenehmigung.
Jatta will Fußballer sein, kein Flüchtling
„Es ist ein Privileg für jeden Ausländer, in Deutschland leben zu dürfen, so viel Toleranz, Religion und eigene Meinungsfreiheit ausleben zu können“, sagt Jatta, der aber keine Lust mehr hat, immer nur auf die Flüchtlingsgeschichte reduziert zu werden. In erster Linie sei er Fußballer und nicht Flüchtling. „Für meine persönlichen Ziele möchte ich hart arbeiten, um meinen Traum zu verwirklichen und meinen Coach Markus Gisdol davon zu überzeugen, in der Bundesliga auf dem Rasen zu stehen“, sagt der pfeilschnelle Flügelflitzer, der zwar noch keine einzige Bundesligaminute spielen durfte, aber in zehn Regionalligaspielen für die U21 immerhin schon sechs Tore erzielen konnte.
„Bakery tut unserem Team gut“, sagt U21-Trainer Dirk Kunert, und lobt: „Er hat ein gutes Tempo und einen starken Abschluss. Auch menschlich wird er in der Mannschaft sehr geschätzt. Sein Deutsch ist sehr gut, er lernt sehr fleißig.“ Zweimal in der Woche geht Jatta zum Sprachunterricht, seine ersten Worte waren: „Guten Morgen!“
Fans singen „Jatta für Deutschland“
Ein guter Tag war der 18. September für Jatta. Wochenlang hatte es gedauert, ehe die Behörden dem Nicht-EU-Flüchtling die Genehmigung erteilt hatten. An jenem Sonntag war es so weit: erstes Heimspiel, 200 Zuschauer, Wolfgang-Meyer-Sportplatz. Kleiner Fußball, große Träume. „Jungs, wir glauben an euch“, stand auf einem Plakat.
Der Glaube kann Berge versetzen. Sagt man zumindest. Es dauerte 38 Minuten, ehe der Berg Jatta an jenem September-Sonntag ins Rollen kam. Ein kurzer Antritt, ein überlegter Schuss, das erste Heimtor. 25 Minuten später: wieder ein kurzer Antritt, diesmal der Kopf, das zweite Tor. „Baaaaaakery Jatta, dudei, dudei“, sangen ein paar HSV-Fans. Und: „Jatta für Deutschland!“
Jatta ohne Probleme mit nach Dubai
Ganz so weit ist es noch nicht. Zunächst einmal heißt es nur: Jatta für Dubai. Denn anders als vor einem Jahr, als der HSV Jatta ins Trainingslager mit einer Ausnahmegenehmigung nach Belek mitnehmen wollte und sich im Paragrafendschungel verirrte, wurden diesmal sämtliche Papiere für den heute startenden Trip in die Wüste rechtzeitig unterschrieben. „Bakery ist ein Spieler mit spannenden Ansätzen. Es ist bei seiner Geschichte völlig normal, dass er Zeit benötigt, um sich an die großen Herausforderungen eines Bundesligaclubs zu gewöhnen“, sagt Trainer Gisdol, der sich darauf freut, Jatta bei seinen großen Zielen zu unterstützen.
Das größte Ziel, sagt Aktas, habe der Schlaks mit den dünnen Beinen längst erreicht. „Bakery war extrem schüchtern, als er neu nach Deutschland kam. Aber in Hamburg ist er immer mehr aufgeblüht. Er fühlt sich wohl“, sagt Aktas, der sich sicher ist, dass Jatta auch seinen Traum von einer Profikarriere beim HSV verwirklichen kann. Und wenn nicht? „Baka kocht unglaublich gut, fast zu gut“, sagt Aktas, und witzelt: „Wenn es mit dem Fußball nichts wird, dann wird Baka eben Koch.“ Das wäre dann wirklich eine etwas andere Geschichte.