Das neue Wir-Gefühl beim HSV: Gisdol vereint den Club auf ganzer Ebene. Die jüngsten Erfolge überdecken die Machtkämpfe im Verein.
Hamburg. Trainer Markus Gisdol, eigentlich der Ruhepol beim HSV, flippte aus. Faustschwingend tobte er los, sprang Stürmer Michael Gregoritsch auf den Rücken und schrie sein Glück heraus. Der HSV hatte durch Filip Kostic das 1:0 gegen den FC Augsburg geschossen. „Die Mannschaft hat alles reingehauen, was sie hatte. Dann ist man als Trainer natürlich emotional komplett dabei“, erläuterte Gisdol seinen ungewohnten Gefühlsausbruch.
Sein als Krisentruppe abgestempeltes Team hat nun zwei Spiel nacheinander gewonnen, ist seit vier Spielen unbesiegt und sammelte somit acht Punkte. Nach katastrophalem Saisonstart kriecht der Bundesliga-Dino langsam aus dem Tabellenkeller. Derzeit liegt er auf dem Relegationsplatz.
Beiersdorfer oder Bruchhagen?
Wenige Höhenmeter oberhalb von Gisdol vollzog sich im Volksparkstadion ein weiteres bemerkenswertes emotionales Ereignis. Als der Schlusspfiff ertönte und die Fans „Oh, wie ist das schön“ sangen, lagen sich auf der Tribüne Aufsichtsratschef Karl Gernandt und Vorstandsvorsitzender Dietmar Beiersdorfer jubelnd in den Armen. Eigentlich, so heißt es, will der eine (Gernandt) den anderen (Beiersdorfer) durch Heribert Bruchhagen ersetzen.
Der als TV-Experte tätige Ex-Chef von Eintracht Frankfurt ließ sich jedoch zu keinerlei Bekenntnissen hinreißen. „Ich freue mich, dass sie gewonnen haben. Das war fast lebensnotwendig. Zu allem anderen möchte ich mich nicht äußern“, erklärte Bruchhagen bei Sky.
Solange der HSV punktet, kann man Beiersdorfer schwerlich den Laufpass geben, ohne erneut Unruhe zu schüren. Was in der Winterpause geschieht, ist ein anderes Thema. „Dietmar Beiersdorfer und ich arbeiten nach wie vor gut zusammen. Das sollte man nicht von den Ergebnissen abhängig machen“, betonte Gisdol. Mit dem Vorstandschef fädelt der Trainer derzeit Transfers für die Defensive ein.
Der neue Teamspirit beim HSV
Gisdols Wunsch nach „mehr Geschlossenheit im gesamten Verein“ könnte nach dem Sieg über Augsburg erhört werden – zumindest bis zum nächsten Sonnabend. Dann gastiert der HSV beim 1. FSV Mainz. „So wollen wir jetzt weitermachen. Es ist nicht die Zeit, sich auszuruhen“, forderte Mittelfeldspieler Nicolai Müller. Der flinke Techniker hatte das Siegtor sehenswert vorbereitet. Auch Kollege Lewis Holtby frohlockte: „Der Trend geht nach oben.“
Einzelkritik: Holtby darf sich nicht beschweren
Der Mittelfeldkämpfer wird aber vorerst fehlen. Denn Holtby kassierte nach einem Ellenbogenstoß gegen Dominik Kohr („Ich wollte mich befreien, ihn aber nicht treffen“) die Rote Karte. Die hätte auch der Augsburger verdient gehabt, weil er Holtby nach der Ringkampfeinlage trat. Sein Versäumnis korrigierte Schiedsrichter Daniel Siebert 22 Minuten später, als er Kohr wegen wiederholten Fouls per Gelb-Rot vom Platz stellte. „Das Spiel heute ist ein Sinnbild für die gesamte Saison“, befand Holtby. „Nach einem Rückschlag sind wir zurückgekommen.“
HSV besiegt Augsburg nach hitzigem Gefecht
Gisdol kann erst mal durchschnaufen. Nach anfänglichen Misserfolgen führte er die Mannschaft mit Ruhe und Beharrlichkeit zurück ins Leben. Seit dem Trainingslager in Barsinghausen vor zweieinhalb Wochen hat sich ein Wir-Gefühl im Team breitgemacht. Vor allem: Die Mannschaft spielt anders. Nicht mehr ängstlich quer und zurück. Spieltechnisch rumpelt es noch, aber es herrscht ein anders Selbstverständnis. Müller spricht von einem neuen Geist und Holtby schwört: „Die Mannschaft hat kapiert, dass Qualität in ihr steckt und es nur gemeinsam geht.“