Hamburg. Obwohl der HSV-Star unbewiesen beschuldigt wurde, mahnen Experten ein Umdenken im Fußball an. HSV-Arzt Welsch gibt einen Einblick.

Nabil Bahoui hatte der HSV im Winter verpflichtet, weil der Schwede als extrem schnell feilgeboten wurde. Von dieser Schnelligkeit war am Sonnabend nach dem 1:2 gegen Darmstadt allerdings nicht mehr viel übrig. Längst waren alle anderen HSV-Profis aus den Katakomben des Volksparkstadions verschwunden, als der Flügelflitzer noch immer in einem Nebenraum ausharrte und wartete. Bahouis Pro­blem: Er musste – aber er musste nicht.

Neben Dennis Diekmeier war Bahoui einer von zwei HSV-Profis, die am Sonnabend von der Nationalen Anti-Doping Agentur (Nada) zur Dopingprobe ausgelost wurde. „In der Bundesliga werden pro Spieltag zehn Partien ausgewählt, bei denen jeweils zwei Spieler pro Mannschaft unangemeldet getestet werden“, erklärt HSV-Arzt Götz Welsch, der im Club gleichzeitig Dopingbeauftragter ist. In der Halbzeitpause, so Welsch, würden die Profis von den Nada-Mitarbeitern gelost, in der 75. Minute würde er informiert werden. „Bei dem einen oder anderen dauert das manchmal ein wenig länger“, sagt Welsch, „aber außergewöhnlich ist das Prozedere für keinen.“

Ziemlich außergewöhnlich war es dagegen, was Bahouis Landsmännern Albin Ekdal und Zlatan Ibrahimovic in der Vorwoche widerfahren war. Die beiden Schweden waren von dem früheren Leichtathletik-Nationaltrainer Ulf Karlsson öffentlich des Dopings bezichtigt worden. Bei einer Ver­an­stal­tung der Sport­his­to­ri­schen Ge­sell­schaft von Värm­land hatte der 68 Jahre alte Coach behauptet, dass Ekdal und Ibrahimovic wäh­rend ihrer Zeit bei Ju­ve­n­tus Turin ver­bo­tene Sub­stan­zen be­kom­men und dadurch in kurzer Zeit extrem an Muskelmasse zugelegt hätten. „Z­la­tan legte bei Ju­ve­n­tus in einem hal­ben Jahr über zehn Kilo an Ge­wicht zu. Ich glau­be, dass er ge­dopt war. Das steht für mich fest. Auch Ekdal nahm acht Kilo wäh­rend sei­ner Zeit bei den Bian­co­neri zu“, sagte Karlsson, der damit nicht nur in Schweden eine mediale Lawine losgetreten hatte.

Dopingforscher fordert anderes Bewusstsein

Während Hamburgs Ekdal moderat auf die unbewiesenen Vorwürfe reagierte („Für mich käme es nie­mals in­fra­ge, ver­bo­tene Sub­stan­zen ein­zu­neh­men. Man sollte vor­sich­tig sein mit sol­chen An­schul­di­gun­gen!“), holte das Lager von Paris-Superstar Ibrahimovic am Tag danach zum lautstarken Gegenschlag aus. „Der Mann hat einen großen Fehler gemacht“, sagte Ibrahimovic-Berater Mino Raiola, und drohte unverhohlen: „Er wird ein Leben vor dem Statement gehabt haben und ein Leben danach.“ Und die Drohung zeigte Wirkung. Es dauerte nicht lange, ehe Karlsson öffentlich zurückruderte: „Ich möchte Ibrahimovic und allen, die ich in meinen Aussagen beleidigt habe, um Entschuldigung bitten.“

HSV-Arzt Götz Welsch
HSV-Arzt Götz Welsch © WITTERS | FrankPeters

Theoretisch könnte man die Thematik damit beenden. Ganz praktisch wäre das aber ein großer Fehler. Glaubt der Mainzer Dopingforscher Perikles Simon. „Wenn Ibrahimovic sich überwiegend nicht sachlich rechtfertigt, sondern existenzielle Bedrohungen kommunizieren lässt, dann erklärt das sehr gut, warum der Fußball in Sachen Doping Nachholbedarf hat“, sagt der Sportmediziner dem Abendblatt. Am Montag wurde zudem bekannt, dass Ibrahimovic Karlsson wegen schwerer Verleumdung verklagen wird.

