Hamburg. Gute Außenverteidiger sind selten – auch der HSV hatte auf diesen Positionen seine Probleme. Doch Sakai und Ostrzolek sind im Aufwind.
An ihnen war kaum ein Vorbeikommen. 71 Prozent der Zweikämpfe hat HSV-Rechtsverteidiger Gotoku Sakai beim 3:1-Sieg gegen Borussia Dortmund gewonnen, sein Kollege auf der gegenüberliegenden Seite, Matthias Ostrzolek, sogar 75 Prozent. Das sind für Außenverteidiger überragende Werte. Auch in die Offensive hatten sich beide immer wieder eingeschaltet. „Der Go hat seine Chance genutzt, Matthias Ostrzolek eines seiner besten Spiele gemacht“, war HSV-Trainer Bruno Labbadia dann auch angetan von der Leistung seiner Schützlinge, die für das Nordderby bei Werder Bremen am Sonnabend (15.30 Uhr im Liveticker bei abendblatt.de) gesetzt sind.
Jetzt gilt es für beide, den Aufwärtstrend über einen längeren Zeitraum zu bestätigen. Denn vor wenigen Wochen sah die Lage noch ganz anders aus. Wo sich die Mannschaft im Gegensatz zur Vorsaison vom zweiten Spieltag an stabilisiert zeigte, fiel Ostrzolek weiter ab. „Der Start war mies und steigerte sein Selbstvertrauen nicht unbedingt“, gab auch dessen Berater Thomas Strunz zu.
Doch der HSV hatte im Sommer ja reagiert und mit Sakai jemanden verpflichtet, der auf beiden Seiten flexibel eingesetzt werden kann, um den Etablierten Druck zu machen. Doch die Trainingsleistungen des Japaners missfielen Labbadia derart, dass jener trotzdem weiter auf der Bank schmorte. Erst als sich Dennis Diekmeier verletzte, der bis dahin seine vielleicht beste Saison beim HSV spielte, musste der Coach mangels Alternativen auf Sakai zurückgreifen – ohne diese Entscheidung bisher zu bereuen.
Knäbel sucht einen defensiven Linksfuß
Dennoch ist der HSV weit davon entfernt, sich über die Position des Außenverteidigers keine Gedanken mehr machen zu müssen Denn bei allem berechtigten Lob über Diekmeiers Aufschwung sollte nicht vergessen werden, dass auch er in der vergangenen Saison so stark enttäuschte, dass ihm mit Heiko Westermann jemand den Platz streitig machte, dessen Qualitäten auf der Außenbahn recht limitiert sind. Und Ashton Götz und Ronny Marcos (lange verletzt), die Ex-Trainer Joe Zinnbauer einst im Profikader etablierte, können derzeit nicht mal in der Regionalliga hervorstechen. Direktor Profifußball Peter Knäbel hat eingeräumt, dass im Winter noch ein „defensiver Linksfuß“ kommen könnte, der auch zentral zurechtkommen sollte.
Doch solche Spieler mit Qualität sind nur schwer zu bekommen. Der HSV ist schließlich nicht der einzige Club, der mit Außenverteidigern dünn besetzt ist. Zum einen liegt das an der grundsätzlichen Wertschätzung: Mangelt es einer Mannschaft am Spielaufbau, schreit das Umfeld schnell nach einem neuen Stürmer oder einem Spielmacher. Bekommt sie zu viele Gegentore, muss ein neuer Innenverteidiger her. Für Marcell Jansen, der die linke Seite beim HSV bis zu diesem Sommer rauf und runter lief, eine Fehleinschätzung. „In den letzten Jahren sind Außenverteidiger zu Schlüsselspielern geworden, da das Zentrum immer dichter wird. Offensiv orientiert sind sie gute Waffen, um zu Torchancen zu kommen.“
Gute Außenverteidiger kosten viel
Zum anderen ist der Markt an Außenverteidigern schlichtweg begrenzt. Die horrenden Preise, die derzeit erlöst werden, unterstreichen das: Zweitligaclub St. Pauli bekam für Rekordtransfer Marcel Halstenberg mehr als 3,5 Millionen Euro aus Leipzig überwiesen, von Chelseas über 20 Millionen für Augsburgs Rahman Baba ganz zu schweigen. Weitere Beispiele gibt es in Europa zuhauf. DFB-Sportdirektor Hansi Flick hatte schon vor einem Jahr gefordert, die Jugendtrainer zu sensibilisieren, um verstärkt darauf zu achten, welcher Spieler die Merkmale eines Außenverteidigers hat. Denn die Nationalelf ist das prominenteste Beispiel für den Mangel an Konkurrenz links und rechts hinten – Besserung ist kaum in Sicht. „In den Junioren-Auswahlteams sehe ich keinen Außenverteidiger mit Potenzial für Weltklasse“, hatte Bundestrainer Joachim Löw Anfang Juli gesagt.
HSV entzaubert Borussia Dortmund
Das offenbar größte Problem: Bei Nachwuchsfußballern scheint diese Position nicht sehr beliebt zu sein. „Wer will da schon spielen? Man muss viel laufen, außerdem wollen Jugendliche lieber den Stars nacheifern – und das sind in der Regel Stürmer oder offensive Mittelfeldspieler. Außenverteidiger sind eher Außenseiter“, berichtet Jansen, der in seiner Jugend zunächst auch reiner Offensivspieler war, bevor er in der U14 nach hinten beordert wurde, „weil ich damals der Jüngste war.“ Zudem seien die Anforderungen gewachsen, erklärt Jansen. Es sei sehr komplex, sich mit der Viererkette abzustimmen, auf Abseits zu achten, mit einzurücken und gleichzeitig das Spiel nach vorne mitzugestalten.
Löw hatte bei der WM 2014 aus der Not eine Tugend gemacht und zentrale Abwehrspieler zu Außen umfunktioniert. Einige Vereine folgten dem Beispiel. Beim Stadtnachbarn St. Pauli hat sich Marc Hornschuh, gelernter Innenverteidiger, hinten rechts festgespielt, und auch in Dortmund überzeugt Matthias Ginter auf der ihm bis dato fremden Position. Wolfsburg funktionierte gar Außenstürmer Vieirinha um – mit großem Erfolg. Solche Überlegungen liegen Labbadia noch fern – es liegt in den Füßen Ostrzoleks und Sakais, dass das auch so bleibt.