Hamburg. Worüber würden sich die Fans des HSV in dieser Saison freuen? Und worauf können sie gerne verzichten?

Seit zehn Jahren moderiert Katrin Müller-Hohenstein das „Aktuelle Sportstudio“. Seit sieben Jahren berichtet sie von Fußball-Länderspielen. Beim deutschen WM-Sieg in Brasilien war sie so dicht dran wie kein anderer DFB-Reporter. Auf ihre Fußball-Expertise sollte man also zählen können. Fans in Hamburg dürften es entsprechend wohlwollend zur Kenntnis genommen haben, als Müller-Hohenstein am Freitag via „Bild“ ihren Geheimfavoriten für die neue Bundesligasaison nannte: den HSV. Den HSV? Den HSV!

Zugegeben, ein wenig überraschend kommt dieser Tipp dann schon daher. Zwar gibt es nicht wenige Experten, die den Hamburgern ein gutes Jahr zutrauen. Aber wie sagte Trainer Bruno Labbadia vor dem Saisonstart an diesem Sonnabend gegen den FC Ingolstadt (15.30 Uhr/Sky und Abendblatt-Liveticker): „Die ersten sechs, sieben Plätze sind praktisch vergeben.“ Und weiter: „Ab Platz acht, spätestens Platz neun, beginnt der Abstiegskampf.“ Wo also landet der HSV? „Das kann ich nicht sagen“, so Labbadia. Nur so viel: Vieles soll anders werden. Das Abendblatt sagt, worauf sich die Fans freuen würden – und worauf sie gerne verzichten.

Packing: Das Modewort der EM soll in dieser Saison auch beim HSV Einzug halten. Das offensive Überspielen von Gegenspielern, von Nationalspieler Toni Kroos in Perfektion praktiziert, kannte man in Hamburg bislang nicht. Allein im Rückwärtspacking gelten HSV-Profis wie Matthias Ostrzolek als Experten. Sichere Rückspiele statt riskante Packingpässe. Gut, dass der HSV mit Alen Halilovic einen Spieler gefunden hat, der offensiv das bedingungslose Risiko sucht. Wenn der kroatische Wirbelwind dann auch regelmäßig zum Einsatz kommt ...

Übergänge: Es ist eines der größten Ziele des HSV: Nachwuchsspieler sollen den Sprung aus der Jugend zu den Profis schaffen. Dafür verfügt der HSV über einen Übergangstrainer (Bernhard Trares), einen übergreifenden Talentebetreuer (Marinus Bester) und im nächsten Sommer auch über einen Campus, der die Übergänge beschleunigen soll. Allein es fehlt bislang an Übergängen. Die letzten beim HSV ausgebildeten Jugendspieler, die sich mehr schlecht als recht bei den Profis probieren durften, waren Matti Steinmann und Ashton Götz. Auf Einsätze bringen könnte es in dieser Saison Mittelfeldtalent Finn Porath. Die Fans wären mehr als dankbar.

Scooter: Keine Sorge, ein „Hyper Hyper“-Konzert auf dem neuen Grün der HSV-Arena soll es in absehbarer Zeit nicht geben. „Always Hamburg“ schallt dafür auch in der neuen Saison bei HSV-Toren im Volkspark. Der für den Club umgeschriebene Scooter-Hit soll in dieser Spielzeit eine neue Blütezeit erfahren. Zuletzt wurde die Platte ein wenig rostig. Magere 20 Heimspieltore bejubelte der HSV in der letzten Saison. Nur vier Teams waren harmloser. Das 900. Heimspiel der HSV-Bundesligahistorie gegen Ingolstadt wäre der passende Anfang einer neuen Scooter-Renaissance.

Berlin: Audioaufnahmen beweisen, dass Johan Djourou diesen Satz wirklich gesagt hat: „Wir wollen nach Berlin.“ Der HSV-Kapitän war nach dem ungewohnten Erstrundenüberstehen im DFB-Pokal offenbar derart euphorisiert, dass er sich das Pokalfinale am 27. Mai 2017 in der Hauptstadt zum Ziel setzte. Das wäre dann exakt 30 Jahre nach dem letzten Pokalsieg des HSV im Jahr 1987. Warum also nicht mal träumen, solange es noch möglich ist. Realistischer ist allerdings, dass die Auswärtsfahrt zu Hertha BSC Anfang Oktober die einzige Berlin-Reise bleibt. Und die Fans wären ja schon zufrieden, wenn es dort zur Abwechslung mal keine 0:3-Niederlage hagelt.

Belastungssteuerung: In der modernen Sportwissenschaft bedeutet der Begriff so viel wie eine individuelle Dosierung der Trainingsintensität. Erfunden wurde das Wort beim HSV aber offenbar für ehemalige Spieler wie Ivo Ilicevic, die nach einer 90-minütigen Belastung drei Tage nicht mehr laufen konnten. Aaron Hunt musste in der vergangenen Saison allein an 92 Tagen aus sechs verschiedenen Gründen gesteuert werden. Nun besteht berechtigte Hoffnung auf Besserung: Seit Anfang Juli hat Hunt erst eine Einheit versäumt ...

Abstiegskampfreichweite: Trainer Bruno Labbadia und Sportchef Dietmar Beiersdorfer waren sich in ihrer Saisonanalyse einig: Man habe sich nicht einmal ernsthaft in Abstiegsgefahr befunden. Nun kann man über diese Einschätzung sicher verschiedener Ansicht sein, bekanntlich sicherte sich der HSV den Klassenerhalt erst am 33. Spieltag. Sollte der Klassenkampf in der Liga in der neuen Saison tatsächlich wie von Labbadia prophezeit ab Platz acht beginnen, wäre dem HSV wohl erneut von Beginn an ein klarer Abstiegskandidat. Klar ist für die Fans nur eins: Etwas mehr als die sichere Abstiegskampfreichweite dürfte es in dieser Saison dann schon mal sein.

Stabilisierungsphase: Der Duden schlägt für den Begriff „stabil“ folgende Synonyme vor: Beanspruchungen aushaltend, widerstandsfähig, Schwankungen kaum unterworfen. 16 Monate nach der Relegation in Karlsruhe lassen sich all diese Zuschreibungen auf den HSV übertragen. Galt die Suche nach Stabilität eine Saison lang als Erklärungsmuster für Leistungsschwankungen, hat sich der HSV nun zurechtstabilisiert. Folgende Begriffe dürften daher zur engeren Auswahl für die Modewörter der kommenden Saison zählen: Entwicklungsphase, Umbruch, Reifeprozess.

Lastminutetransfers: Am kommenden Mittwoch ist es wieder so weit: Dead­lineday! Beim HSV steht der letzte Tag der Transferperiode traditionell für Spektakel, Spekulationen und Missgeschicke. Zumeist standen die hektischen Hamburger Schlussbemühungen für eine missglückte Kaderplanung. Dass Sportchef Beiersdorfer gerne im Schlussverkauf zuschlägt, bewies er im Februar 2009, als er in letzter Sekunde mal eben sechs neue Spieler verpflichtete. Eine derartige Shoppingtour ist diesmal zwar nicht zu erwarten, die erhoffte Defensivverstärkung wird aber immer noch gesucht. Für eine Überraschung ist der HSV also immer noch gut.