Hamburg. Tuchel kommt nach den gescheiterten Verhandlungen mit dem HSV als BVB-Coach in den Volkspark. Die Wahrheit über seinen HSV-Flirt.
Neulich war der Anwalt Olaf Meinking mal wieder mit seinem Mandanten unterwegs. Es ging nach Berlin. Dort haben sie Johan Cruyff getroffen, die große Fußballlegende aus den Niederlanden. Der Mandant an Meinkings Seite war Thomas Tuchel. Es ging um den FC Barcelona. Wie so häufig, wenn Tuchel, seit Juli Trainer bei Borussia Dortmund, sich mit Fußball beschäftigt.
Seit etwas mehr als einem Jahr begleitet Meinking den Fußballlehrer auf verschiedenen Reisen. Sie haben sich Museen in Wien angeschaut oder ein U17-Turnier in Katar besucht. Meinking, 48 Jahre alter Anwalt aus Hamburg, ist der Berater des 42 Jahre alten Tuchel. Ein Jahr lang haben sie gemeinsam über den Tellerrand des Fußballs hinausgeschaut. Sie haben an Tuchels Image gearbeitet. Vor allem aber haben sie den nächsten Karriereschritt des Trainers geplant, nachdem sich Tuchel in seinem letzten Vertragsjahr beim FSV Mainz 05 eine Auszeit genommen hatte. Ein Sabbatical.
Am Freitag reist Tuchel mit Borussia Dortmund nach Hamburg. Es ist sein erstes Aufeinandertreffen als BVB-Trainer mit dem Verein, der ihn im Sommer so liebend gerne verpflichtet hätte. Mit dem Verein, bei dem auch Tuchel gerne gearbeitet hätte. Gefunden haben sich die beiden nicht. Und darüber ist man beim HSV noch immer enttäuscht. Doch wie es zu dieser Enttäuschung kam, darüber gibt es unterschiedliche Meinungen. Trotz der Vorgeschichte sagt Olaf Meinking: „Thomas Tuchel kommt gerne nach Hamburg. Er hatte und hat nach wie vor von allen handelnden Personen beim HSV, denen er begegnet ist, eine hohe Meinung und Wertschätzung.“
Die Wahrheit über Tuchels HSV-Flirt
Diese Vorgeschichte sah wie folgt aus: Ein Jahr lang hatte Vorstandschef Dietmar Beiersdorfer von der großen Lösung geträumt. Thomas Tuchel, zu dieser Zeit begehrtester Trainer in Fußball-Deutschland, sollte den HSV im Sommer übernehmen. Beiersdorfer hatte daher nach der Entlassung von Mirko Slomka mit Josef Zinnbauer einen Nachfolger „bis auf Weiteres“ präsentiert. Bis Tuchel kommen sollte. Und im April sah es schließlich so aus, als komme es tatsächlich zu einer Zusammenarbeit. Tuchel flog zu Gesprächen mit HSV-Investor Klaus-Michael Kühne nach Mallorca, sagte anderen Interessenten wie RB Leipzig ab.
Doch gleichzeitig rutschte der HSV immer tiefer in die Krise. Zinnbauer wurde beurlaubt, und mit Sportdirektor Peter Knäbel übernahm erneut ein Platzhalter für Tuchel. Als der HSV schließlich sechs Spieltage vor Schluss auf Tabellenplatz 18 angelangt war, musste Beiersdorfer handeln. Als Sofortlösung hätte Tuchel wegen seines laufenden Vertrags in Mainz nicht zur Verfügung gestanden. Und überhaupt war sich Tuchel nicht mehr sicher, ob der HSV wirklich der richtige Verein für ihn sei, nachdem Details aus den Verhandlungen bereits an die Öffentlichkeit gekommen waren.
Es war der Montag nach dem 0:2 gegen Wolfsburg. Beiersdorfer wollte endlich wissen, woran er ist. Doch Tuchels Anwalt Meinking sagte ein Treffen per SMS ab und bat um weitere Bedenkzeit. Beiersdorfer konnte nicht länger warten. Er verabschiedete sich von seinem Wunschtrainer und verpflichtete Bruno Labbadia als Soforthilfe. Der Ausgang ist bekannt.
