Hamburg/Hoffenheim. Der Stürmer spricht über Trainer Nagelsmann, das Image von 1899 und darüber, was Traditionsvereine von Retortenclubs lernen können.
Hoffenheims Kevin Volland ist kein Schnacker, der immer einen Spruch auf Lager hat. Stellt man ihm eine Frage zur WM 2014, die er im letzten Moment verpasste, antwortet der Stürmer: „Vergangenheit.“ Fragt man ihn zur EM 2016, antwortet er: „Zukunftsmusik.“ Vor dem Spiel beim HSV (Sa., 15.30 Uhr/Sky und im Liveticker bei abendblatt.de) verabredete sich der Nationalspieler dennoch mit dem Abendblatt – und war redseliger als gedacht.
Hamburger Abendblatt: Herr Volland, ist Ihnen bewusst, dass Sie an diesem Wochenende Tabellenführer werden können?
Kevin Volland: Komisch, das letzte Mal, als ich nachgeschaut habe, stand Hoffenheim noch auf Platz 17...
Seit Julian Nagelsmann Sie und Ihre Kollegen trainiert, hat Hoffenheim zehn Punkte aus sechs Spielen geholt. In der „Nagelsmann-Tabelle“ stehen nur die Bayern und Dortmund vor Hoffenheim ...
Volland : Oha, das wusste ich gar nicht. Aber das zeigt auch, dass man wieder mit uns rechnen muss.
Kann man rational erklären, warum eine Mannschaft, die aus 20 Spielen gerade mal 14 Punkte holte und am Tabellenende den ersten Bundesligaabstieg vor Augen hatte, mit „nur“ einem neuen Trainer die Liga aufmischt?
Volland : So ganz einfach ist das natürlich nicht zu erklären. Julian Nagelsmann hat zunächst einmal eine ganz andere Spielweise eingeführt. Wir spielen offensiver, mutiger und haben durch anfängliche Erfolgserlebnisse auch schnell wieder ein größeres Selbstbewusstsein entwickelt. Es macht einfach Spaß, wenn ein Plan aufgeht. Seit er Trainer ist, haben wir nur in einem Spiel enttäuscht: gegen Stuttgart. Und anders als früher haben wir in der Partie danach auch gleich wieder die richtige Reaktion gezeigt.
Kann man in wenigen Worten erklären, was Julian Nagelsmann anders macht als andere Fußballtrainer?
Volland : Er hat uns den großen Druck genommen, der sich die ganze Zeit während des Abstiegskampfes bemerkbar gemacht hat. Das klingt vielleicht komisch, aber der Trainer hat uns eine Unbeschwertheit und damit auch wieder Spaß zurückgebracht. Wir konzentrieren uns endlich wieder mehr auf unsere eigene Stärke. Der Trainer will beispielsweise, dass wir vorne sofort stören, dass wir pressen und dass wir Angriffsfußball spielen. Das Ganze natürlich mit Sinn und Verstand, aber das liegt uns. Hoffenheim wurde ja schon immer mit Offensivfußball verbunden – und diesen praktizieren wir unter Julian auch wieder.
Ihr Trainer ist erst 28 Jahre alt. Hand aufs Herz: Was war Ihr erster Gedanke, als Sie erfuhren, dass Ihr künftiger Trainer jünger als viele Ihrer Mitspieler ist?
Volland : Für mich war das ja keine große Überraschung, weil ich Julian schon sehr lange kenne. Er war schon bei 1860 München in der U17 mein Co-Trainer. Ich war 16, er war 20 Jahre alt. Und schon damals war mir klar, dass er ein Top-Trainer wird, der seinen Weg in die Bundesliga macht. Dass es so schnell geht, hätte ich aber auch nicht gedacht. Dass da einer mit 28 Jahren vor einer Bundesligamannschaft steht, unglaublich selbstsicher ist und den Profis, die teilweise älter als er sind, wieder den Spaß am Fußball zurückgibt, ist schon der Wahnsinn.
Aus der Ferne wirkt Julian Nagelsmann älter als 28 Jahre ...
Volland : Nicht nur aus der Ferne. Er ist ungewöhnlich abgeklärt und reif – spricht aber gleichzeitig die gleiche Sprache wie wir Jungen. Im Training albern wir auch herum, wie man das mit 24, 25 oder eben 28 Jahren macht.
Ihr Kollege Niklas Süle hatte ebenfalls in der U17 das Vergnügen, von Nagelsmann trainiert zu werden. Süle meinte, dass er ihn als Kumpeltyp in Erinnerung hätte. Ist er das noch immer?
Volland : Klar. Natürlich spricht er unsere Fehler deutlich an, kann auch streng werden, aber im Großen und Ganzen ist er eher ein lockerer Typ. Wäre ja auch komisch, wenn er sich verstellen würde. Man muss authentisch bleiben, sonst würde das Ganze nicht funktionieren.
