Hannover/Hamburg. Eine gute Halbzeit reichte dem Hamburger SV, um beim Auswärtsspiel in Hannover 3:0 zu siegen – und der Rettung nahezukommen.
Lopo’s Werkstatt in der Adelungstraße ist in Darmstadts Clubszene eine Legende. 1979 öffnete die Diskothek, die Nachtschwärmer durch eine in der Wand eingemauerte Straßenbahn betreten mussten. Und die durchtanzten Nächte in dem Musikschuppen, in dem schon Joe Cocker und Tina Turner auftraten, sind bis heute unvergessen. „Dort konnte man richtig feiern“, sagte HSV-Trainer Bruno Labbadia am Sonntag. „Und der Eddy hat dort schon damals eine sehr ordentliche Figur gemacht.“
Dass am Tag nach dem Auswärtsspiel in Hannover rund um den Volkspark mehr über die Haltungsnote von Labbadias beweglichen Co-Trainer Erdinc „Eddy“ Sözer als über die Partie gesprochen wurde, hatte mehrere Gründe. Grund Nummer eins: Der HSV hatte nach einer schwachen ersten und einer starken zweiten Halbzeit souverän 3:0 gewonnen. Zweiter Grund: Nach Nicolai Müllers Tor zum 3:0 eine Viertelstunde vor Schluss legte Hobbytänzer Sözer eine beachtliche Einlage aufs Parkett, die aber wohl niemande aufgefallen wäre, wäre da nicht Grund Nummer drei: Als Mediendirektor Jörn Wolf das Foto von Sözer auf der Rückfahrt nach Hamburg sah, machte er daraus eine Fotomontage mit John Travoltas legendärem „Saturday Night Fever“-Auftritt (s. o.). Und das Spaßfoto wurde von einer zur anderen Minute zum Internet-Hit. 2143-mal wurde das Bild im Laufe des Abends und der Nacht bei Facebook „geliked“.
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Die Haltungsnote kann sich schon sehen lassen“, witzelte Sözer am Morgen danach – und setzte noch einen drauf: „Da könnte sich sogar Johnny noch eine Scheibe von abschneiden.“ Dann wurde der Co-Trainer ernst: „Dieser Sieg war schon eine große Befreiung für uns. Nicht alles war gut, aber das war ein Riesenmeilenstein.“
Gegen Darmstadt kann der HSV seinen Vorsprung auf zehn Punkte ausbauen
Wie groß die Erleichterung in Hamburg war, konnte man am Morgen danach nicht nur spüren, sondern sogar hören. So gab es erstmals nach Wochen für die Helden des Vortags Applaus, als die Profis am frühen Sonntag auf den Trainingsplatz im Volkspark trabten. Der große HSV aus Hamburg hatte beim kleinen HSV aus Hannover zwar lange Zeit nicht überzeugend gespielt, hat nach dem 3:0-Sieg aber trotzdem sieben Punkte Abstand zu den Abstiegsplätzen und könnte bereits in der kommenden Woche im Spiel gegen – natürlich – Darmstadt die Klassenerhaltsfeier perfekt machen.
„Wenn wir das nächste Spiel gewinnen, dann halten wir auf jeden Fall die Klasse“, sagte Ivo Ilicevic, der in Hannover seinen vierten Saisontreffer erzielt hatte. Einerseits. Der allerdings auch ziemlich einmalig die große Chance in der ersten Halbzeit vergeben hatte, frühzeitig beim Tabellenschlusslicht für klare Verhältnisse zu sorgen (12.). Andererseits. „In der Situation war ich schon auf dem Weg zur Eckfahne“, gab Ilicevic später zu Protokoll. „Dieses Tor musste ich eigentlich machen.“
HSV siegt in Hannover
Weil der Kroate aber weit über statt in das Tor schoss, entwickelte sich im ersten Durchgang ein Spiel, das der HSV im Vorfeld der Partie um jeden Preis verhindern wollte. „Wir hatten es eigentlich nicht verdient, mit 0:0 in die Halbzeit zu gehen“, sagte später Torhüter René Adler, der trotz des am Ende klaren Siegs kein Blatt vor den Mund nahm: „Ich warne davor, das Spiel schönzureden. 3:0 sieht klarer aus, als es am Ende war. Besonders die erste Halbzeit war sehr, sehr schlecht.“ Zweimal „sehr“, viel deutlicher konnte Adler nicht werden: „Nach diesem ersten Durchgang konnten wir froh sein, dass wir uns in die Halbzeit gerettet haben.“
Über das, was dann in Hannover in der Halbzeitpause passierte, gibt es unterschiedliche Versionen. Die eine (von mehreren Spielern) lässt den Schluss nahe, dass Trainer Labbadia etwas lauter werden musste. Die andere (von Labbadia selbst) handelt von einer deutlichen, aber ruhigen Fehleranalyse, durch die die Spieler darauf aufmerksam gemacht wurden, dass sie besonders das Loch in Form eines Bermuda-Dreiecks im defensiven Mittelfeld zu schließen hätten. Die Wahrheit der beiden Versionen liegt wahrscheinlich in der Mitte – in diesem Fall sowieso. „Wir mussten in der Zentrale reagieren“, sagte Labbadia, der den offensiven (aber schwachen) Lewis Holtby rausnahm und durch den defensiven (und starken) Gideon Jung ersetzte.
Es dauerte dann aber trotzdem noch eine weitere Viertelstunde, ehe eine Standardsituation und die brachiale Kopfballstärke Clébers für die entscheidende Wendung dieses vorerst letzten Nordderbys sorgen sollten. „Das Standardtor war der Dosenöffner“, sagte Nicolai Müller, dem der Öffner selbst nicht widersprechen wollte. „Das Tor war enorm wichtig für mich und für die Mannschaft. Es war eine Befreiung“, sagte Cléber, der sein erstes Saisontor mit einer ähnlichen Tanzeinlage wie Co-Trainer Sözer auf dem Feld feierte und den Abend mit einem brasilianischen Grillfest ausklingen ließ.
Von etwaigen Feierlichkeiten für eine Klassenerhaltsparty wollte am Sonntag allerdings noch niemand beim HSV etwas wissen. Dass den Hamburgern die 54. Bundesligasaison aber kaum noch zu nehmen sein wird, sofern am kommenden Wochenende Darmstadt 98 bezwungen wird, dem wollte aber auch niemand widersprechen. „Wenn wir auch dieses Spiel gewinnen, dann sieht es ganz gut für uns aus“, sagte Sözer. Ob er für den Fall der Fälle noch mal ein Tänzchen wagen würde, ließ der Trainer vorerst offen. Ein Abend in Lopo’s Werkstatt wird Labbadia und Sözer allerdings nicht vergönnt sein. Die Darmstädter Kult-Diskothek musste 1993 schließen.
Johan Djourou will nach seiner viralen Erkrankung in dieser Woche wieder ins Mannschaftstraining einsteigen. „Ich fühle mich besser“, sagte der Kapitän. Ein Einsatz gegen Darmstadt ist aber unwahrscheinlich.