Belek. Mutmaßliche Drahtzieher des Istanbul-Anschlags wurden 30 Kilometer vom HSV-Hotel entfernt festgenommen. Wie deutsche Clubs reagieren.
Dass Fußball eben doch nur die schönste Nebensache der Welt ist, wurde am Mittwochmorgen rund um das Trainingsgelände des HSV in Belek sehr deutlich. 1:2 hatten die Hamburger am Vorabend gegen den Drittligisten Rot-Weiss Erfurt verloren, Torjäger Pierre-Michel Lasogga fehlte erneut, auch Aaron Hunt pausierte. Doch das Thema Nummer eins unter den knapp 30 HSV-Fans auf der Tribüne war ein ganz anderes. „Schrecklich, was da in Istanbul passiert ist“, sagte ein Anhänger. „Man kann sich ja nirgendwo mehr sicher fühlen.“ Ein anderer relativierte am Morgen nach dem Selbstmordanschlag, bei dem zehn Deutsche in der türkischen Millionenmetropole ums Leben gekommen sind: „Wir sind doch weit weg von Istanbul. Ein Anschlag kann auch immer in Hamburg passieren. Ich fühle mich hier sicher.“
Doch wie sicher ist die 500 Kilometer von Istanbul entfernte Touristenhochburg Belek tatsächlich? Dieser Frage musste vor allem der extra mitgereiste HSV-Sicherheitschef Tobias Leibrock nachgehen. Der Sicherheitsexperte traf sich direkt nach dem Istanbuler Attentat am Dienstag im Mannschaftshotel mit Vizekonsul Jörg Fürstenau, telefonierte mit den deutschen und den türkischen Behörden. „Landesweit ist weiter mit politischen Spannungen sowie gewaltsamen Auseinandersetzungen und terroristischen Anschlägen zu rechnen“, ließ das Auswärtige Amt wissen. Leibrock reagierte, stockte das Sicherheitspersonal rund um das Hotel auf und ließ die Eingänge zur Anlage zusätzlich sichern.
Sözer geht der Anschlag sehr nahe
Wie unverschämt nahe der Terror längst ist, wurde am Mittag deutlich. Da machte die Meldung, dass mehrere mutmaßliche IS-Drahtzieher des Anschlags im gerade mal 30 Kilometer entfernten Antalya festgenommen wurden, auch im HSV-Hotel Sueno Deluxe schnell die Runde. „Wir haben im Trainerteam diskutiert, ob wir nach so einem Anschlag überhaupt noch einen Ausflug nach Antalya machen können“, hatte Co-Trainer Eddy Sözer bereits am Vorabend gesagt. Der freie Nachmittag für die HSV-Spieler wurde trotz der Meldung aber nicht beeinträchtigt.
Doch besonders dem in Istanbul geborenen Sözer ging der Anschlag sehr nahe. Er könne seine Gefühle gar nicht in Worte fassen. „Dass es jetzt erneut Istanbul getroffen hat, tut mir im Herzen brutal weh“, sagte der 49-Jährige. „Es ist ein Trauertag für die Türkei, für Deutschland und für alle Nationen.“
Belek könnte der Terror hart treffen
Für die Trainingslagermetropole Belek droht nun aus dem Trauertag ein echtes Trauerjahr zu werden. „Der Anschlag von Istanbul ist auch für Belek eine Katastrophe. Wir bemühen uns um bestmögliche Sicherheit für alle Fußballteams und auch für die Fans, aber natürlich werden viele Touristen zukünftige Reisen hierher überdenken“, sagte Ferit Turgut, der Türkei-Chef von Match IQ. Die Hamburger Agentur organisiert einen Großteil der Trainingslager in der Region, die bereits massiv unter Stornierungen aus Russland zu leiden hat. 900 von zuletzt 2500 Trainingslager fielen in diesem Winter bereits weg, weil besonders russische Vereine aufgrund der politischen Differenzen mit der Türkei verzichteten. Weit schlimmer als die ausbleibenden Fußballteams trifft Belek aber die fehlenden Touristen aus Russland. Statt vier Millionen wird noch mit höchstens 600.000 Russen gerechnet. Der türkischen Tourismusbranche droht ein Verlust von 2,5 Milliarden Euro.
Hunt war noch kurz zuvor in Istanbul
Es ist allerdings weniger die monetäre als vielmehr die Zahl der Toten und Verletzten, die bei den deutschen Fußballclubs in der Region für Bestürzung sorgt. Auch Aaron Hunt, der noch vor zwei Wochen seinen Winterurlaub in Istanbul verbrachte, tat sich am Tag nach dem Attentat nahe der Blauen Moschee schwer, die richtigen Worte zu finden. „Es ist ein komisches Gefühl, diese Bilder im Fernsehen zu sehen, wenn man vor zwei Wochen noch dort gewesen ist“, sagte Hunt, dessen Ehefrau Semra Türkin ist. „Wir haben sofort telefoniert. Meine Frau hat viele Verwandte in Istanbul, aber denen ist glücklicherweise nichts passiert.“
Auch bei Hunts Ex-Verein Werder Bremen, der nur wenige Kilometer vom HSV entfernt residiert, machten sich die Familienangehörige der Fußballer Sorgen. „Mein Cousin hat mir sogar eine Nachricht aus Nigeria geschrieben“, sagte Stürmer Anthony Ujah, und auch Linksverteidiger Santiago Garcia musste beschwichtigen: „Ich habe meiner Familie erklärt, wo genau wir sind, und sie beruhigt. Wenn so etwas passiert, dann hat man natürlich Angst.“
Auch St. Pauli wll nach Belek reisen
Henning Rießelmann, der Geschäftsführer von Match IQ, kann die Angst nachvollziehen, hält sie aber für unbegründet: „Wir haben sofort den Kontakt mit unseren Bundesligamannschaften in der Region, den Hotels und dem Auswärtigen Amt aufgenommen“, sagt der Hamburger. „Hundertprozentige Sicherheit gibt es leider nirgendwo, aber uns wurde bestätigt, dass die Lage in Belek unverändert sicher sei“, sagt Rießelmann, der die Verantwortlichen von mehreren Zweitligisten, die in den nächsten Tagen erwartet werden, beruhigen musste. Auch der FC St. Pauli will an diesem Freitag anreisen.
„Wenn erste europäische Mannschaften wegbleiben, dann werden schnell viele folgen“, sagt Werder-Teammanager Tim Barten, der einen Dominoeffekt bei ersten Absagen erwartet. Denn obwohl die Bremer schon seit Jahren nach Belek reisen, sei die Sicherheit in diesem Jahr schon vor dem Anschlag ein Thema gewesen.
Ähnliches gilt auch für die Belek-Fans Labbadia und Sözer vom HSV. „Ich wurde immer wieder gefragt, wie groß die Gefahr ist, dass der Terrorismus auch bis in die Tourismuszentren überschwappt“, berichtet Sözer, der sich dieses Horrorszenario im Vorfeld einfach nicht ausmalen wollte. Nun weiß er: „Leider kann es überall passieren: in Paris, London, Belgien – und eben auch in der Türkei.“