Man duzt sich also?
Volland : Die einen sagen Trainer, die anderen sagen Du. Sie würde einfach nicht passen.
Was hat Nagelsmann in seiner Antrittsrede der Mannschaft gesagt?
Volland : Das bleibt in der Kabine, aber er scheint den richtigen Nerv getroffen zu haben. Taktisch war seine Anweisung von Anfang an, dass wir höher stehen, schneller nach vorne spielen und Überzahlsituationen herstellen sollten. Wir wollten uns mehr Torchancen erspielen, um mehr Spaß und somit mehr Erfolg zu haben. So einfach ist das manchmal.
In den vergangenen sechs Spielen hat Hoffenheim mit Dreier-, Vierer- und Fünferkette in der Abwehr gespielt. Ist das wirklich so einfach?
Volland : Nein, das ist natürlich zunächst mal harte Arbeit. Aber Hoffenheim hat auch früher dieses variable Spiel ausgezeichnet, deswegen galten Hoffenheim-Partien immer als besonders attraktiv.
Sie spielen seit fast vier Jahren in Hoffenheim. Haben Sie das Gefühl, dass sich das Hoffenheimer Image in den vergangenen Wochen durch Nagelsmann signifikant geändert hat?
Volland : Man kann es vielleicht als eine Rückkehr zu den Wurzeln bezeichnen. Hoffenheim-Fußball war nie langweilig. Als Hoffenheim vor sieben Jahren aufgestiegen ist, war ganz Deutschland von diesem Überfall-Fußball begeistert. Mit Nagelsmann ist man wieder in dieser Spur. Hoffenheim ist eher ein 3:2 als ein 1:0. Wir stehen für Spaß, Tempo, Spektakel …
… und für Hopps Geld.
Volland : Professioneller Fußball kostet Geld. Das ist in Hoffenheim nicht anders als in Hamburg. Und der HSV ist auch nicht anders als Hoffenheim. Hier gibt es Herrn Hopp, in Hamburg gibt es Herrn Kühne. Was der eine oder andere oft missversteht: Auch Hoffenheim kann sich keinen Messi leisten. Das Geld wird hier nicht aus dem Fenster geworfen, sondern es wird in junge, ausbaufähige Talente gesteckt. Roberto Firmino ist so ein Beispiel. Er ist relativ günstig gekommen, hat sich super entwickelt und ist dann für relativ viel Geld wieder gegangen. Genau das ist der Hoffenheim-Weg unter Dietmar Hopp. Deswegen finde ich auch schade, wenn Herr Hopp in Stadien beschimpft wird.
Wurden Sie jemals angefeindet, weil Sie für Hoffenheim spielen?
Volland : Meistens wird man aus der Kurve im Stadion von genau den Leuten bepöbelt, die dann um ein Selfie bitten, wenn sie vor einem stehen.
Die Rolle als Feindbild der Fans dürfte in der kommenden Saison von RB Leipzig übernommen werden. Können Sie die Sorgen der traditionsbewussten Anhänger verstehen, die Angst vor zu vielen „Retortenclubs“ haben?
Volland : Für Traditionsvereine ist die Bundesliga genauso ein Geschäft wie für die angeblichen Retortenclubs. Entscheidend ist, ob man clever oder weniger clever seine Mittel einsetzt. Und mein Eindruck ist schon, dass da mancher Traditionsverein auch Nachhilfe gebrauchen könnte.
Hatten Sie als Kind einen Lieblingsverein?
Volland : Mein Lieblingsclub war ganz früher der FCB. Ich habe zwar nicht in Bayern-Bettwäsche geschlafen, aber ich hatte einen FCB-Schulranzen. Das Thema war dann aber durch, als ich als Spieler im Nachwuchs von 1860 angefangen habe.
Ganz Deutschland wollte Sie damals verpflichten. Hat auch der HSV mal angefragt?
Volland : Ne, zum HSV gab es tatsächlich nie einen Kontakt.
Sie selbst haben noch einen Vertrag bis 2019. Wo spielen Sie in der kommenden Saison?
Volland : Sie haben es ja selbst gesagt: Ich habe noch Vertag bis 2019. Zunächst mal will ich mich voll auf den Klassenerhalt konzentrieren, alles andere wird im Sommer besprochen.
Dann modifizieren wir die Frage ein wenig: Wo spielen Sie in kommenden Sommer? In Frankreich? Oder in Rio?
Volland : Netter Versuch! Aber auch das kann ich noch nicht beantworten. Sowohl die EM als auch Olympia sind ziemlich reizvolle Turniere. Für mich wäre sowohl das eine als auch das andere ein Karrierehöhepunkt. Aber bevor ich darüber nachdenken kann, muss ich zunächst einmal alles dem Klassenerhalt unterordnen. Deswegen ist jetzt erst mal nicht Rio oder Paris das Thema – sondern Hamburg und der HSV.