Hamburg. “Ich habe eine total verunsicherte Mannschaft übernommen.“ Jetzt fehlen Innenverteidiger. Kapitän René Adler stellt die Moralfrage.
Kapitän René Adler stinksauer, Clubboss Dietmar Beiersdorfer ratlos und der neue Trainer Markus Gisdol ernüchtert - das Ringen um den Klassenerhalt hat beim Hamburger SV spätestens nach der desaströsen 0:3-Niederlage gegen Eintracht Frankfurt begonnen. Die Leistung des HSV war derart erbärmlich, dass Tausende Zuschauer vorzeitig das Volksparkstadion verließen. Die Fans auf der Nordtribüne, die tapfer bis zum Schlusspfiff durchhielten, drehten den Profis anschließend demonstrativ den Rücken zu.
Am Tag nach der Pleite sagte Trainer Markus Gisdol, er habe eine "total verunsicherte Mannschaft" übernommen (siehe Video unten). Schon eine Kleinigkeit führe dazu, dass das Team den Faden verliere. Dabei gebe es im Training gute Ergebnisse. Allerdings: Gisdol hat einen Punkt geholt (in Gladbach), Vorgänger Bruno Labbadia auch genau einen. Zwei Punkte in acht Spielen – kein Wunder, dass man verunsichert sei, sagte Gisdol. Man spüre den enormen Druck.
René Adler macht seinem Ärger Luft
Für Adler der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. "Ich habe keine Lust, immer das Arschloch zu sein, das alles erklären muss. Ich habe keinen Bock mehr, mich auspfeifen zu lassen, das kotzt mich an," schimpfte er wie ein Rohrspatz. "Wir haben alles vermissen lassen, was man braucht, um in der Bundesliga zu gewinnen“, so Adler weiter. "Wir haben uns abschlachten lassen, das ist auch eine Einstellungsfrage."
Ätzende Kritik, der angesichts dieses Debakels niemand widersprechen konnte. Sogar Frankfurts Sportvorstand Fredi Bobic erkannte: „Man merkt, dass der HSV verunsichert ist.“
Video: Matz ab live – die Abrechnung
572 Minuten ohne zählbares Tor
26 Tage nach seinem Start beim HSV wirkte Trainer Markus Gisdol angesichts seiner desolat verlaufenen Heimpremiere zwar ruhig, aber ziemlich ernüchtert. "Die Spieler sind wahnsinnig enttäuscht - und wir auch. Das war ganz schlecht, da gibt es nichts schönzureden", sagte er am Sonnabend: "Bei uns bricht immer schnell viel weg, wenn wir ein Gegentor bekommen."
Im sechsten Spiel nacheinander gelang den Norddeutschen kein Treffer, damit stellte die Mannschaft den Negativrekord des Vereins aus der Saison 2014/15 ein. 572 Minuten ohne Torerfolg - und bis auf eine Chance von Pierre-Michel Lasogga kreierte der HSV nicht einmal gefährliche Situationen und bleibt auf einem Abstiegsplatz.
Grauenhaft: HSV gegen Eintracht Frankfurt
Beiersdorfer: "Befinden uns im Abstiegskampf"
"Das war nicht zu entschuldigen, wir befinden uns im Abstiegskampf", legte sich auch Vorstandsboss Beiersdorfer nach dem Spiel fest. Man werde aber erstmal reden und dann die Mannschaft in die Pflicht nehmen.
Ähnlich äußerte sich auch der Aufsichtsratsvorsitzende Karl Gernandt. „Wir erwarten von den Spielern deutliche Zeichen“, sagte er am Sonnabend in einem Interview auf der Homepage des Vereins. Er sei „entsetzt, wie zaghaft, wie wenig geschlossen und zum Teil naiv unsere Spieler sich hier beim ersten (Heim-) Spiel des neuen Trainers gezeigt haben.“ Die Art und Weise, wie die Spieler sich verkauft hätten, sei erschreckend.
Im Video: Gisdol erklärt die Dramatik der Situation
Trainer Markus Gisdol machte in einer Kabinenpredigt seinem Ärger Luft. „Wir haben die Dinge sachlich, aber knallhart angesprochen. Jetzt müssen wir den Fokus auf die kommende Aufgabe im DFB-Pokal richten“, sagte er.
HSV ohne Innenverteidiger in Köln
Unterdessen wurde am Sonnabend bekannt, dass die Verletzung von Emir Spahic offenbar deutlich schwerwiegender ist als zunächst angenommen. "Es ist mehr als eine Zerrung. In Köln haben wir sicher keinen Innenverteidiger, diese Situation ist absurd", sagte Gisdol am Sonnabend. Dennis Diekmeier hatte gegen Frankfurt die Gelb-Rote Karte gesehen, Cléber ist noch gesperrt, Johan Djourou (Muskelfaserriss) verletzt. Im DFB-Pokal beim Drittligisten Hallescher FC am Dienstagabend (20.45 Uhr/Sky) sind Cléber und Diekmeier spielberechtigt.
In der Bundesliga geht es danach zum Überraschungsteam 1. FC Köln und Anfang November gegen Borussia Dortmund, ausgerechnet an Uwe Seelers 80. Geburtstag. Wenn der HSV nicht schnell die Kurve kriegt, könnte er vor Weihnachten schon den Anschluss ans Mittelfeld verloren haben.