Hamburg. Nachdem alle Verletzten zurück sind, hat der HSV ein Luxusproblem, von dem Trainer Bruno Labbadia vor Wochen nur träumte.

Bruno Labbadia hatte nicht viel geschlafen. „Nach so einem Spiel kann ich die Augen einfach nicht zumachen“, sagte der HSV-Trainer am Vormittag nach dem aufwühlenden 0:0 in Frankfurt. Erst um fünf Uhr am frühen Sonnabend war der Mannschaftsbus am Volkspark vorgefahren. Und während den meisten Spielern die „ekelhafte Bustour“ (Lewis Holtby) in den Gliedern steckte, hatte Labbadia das Beste aus der schlaflosen Nachtfahrt quer durch Deutschland gemacht: „Ich habe mir das Spiel noch einmal auf dem Laptop angesehen“, sagte der Coach, dessen erster Eindruck sich beim DVD-Studium nur noch einmal festigte: „Eigentlich habe ich nur wenig Neues beim zweiten Mal anschauen gefunden. Schon nach den echten 90 Minuten hatte ich mir meine Meinung gebildet“, so Labbadia, der diese auch nicht verheimlichen wollte: „Wir haben ein richtig gutes Spiel gemacht.“

Nun gehört es zur Besonderheit des Fußballs, dass einmal in der Woche für 90 Minuten gespielt wird – und diese Darbietung dann in der restlichen Zeit der Woche diskutiert, analysiert und aufgearbeitet wird. Bei der investigativen Suche nach den Gründen für die zweifelsohne gute Partie in Frankfurt reichten am späten Freitagabend allerdings die wenigen Minuten zwischen Abpfiff und Abfahrt nach Hamburg aus. So war Holtby davon überzeugt, dass „uns der verstärkte Konkurrenzkampf hilft“, Johan Djourou meinte: „Eine Mannschaft wie unsere braucht alle Spieler – und die Konkurrenz.“ Der allenthalben gelobte Gideon Jung war sich sicher, dass „uns der Konkurrenzkampf gut tut“. Und auch Rechtsverteidiger Gotoku Sakai sagte mit ähnlichen Worten das Gleiche: „Der Konkurrenzkampf macht uns viel stärker. Jeden einzelnen Spieler – wie mich und Dieki zum Beispiel.“

Konkurrenz belebt das Geschäft, so ganz neu ist diese Erfolgsformel nicht. Falsch ist sie deswegen noch lange nicht. So hat Trainer Labbadia erstmals seit langer Zeit auf nahezu allen Positionen die Qual der Wahl: Im Sturm heißt die Frage der Frage: Artjoms Rudnevs oder Pierre-Michel Lasogga? Auf den offensiven Flügeln kämpfen mit Neuzugang Josip Drmic, Nicolai Müller und Ivo Ilicevic genauso drei Profis um zwei freie Plätze wie eine Position weiter hinten mit Matthias Ostrzolek, Sakai und Dennis Diekmeier. Im Abwehrzentrum bekommen Emir Spahic und Johan Djourou Druck von Cléber, im Mittelfeldzentrum will Rückkehrer Michael Gregoritsch in dieser Woche Aaron Hunt den Platz streitig machen. Doch den größten Konkurrenzkampf gibt es derzeit auf der vor wenigen Wochen noch größten Problemposition im defensiven Mittelfeld: Holtby scheint gesetzt, daneben bewerben sich der immer besser werdende Jung sowie die wieder vollständig genesenen Albin Ekdal und Gojko Kacar um den vakanten Platz daneben.

„Wir haben mit Gojko und Albin noch zwei sehr starke Sechser in der Hinterhand“, sagte auch Holtby, der in Frankfurt die meisten Ballkontakte (90) aller hatte und wieder die meisten Kilometer (12,0) aller gelaufen war. „Wir pushen uns gegenseitig, dass wir besser werden“, so Holtby, der mit Torhüter René Adler und den Innenverteidigern Djourou und Spahic zu den einzigen gesetzten Schlüsselspielern zählt.

Labbadia hat plötzlich eine starke Bank

Besonders eindrucksvoll wird der verschärfte Konkurrenzkampf beim Blick auf die Reservebank: Gegen Frankfurt saßen dort mit Diekmeier, Cléber, Ilicevic, Lasogga, Ekdal und Kacar nur Profis, die den Anspruch eines Stammplatzes haben. Zum Vergleich: Beim Rückrundenauftakt gegen den FC Bayern (1:2) wurde der Spielberichtsbogen noch mit weniger prominenten Namen wie denen von Kerim Carolus oder Finn Porath gefüllt.