Nachdem Karlsson nach seinen unbewiesenen Behauptungen zuvor bereits in Schweden, Deutschland und Italien schwer kritisiert wurde, springt ihm Simon, ein früheres Mitglied der Evaluierungskommission, die die Dopingvergangenheit der Universität Freiburg untersuchte, nun bei. „Herr Karlsson ist ein ausgewiesener Experte für genau diese Fragen, die da im Nachgang von seinen Äußerungen aufkamen. Er weiß genau, wie viel Kilogramm ein Spitzensportler durch Krafttraining und/oder entsprechenden Substanzen zunehmen kann“, sagt Simon, der daran erinnert, dass sich der frühere Trainer von Schwedens Athleten-Elite selbst als ehemaliger Anabolikakonsument in den 70er Jahren geoutet hatte. „Ein anerkannter Experte muss in der Lage sein, auf solche Themen hinzuweisen“, sagt Simon. „Wenn er das im Milliardengeschäft Fußball nicht kann, dann haben wir ein Kommunikationsproblem im Spitzenfußball.“

Dass im Spitzenfußball gedopt und verschleiert wird, daran haben Sportwissenschaftler wie Simon schon lange keine Zweifel mehr. Er gehe von einer Dopingquote im einstelligen Prozentbereich aus, sagt der Professor, dessen Meinung gerade durch eine Langzeitstudie, in Auftrag gegeben vom europäischen Fußballverband Uefa, untermauert wurde. Diese von der ARD/WDR-Dopingredaktion veröffentlichte Studie legte einen intensiveren Missbrauch anaboler Steroide im Profifußball nahe als bisher behauptet. So hatten 7,7 Prozent von 4195 anonymisierten Urinproben aus den Jahren 2008 bis 2013 auffällige Testosteronwerte.

HSV-Pleite gegen Darmstadt:

Ekdals Gewichtszunahme bleibt rätselhaft

Neue Nahrung bekam die Dopingdebatte bereits kurz vor den Behauptungen um Ibrahimovic und Ekdal. So wurde wenig Tage zuvor bekannt, dass in England 150 Sportler beim Londoner Arzt Mark Bonar gedopt haben sollen – darunter auch Fußballprofis von Chelsea, Arsenal und von Tabellenführer Leicester City. „Es ist höchste Zeit, dass sich der Fußball viel kritischer mit der Thematik Doping auseinander setzt“, sagt Simon, der aber dazu rät, die aktuellen Beschuldigungen gegenüber Ibrahimovic und Ekdal zu unterscheiden.

„Für mich ist noch immer völlig unklar, um was für eine Gewichtszunahme es bei Ekdal in dessen Zeit bei Juventus Turin gegangen sein soll“, sagt Simon, der daran erinnert, dass der HSV-Profi damals gerade mal 17 Jahre alt war. „Mit 17 Jahren kann ja sogar noch ein Längenwachstum stattgefunden haben“, so Simon.

Um gar nicht erst Raum für Spekulationen offen zu lassen, spricht sich HSV-Sportdirektor Bernhard Peters für sehr viel mehr Kontrollen bei den Profis und auch schon im Nachwuchsbereich aus. „Wir sensibilisieren unsere Spieler von Anfang an für die Thematik Doping. Derzeit gibt es von der U16 an für alle HSV-Mannschaften einmal im Jahr eine Doping-Fortbildung“, sagt Peters, und mahnt: „Allgemein sollte es noch mehr Prävention und Aufklärung und vor allem mehr Trainingskontrollen geben. Sowohl im Profi- als auch abgestuft im Nachwuchsbereich.“

An ein systematisches Doping in der Bundesliga glaubt HSV-Arzt Welsch allerdings nicht. „Doping macht einfach sehr viel weniger Sinn als in anderen Sportarten“, sagt Welsch, der daran erinnert, dass die Spieler auch eigene Medikamente der medizinischen Abteilungen melden müssten. Die Profis, erklärt der Mannschaftsarzt zudem, würden nicht nur nach dem Spiel und während des Trainings getestet. Sie müssten der Nada auch vorab ihren genauen Aufenthaltsort während des Trainingsbetriebs mitteilen. So musste Gideon Jung am Sonntag der Nada melden, dass er nicht beim HSV-Training war, sondern mit der U23 gegen Cloppenburg spielte. Auch Untersuchungen im UKE müssen der Nada, die zu Kontrollen sogar ins Trainingslager nach Belek geflogen war, mitgeteilt werden.

Im Fall von Bahoui war die Aufenthaltsbestimmung am Montag unspektakulär. Der Schwede nahm sich wieder einmal Zeit. Nicht beim Wasserlassen. Sondern beim Shoppen mit seiner Frau in der Innenstadt.