Spieler, Trainer und auch Clubchef Beiersdorfer stehen unter Erfolgsdruck.
Die harmonischste Jahreszeit für Bundesliga-Fans ist fast vorbei – die zwischen zwei Spielzeiten. Bevor der erste Anpfiff erfolgt, sind so gut wie alle Spekulationen und Träumereien erlaubt. Für die HSV-Anhänger galt dies umso mehr vor dem ersten Heimspiel gegen Ingolstadt an diesem Sonnabend, schließlich hat der Club mit den Transfers von Alen Halilovic (20), Bobby Wood (23) und Filip Kostic (23) kräftig in den Bereich Hoffnung investiert – in junge Spieler mit Entwicklungspotenzial, die der Offensive lange vermisstes Tempo und mehr Dynamik verleihen sollen und auch können.
Der häufigste Fehler der Fußballsympathisanten (inklusive uns Journalisten) ist jedoch, Erwartungen zu formulieren, die jeder Grundlage entbehren, und sich dann zu beschweren, wenn sie nicht erfüllt werden.
Übertragen auf den HSV heißt dies: Es wäre vermessen, den Club in dieser Saison zu den Anwärtern auf einen Europacup-Platz zu zählen. Dafür ist der Kader in der Breite noch längst nicht ausgewogen besetzt, es mangelt an Qualität, vor allem auf den Verteidiger-Positionen, innen wie außen. Ein einstelliges Ergebnis wäre deshalb absolut in Ordnung, obgleich man beim Gehaltsniveau dazu neigt, andere Wünsche zu formulieren.
Nach zwei Relegationsplatzierungen 2014 und 2015 sowie Rang zehn im Mai (bei fünf Punkten Vorsprung auf Platz 16) dürfen die Zuschauer aber mit Recht erwarten, dass die Lücke zu den Top-Vereinen geringer wird. Sie sollen erkennen können, welche Spielidee der HSV verfolgt, sie möchten sehen, dass einige Talente einen Sprung nach oben machen und mithelfen, die zuletzt so schwache Ausbeute im heimischen Volksparkstadion (zwölf von 17 Partien konnten in der Vorsaison nicht gewonnen werden) aufzubessern.
Bruno Labbadia, der die Hanseaten 2015 in auswegloser Situation in der Liga gehalten hatte, ist in neuer Rolle als Förderer und Entwickler gefragt: Gelingt es ihm, das Juwel Halilovic aufzubauen, ist ihm der Applaus sicher. Misslingt das Unterfangen, werden die Kritiker ihre Lauerstellung aufgeben und seine Eignung infrage stellen.
Nicht nur Spieler und Trainer, auch Dietmar Beiersdorfer steht im dritten Jahr seiner Amtszeit als Vorsitzender der HSV-AG besonders im Fokus. Der 52-Jährige war 2014 mit großen Hoffnungen verpflichtet worden, um den Neuaufbau zu gestalten, und hat seitdem viele Millionen Euro investiert. Auch für ihn persönlich wäre es wichtig, dass der HSV liefert, schließlich geht es im kommenden Jahr auch um seine Vertragsverlängerung.
Ein wichtiger Faktor bei der Beurteilung seiner Arbeit wird sein, welche Antworten und Wege er für den HSV im immer verrückter zirkulierenden Transfermarkt findet – und zwar ohne die Hilfe von Klaus-Michael Kühne. In Zeiten, in denen der FC Valencia für einen Verteidiger wie Shkodran Mustafi 41 Millionen Euro aufrufen kann und vom FC Arsenal erhält, reichen 20, 30 Millionen Euro eines Investors nicht, um nachhaltig den Anschluss nach oben zu schaffen.
Nach der Reform der Champions League, die dem Viertplatzierten der Bundesliga (gemäß dem derzeitigen Uefa-Ranking) den direkten Einzug in die Gruppenphase der Champions League garantiert (siehe S. 41), wird es für Clubs wie den HSV künftig immer schwerer, die Kräfteverhältnisse zu verschieben. Wie soll der Club Jahr für Jahr fehlende zweistellige Millioneneinnahmen gegenüber der Konkurrenz kompensieren? Der Verdrängungswettbewerb in der Bundesliga wird brutal.
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