Hamburg. Vor der Saisoneröffnung ist die Euphorie groß. Tickets, Logen und Trikots verkaufen sich bestens. Nur Kritik wird ungern gehört.

Der Zauber im Volkspark ist zurück. Zumindest zwischen 11.30 Uhr und 12 Uhr an diesem Sonnabend, wenn der Hamburger Magier Kevin Köneke das Familienprogramm bei der großen HSV-Saisoneröffnungsfeier eröffnet. Natürlich ist auch Maskottchen Hermann dabei, es gibt eine Schussgeschwindigkeitsanlage, eine Clown-Rutsche für die Kleinen sowie 1000 Liter Freibier für die Großen. Und Fußball wird selbstverständlich auch gespielt. Um 16 Uhr gastiert der englische Club Stoke City im Volkspark. Eine große Geschichte habe der Premier-League-Vertreter zu bieten, lässt der HSV auf seiner Internetseite wissen. Und wem das noch nicht genug ist: Der „Mega-Entertainer“ Robbie Williams sei sogar in Stoke geboren. Potz Blitz.

Auch ohne Williams scheint Unterhaltung rund um den HSV in diesen Tagen garantiert. Am Donnerstagabend standen hunderte Fans Schlange, als der HSV seine neuste Marketingidee zu Geld machte: rosa Trikots. Die Marketingabteilung schickte Maskottchen Hermann den ganzen Tag durch die Stadt auf PR-Tour, taufte die Farbe kurzerhand in „shockpink“ um und verkaufte in nur zwei Stunden 500 Trikots – die 2000 Vorbestellungen nicht mitgerechnet. „Diese Zahlen sind im Vergleich zu früheren Verkaufsstarts sehr gut, und die Nachfrage ist weiterhin ungebrochen“, freut sich Timo Krause, Leiter der Merchandisingabteilung.

Auch am Morgen nach dem „Late-Night-Shopping“ waren es erneut 300 Fans, die beim Training zuschauten. Für den Test gegen die englische Bundesligafiliale an diesem Sonnabend setzte der HSV im Vorverkauf sogar 18.000 Tickets ab. Der frühere Bremer Marco Arnautovic wird erwartet, genauso wie der einstige Hoffenheim-Frankfurt-Hannover-Profi Joselu, der Ex-Münchner Xherdan Shaquiri, der frühere 96-Stürmer Mame Diouf und der ehemalige Leverkusener Philipp Wollscheid.

Viel wichtiger als die Arnautovic-Shaquiri-Dioufs sind für die HSV-Fans aber natürlich die Kostic-Halilovic-Wood-Waldschmidts. An diesem Sonnabend selbstverständlich alle in rosa, Pardon, in shockpink. Allein das Jersey von Barcelona-Neuzugang Alen Halilovic hat sich bereits 500-Mal verkauft. Natürlich werde er neben Halilovic auch einen Großteil der anderen Neuen den Fans im Stoke-Test präsentieren, kündigt Trainer Bruno Labbadia an, der in Hamburg eine ganz neue Stimmung ausgemacht haben will. „Die meisten freuen sich, dass wir ein paar Schritte nach vorne gemacht haben“, sagt der Coach. „Die Freude ist zurück.“

Mehr als 25 Millionen Euro hat der eigentlich klamme Club in die neue, rosarote HSV-Welt investiert. Allein Flügelflitzer Filip Kostic hat 14 Millionen Euro gekostet, auch Mittelfeldtalent Halilovic (fünf Millionen Euro) und Sturmhoffnung Bobby Wood (3,5 Millionen Euro) waren nicht billig. Der HSV ist schneller, dynamischer und jünger geworden. Das Durchschnittsalter der Neuzugänge: 21,4 Jahre. Das Durchschnittsalter der Abgänge: 25,6 Jahre. So viel frischer Wind hat seinen Preis.

„Wir versuchen, dass wir dahin kommen, wieder mehr zu gestalten“, sagte Clubchef Dietmar Beiersdorfer, der daran erinnerte, dass es für den Club in den vergangenen zwei Jahren lediglich ums Überleben gegangen sei. Diese Phase sei nun vorerst vorbei. Auch, oder besser: vor allem dank der vielen Millionen von HSV-Investor Klaus-Michael Kühne.

Während es in der Vergangenheit innerhalb der einst kritischen und vor allem politischen Mitgliedschaft eine kontroverse Diskussionen um Kühnes Millionenspritze gegeben hätte, ist davon in der rosaroten HSV-Gegenwart kaum etwas übrig geblieben. Gerade mal 200 Mitglieder waren Ende Juni zur wohl kürzesten Versammlung aller Zeiten ins CCH gekommen. Und die, die dabei waren, zollten Gönner Kühne Applaus. Die Kritiker, so scheint es, sind verstummt. Zumindest fast.

„Ich muss gestehen, dass ich nicht so euphorisch wie manch anderer HSV-Fan bin“, sagt Martina Grospitz, Vorsitzende des offiziellen Fanclubs HSV-Diamanten. Ein rosa Trikot habe sie sich zwar auch bestellt, aber rosarot sieht sie die aktuelle Entwicklung des immer kommerzieller werdenden HSV nicht. Besonders auf Clubchef Beiersdorfer sei sie nicht gut zu sprechen. „Ich bin durch die Entwicklung der vergangenen Jahre eher skeptisch geworden“, sagt die 56 Jahre alte Buchholzerin. „Aber Kritik wird von einigen HSV-Fans momentan nicht gerne gehört.“

Der HSV ist in: Schlangen vor dem „Late-Night-Shopping“
Der HSV ist in: Schlangen vor dem „Late-Night-Shopping“ © HA | Michael Rauhe

Ähnliche Erfahrungen hat auch Jan Bartels gemacht. „Ich freue mich auf die neue Saison – aber die Emotionalität hat irgendwann in den vergangenen Jahren abgenommen“, sagt der 42 Jahre alte Anhänger, der seit 1982 Stammkunde beim HSV ist. Seit 2006 ist Bartels Mitglied, doch kontrovers diskutiert wird aus seiner Sicht in seinem Verein schon lange nicht mehr: „Viele Freunde von mir haben ein gewisses Scheuklappenverhalten. Kritik wird nicht gerne gehört oder gesehen.“

Es ist eine paradoxe Situation: Erstmals seit Jahren trauen viele dem HSV endlich einen endscheidenden Schritt nach vorne zu. Doch ähnlich viele, die in der Vergangenheit auch die schlimmsten HSV-Krisen nicht erschüttern konnten, sind plötzlich nicht mehr dabei.

Auch Bartels musste trotz der mutmaßlich blühenden HSV-Landschaften lange überlegen, ob er sich erneut Businesskarten kauft. Dabei ist die Nachfrage groß. Der Verkauf von Dauer- und Businesskarten laufe bestens, teilte der Club mit, genauso wie der Verkauf der 52 Logen. Man gehe davon aus, dass man alle Logen bis zum Verkaufsschluss an den Fan gebracht habe. Und auch Bartels konnte letztendlich nicht widerstehen. „Die Jahre habe Spuren hinterlassen“, sagt der Schifffahrtskaufmann, der aber genau wie Diamanten-Fan Grospitz nicht ohne Saisonticket konnte.

„Ich lasse mich gerne eines Besseren belehren. Sollte der HSV endlich wieder Erfolg haben, dann würde ich mich riesig freuen“, sagt die Mutter zweier Töchter, die nicht schwarzmalen will. Aber eben auch nicht rosarot.