„Wir hatten diesen verstärkten Konkurrenzkampf ja schon einmal in der Hinrunde, da lief es dann auch richtig gut bei uns“, sagte Labbadia, der noch vor ziemlich genau einem Monat Alarm geschlagen hatte. „Der Konkurrenzkampf ist einfach nicht da“, hatte Labbadia nach dem misslungenen Trainingslager mit zahlreichen Verletzten in Belek moniert. Sein damaliges Fazit zum Ende der Rückrundenvorbereitung: „Wir sind nicht da, wo wir eigentlich schon mal waren.“

Die Konsequenz war zweierlei: Zum einen musste Sportchef Peter Knäbel den ausgedünnten Kader ungewollt teuer nachbessern. Zum anderen war Labbadia zunächst dazu gezwungen, auch Rekonvaleszenten wie Kacar oder Lasogga nahezu ohne Training und Vorbereitung spielen zu lassen. Die logischen Folgen: Der HSV verpatzte den Rückrundenstart und näherte sich nach sechs sieglosen Spielen in Folge der Abstiegszone bedrohlich an.

„Konkurrenzkampf tut dem Team gut“

Ein spektakulärer Sieg gegen Gladbach und ein überzeugendes Remis gegen Frankfurt später ist das Szenario ein anderes. Der HSV hat beruhigende sieben Punkte Vorsprung auf einen Relegationsplatz – und vor allem endlich wieder einen rappelvollen Kader. „Wir können jetzt Rekonvaleszenten langsam ranführen – das konnten wir direkt nach der Winterpause nicht“, sagte Labbadia. „Da musste Gojko Kacar zum Beispiel spielen, obwohl er noch nicht so weit war. Jetzt ist auf der Doppelsechs ein richtiger Konkurrenzkampf entbrannt, der dem ganzen Team ausgesprochen gut tut.“

Die besten Bilder vom HSV-Remis in Frankfurt:

HSV verschenkt drei Punkte gegen Frankfurt

Hamburgs Josip Drmic (2.v.l.) und die Frankfurter Marco Fabian (v.l.), Makoto Hasebe und Alexander Meier kämpfen um den Ball
Hamburgs Josip Drmic (2.v.l.) und die Frankfurter Marco Fabian (v.l.), Makoto Hasebe und Alexander Meier kämpfen um den Ball © dpa | Arne Dedert
Marco Fabian liegt nach einem Foul am Boden
Marco Fabian liegt nach einem Foul am Boden © Bongarts/Getty Images | Simon Hofmann
Alexander Meier gelang in der ersten Halbzeit nichts. Hier im Duell mit Emir Spahic
Alexander Meier gelang in der ersten Halbzeit nichts. Hier im Duell mit Emir Spahic © Bongarts/Getty Images | Simon Hofmann
Der HSV hatte in der ersten Halbzeit die besseren Möglichkeiten. Unter anderem von Gotoku Sakai
Der HSV hatte in der ersten Halbzeit die besseren Möglichkeiten. Unter anderem von Gotoku Sakai © Bongarts/Getty Images | Simon Hofmann
Alexander Meier und Johan Djourou im Duell
Alexander Meier und Johan Djourou im Duell © Bongarts/Getty Images | Simon Hofmann
Frankfurts Stefan Aigner (r) und Hamburgs Matthias Ostrzolek
Frankfurts Stefan Aigner (r) und Hamburgs Matthias Ostrzolek © dpa | Arne Dedert
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Da aber auch die Konkurrenz bekanntlich nicht schläft, verzichtete Labbadia im Anschluss an die Regenerationseinheit am Mittag zunächst darauf, den Schlaf von der durchgemachten Vornacht nachzuholen. Im Trainingszentrum am Volkspark schaute sich der Trainer am Nachmittag im TV die Partie zwischen Werder Bremen und Ingolstadt, dem Konkurrenten vom kommenden Wochenende, an. Doch keine Sorge: Geschlafen wurde dann doch noch. Am Sonntag war frei, die nächste Einheit findet erst heute um 15 Uhr statt. „Dann“, so Labbadia, „hat wieder jeder die Möglichkeit, seinen Konkurrenten zu verdrängen.“