Hamburg. Zwei renommierte Mathematiker haben für den HSV die letzten Spieltage durchgerechnet. Die Ergebnisse sind völlig verblüffend.

Bruno Labbadia gibt es offen zu: „Ich war nie gut in Mathe.“ Das unterscheidet den HSV-Trainer ganz wesentlich von Ulrich Kortenkamp. Der 45-Jährige ist Professor für Mathematik-Didaktik an der Universität Potsdam. Er kennt sich bestens aus mit Zahlen und Rechenwegen. Weniger mit Fußball. Dennoch ist er sich gewisser als Fußballexperte Labbadia, wie die Saison endet. „Ich würde darauf wetten, dass der HSV die Klasse hält.“

Für das Hamburger Abendblatt hat der Mathematiker gemeinsam mit seinem Kollegen Matthias Ludwig von der Universität Frankfurt/Main eine Wahrscheinlichkeitsrechnung der letzten drei Bundesligaspieltage und der Endplatzierungen erstellt und dabei nach zwei Millionen Durchläufen durchaus Überraschendes aus dem Computer gezogen: „Platz sieben ist für den HSV sogar wahrscheinlicher als Platz 16.“

Labbadia könnte sich also beruhigt zurücklehnen – wenn ein Mathematiker das sagt. Macht er natürlich nicht. Fußball ist schließlich keine Wissenschaft, sagt auch Kortenkamp: „Es wäre sonst langweilig.“ Also folgt Labbadia lieber vor der Partie bei Mainz 05 am Sonnabend (15.30 Uhr/Sky und Liveticker bei abendblatt.de) seinen weniger wissenschaftlichen Lebenserfahrungen: „Ich weiß, dass wir noch Punkte brauchen. So gut kann ich noch rechnen.“ Klar ist, dass der direkte Abstieg mit aktuell 37 Punkten praktisch bereits verhindert ist, weil der 16. Werder Bremen (31) und der 17. Eintracht Frankfurt (30) am letzten Spieltag aufeinandertreffen und deshalb nicht mehr beide die maximale Punktzahl von neun Zählern erreichen können.

Der HSV hat zudem den „Hilfspunkt“ des besseren Torverhältnisses (-7) gegenüber Werder (-20) und der Eintracht (-19). Eine Wahrscheinlichkeit von 0,02 Prozent hat der Computer der Mathematiker für Platz 17 ergeben. Mit 0,21 Prozent ist auch die Wahrscheinlichkeit für Platz 16 eher marginal, unmöglich ist es aber nicht. Das „Relegations-Triple“ aber will natürlich niemand beim HSV erleben.

Die Verletzten des HSV fließen nicht in die Berechnung ein

Am liebsten würde Labbadia dieses Thema schon in Mainz mit einem Sieg auch theoretisch erledigen, aber angesichts der angespannten Personalsituation wird das gegen den Tabellensechsten noch schwieriger als ohnehin schon. Dass Pierre-Michel Lasogga und Michael Gregoritsch gelbgesperrt sind, war lange klar, ebenso der Ausfall der verletzten Nicolai Müller und Albin Ekdal. Beim geheimen Abschlusstraining am Freitagvormittag ist immerhin kein neuer Verletzter hinzugekommen.

Verletzte sind ein „weicher Wert“, der nicht in die Berechnungen der Mathematik-Professoren einfließen kann. Sehr wohl aber in die Quotenberechnungen der Wettanbieter. Auch dort gilt ein Abrutschen des HSV auf Platz 16 als unwahrscheinlich. „Die Quote für einen Abstieg des HSV liegt bei 75:1“, sagt Dominic Sauer, Leiter Unternehmenskommunikation bei Tipico Deutschland. Zum Vergleich: Bei einem Abstieg von Eintracht Frankfurt bekommt ein Wetter derzeit nur 1,33 Euro für einen Euro Einsatz.

Wettanbieter Tipico nutzt Computer – aber nicht nur

Auch bei Tipico laufen von Mathematikern entwickelte Computerprogramme. Diese sind unverzichtbare Instrumente. Allerdings fließen noch die Ergebnisse der letzten fünf Spiele als „Formbarometer“ in die Betrachtung ein. „Mathematische Kenntnisse allein reichen nicht, Buchmacher benötigen eine hohe Affinität zum Sport“, sagt Sauer. Bei Tipico weichen deshalb die Quoten manchmal von den errechneten Wahrscheinlichkeiten ab, einfach weil die Experten ein anderes Gefühl haben. Beispiel 1899 Hoffenheim: Die TSG wird nach Berechnung der Mathematiker die Saison auf Rang 14 beenden, in der Abstiegsquote des Wettbüros aber belegen die Kraichgauer mit 12:1 Platz 13. Der „Nagelsmann-Effekt“ um den neuen, jungen Trainer wurde mitberücksichtigt.

So etwas machen die Mathematik-Professoren nicht. Bei ihren Berechnungen wird der Mannschaftswert laut „Transfermarkt“ sowie das Ergebnis aus dem Hinspiel berücksichtigt. Dazu kommen noch die Anzahl der geschossenen und kassierten Tore der Rückrunde, um eine Torschusswahrscheinlichkeit der Teams pro Spiel zu ermitteln. Für das Spiel in Mainz hat Kortenkamp errechnet, dass der HSV neunmal aufs Tor schießen wird und mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,16 trifft. Für Mainz rechnet er ähnlich, so kommen die Endergebnisse heraus. „Wir simulieren so die Spiele aller Mannschaften für die drei letzten Spieltage, und das zwei Millionen Mal. Dann zählen wir, welcher Tabellenplatz am Ende dabei herauskommt“, erklärt Kortenkamp seine Vorgehensweise.

Borussia Dortmund hat noch Chancen auf die Meisterschaft

Die spielerische Freude an solchen Tabellensimulationen ist dem Anhänger des 1. FC Köln („5,11 Prozent Chance auf Platz sieben“) deutlich anzumerken. Als Didaktiker will er Spaß an Mathematik an künftige Lehrer vermitteln, und das geht mit Beispielen aus dem täglichen Leben am besten.

Für Fußball interessiert sich schließlich fast jeder, Zahlen werden greifbar, Interesse wird geweckt. Und es lässt sich trefflich darüber spekulieren. So gibt es vor diesem drittletzten Spieltag immer noch eine theoretische Chance von 0,29 Prozent, dass Dortmund deutscher Meister wird. Das ist höher als die Wahrscheinlichkeit von Platz 16 für den HSV. Eher erreichen Labbadia und seine Kicker sogar noch Platz sieben (0,52), als abzusteigen.

Den Klassenerhalt sagt übrigens auch die ewige Bundesligastatistik voraus: Seit Einführung der Drei-Punkte-Regel 1995/96 landeten nur zweimal, 1998 und 1999, Teams mit 38 beziehungsweise 37 Punkten noch auf Platz 16. Sonst haben 37 Zähler immer zum Drinbleiben gereicht. Nur Labbadia vertraut Buchmachern, Wissenschaftlern und Statistikern nicht: „Wir wollen noch punkten!“ Aber der HSV-Trainer war ja auch schlecht in Mathe.

Video: Bruno Labbadia zum Mainz-Spiel