Labbadia rettete den HSV in der Relegation vor dem Abstieg, und Tuchel übernahm das Amt von Jürgen Klopp beim BVB. Ende gut, alles gut? Nicht ganz, denn über die Verhandlungen mit Tuchel gibt es bis heute unterschiedliche Interpretationsversionen. Während der HSV eine sichere Zusage verstanden haben wollte, sagt Meinking: „Es ist bekannt, dass Thomas damals mit dem HSV im Gespräch stand. Es gab von mir das Signal, in konkrete Gespräche zu gehen, aber es gab keine Einigung über vertragliche Dinge.“
Tuchel kann Spieler besser machen
Warum der HSV neben Vereinen wie Schalke und Stuttgart so sehr um Tuchel kämpfte, wird seit dieser Saison in Dortmund deutlich. Im Eiltempo hat der Nachfolger von Klopp dem BVB-Spiel eine eigene Identität übertragen. Er hat die Trainingsmethodik erneuert, die Ernährung umgestellt, er hat Publikumslieblinge wie Kevin Großkreutz und Roman Weidenfeller aussortiert, weil sie nicht in seine Typologie des Fußballs passten. Vor allem aber hat er Erfolg. 29 Punkte aus zwölf Spielen sind die beste Punkteausbeute eines Tabellenzweiten, die jemals zu diesem Zeitpunkt erreicht wurde. Tuchel, das sieht man an Beispielen wie Henrikh Mkhitaryan, Matthias Ginter oder Pierre-Emerick Aubameyang, kann Spieler besser machen. „Thomas besitzt empathische Fähigkeiten, um andere Menschen zu erreichen. Er kann Grenzen verschieben“, sagt Meinking über den Trainer.
Ein Trainer der etwas anderen Art. Als Tuchel vor sechs Jahren über Nacht vom A-Jugend-Trainer in Mainz zum Chefcoach befördert wurde, staunte die Fußballbranche über den jungen Mann. Ein vom Ehrgeiz getriebener Akribiker auf der einen Seite, ein intellektueller Fußballphilosoph auf der anderen. Doch während er das kleine Mainz zweimal in die Europa League führte und mit seiner Expertise verblüffte, entstand in der Öffentlichkeit das Bild eines unnahbaren, mitunter arrogant wirkenden Trainers. Tuchel brauchte eine Imagekur.
Und so lernte er über Umwege Olaf Meinking kennen. Der Anwalt arbeitete bis dahin vor allem mit jungen Musikern zusammen. Er berät Fettes Brot, Silbermond oder Topmodel Toni Garrn. Auch der Sänger Clueso gehört zu seinen Mandanten. Mit ihm traf sich Tuchel bei einem Konzert in Wiesbaden. Tuchel imponierte die autarke Art des Selfmade-Künstlers. Diese Begegnung führte ihn schließlich zu Meinking. Seitdem berät der Anwalt den Trainer vor allem in der eigenen Außenwahrnehmung.
Tuchel-Anwalt: Engagement beim HSV hätte gepasst
In Dortmund sieht man heute den neuen Thomas Tuchel. Er ist in die Dortmunder Innenstadt gezogen, zeigt sich mit seinen Töchtern auf dem Spielplatz, nimmt sich Zeit für Fans, begrüßt jeden Mitarbeiter per Handschlag. Er tut die Dinge, die man in Mainz von ihm vermisst hat. „Thomas hat gezeigt, dass das Bild des verbissenen Trainers ohne menschliche Seite falsch war, und er hat sich nunmehr eindeutig von diesem unzutreffenden Bild gelöst und sich deutlich für Kollegen, Fans und die Öffentlichkeit geöffnet“, sagt Meinking.
Am Freitag kommt es in Hamburg nun zur Begegnung zwischen Tuchel und dem Verein, für den sich der Trainer letztlich nicht öffnen wollte. Die Geschichte um die gescheiterten Verhandlungen will sein Anwalt nun aber ruhen lassen. Tuchel freue sich, auf die Verantwortlichen des HSV zu treffen. Denn bei allem Ärger, der am Ende blieb, glaubt Meinking, dass es eine Konstellation gewesen wäre, die gepasst hätte.