Hamburg. Nicolai Müller im Abendblatt-Interview über seinen Fehlstart beim HSV, seinen Förderer Tuchel und ein 100-Meter-Duell gegen Aubameyang.
Er hat sich ein wenig Zeit gelassen. Tiefenentspannt schlendert Nicolai Müller zum Gespräch mit dem Abendblatt. Er wirkt gelöst, irgendwie befreit. Lange hat es gedauert, bis der vor einem Jahr für 4,5 Millionen Euro aus Mainz gekommene Rechtsaußen beim HSV angekommen ist. In seiner zweiten Saison entwickelt sich der 28-Jährige nun zunehmend zum Leistungsträger. Angst, dass es wieder bergab gehen könnte, hat er nicht.
Hamburger Abendblatt: Herr Müller, Sie halten einen ligaweiten Bestwert der letzten drei Spiele. Wissen Sie, welchen?
Nicolai Müller : Nein, klären Sie mich auf.
Sie haben es in den drei Spielen auf 111 Sprints gebracht. Damit hängen Sie Spieler wie Dortmunds Pierre-Emerick Aubameyang oder Bayerns Douglas Costa deutlich ab. Was treibt Sie derzeit an?
Müller : Das ist meine Stärke. Ich versuche immer auf mindestens 30 Sprints pro Spiel zu kommen. Die letzten drei Partien liefen gut für mich. Ich fühle mich topfit, das sieht man dann auch an den Werten.
Im Vergleich zur vergangenen Saison sind Ihre Sprints zielführender. Was haben Sie verändert?
Müller : Im letzten Jahr mussten wir viele Sprints nach hinten machen. In diesem Jahr spielen wir schneller nach vorne. Wir attackieren früher, das kommt mir zugute. Die Stimmung in der Mannschaft passt, und über den Spaß kommt die Leichtigkeit. Wir haben zwar ein paar Punkte liegen lassen, aber vom Zusammenhalt her sind wir eine richtig gute Truppe geworden. Das sieht man auch daran, wie wir die Ausfälle kompensieren.
Für welchen Fußball steht der HSV in dieser Saison?
Müller : Was auffällt, ist, dass wir uns den Ballbesitz nehmen und spielerisch einen Schritt nach vorne gemacht haben. Die Handschrift des Trainers ist zu erkennen. Wir sind in der Lage, ein Spiel zu dominieren wie gegen Hannover, aber auch mal tief zu stehen wie gegen Leverkusen. Wir können uns nach dem Gegner ausrichten. Gegen Dortmund werden wir vermutlich nicht viel Ballbesitz haben.
BVB-Trainer Thomas Tuchel kennen Sie aus Mainz. Erkennen Sie seinen Stil im Spiel der Dortmunder wieder?
Müller : Ich weiß, dass Tuchel viel Wert auf Tempo und Gegenpressing legt. Das haben wir in Mainz schon so gespielt. In jeder Trainingseinheit waren Sprints und Läufe in die Tiefe dabei. In Dortmund hat er jetzt noch den Ballbesitz mit reingebracht. Es war nicht einfach für ihn nach der Ära Klopp, aber er macht das sehr souverän. Er hat mich zum Nationalspieler gemacht. Es waren schöne drei Jahre.
Gefällt Ihnen Tuchels Tempofußball besser als das Ballbesitzspiel der Bayern?
Müller : Beide Mannschaften machen das auf ihre eigene Art sehr gut. Bayern ist das Nonplusultra. Das ist schon unglaublich, was die spielen, da kann man nur staunen. Dortmund macht das mit seinen Mitteln ganz anders. Wenn man sieht, wie der Aubameyang losläuft, ist das genauso beeindruckend.
Würden Sie sich ein 100-Meter-Duell gegen Aubameyang zutrauen?
Müller : Da würde ich wahrscheinlich gnadenlos verlieren. Dem gehe ich lieber aus dem Weg (lacht).
Vor einem Jahr sind Sie vor dem 1:0 in Dortmund allen davongesprintet. Schauen Sie sich die Szene so häufig an wie Ihr Relegationstor in Karlsruhe?
Müller : Mir gefallen beide Szenen gut. Das Tor gegen Karlsruhe war natürlich ein Gänsehautmoment, das hat noch eine andere Bedeutung gehabt. Die Vorlage gegen Dortmund war auch gut, leider gab es von diesen Szenen in meinem ersten Jahr nicht so viele.
Warum haben Sie in Hamburg so lange Anlaufzeit gebraucht?
Müller : In Hamburg war es im Vorjahr für jeden schwierig, sich anzupassen. Wir haben von Beginn an gegen den Abstieg gespielt. Der Druck war extrem, das war auch für mich neu. In dieser Saison ist der Zusammenhalt im Verein insgesamt größer. Jeder will mithelfen, dass wir eine ruhigere Saison spielen. Wir sind gefestigt, Niederlagen werfen uns nicht um.
Wie gehen Sie mit der Schnelllebigkeit um?
Müller : Das muss man lernen. In der einen Woche bist du der Held, zwei Wochen später fragt kein Mensch mehr nach dir. Das gehört dazu. Man weiß, dass man in einem Spiel vieles wettmachen kann. Fußball ist ein Tagesgeschäft, mit der Schnelllebigkeit muss man umgehen können.
Auch das Spiel wird immer schneller. Geht es im Profifußball noch ohne Geschwindigkeit?
Müller : Es wird immer mehr Wert auf Schnelligkeit und Explosivität gelegt. Das hat sich über die Jahre extrem entwickelt. Es kommen immer neue Ideen dazu. Es gibt Statistiken zu allen Laufleistungen, alles wird ausgewertet. Geschwindigkeit wird immer wichtiger.
Was tun Sie für Ihre Schnelligkeit?
Müller : Man versucht sich zu pflegen. Schnelligkeit kann man nur in kleinen Bereichen optimieren, zum Beispiel beim Laufstil. Ich hatte die Geschwindigkeit zum Glück schon immer, und ich hoffe, sie bleibt noch ein paar Jahre.
Waren Sie schon als Kind so schnell?
Müller : Ich war immer einer der Schnellsten. Meine 100-Meter-Zeit kenne ich aber nicht, die wurde zuletzt in der achten Klasse gemessen.
Haben Ihre Kinder die Geschwindigkeit geerbt? In der zweiten Halbzeit gegen Almelo konnte man Sie beim Fangenspielen mit Ihren Töchtern beobachten.
Müller : Meine Zwillinge sind 20 Monate alt. Sie laufen schon sehr gut, aber die Geschwindigkeit kann ich noch nicht erkennen (lacht).
Mögen Sie auch mal die Langsamkeit?
Müller : Privat geht es bei mir gerne mal langsamer zu. Man muss das Leben ja auch genießen. Fußball ist nicht alles. Beim Aufstehen kann ich mir aber keine Zeit mehr lassen, seit meine Kinder mich morgens wecken. Da habe ich keine Chance, liegen zu bleiben.
Ihre Karriere kam nur langsam in Schwung. Sind Sie ein Spätstarter?
Müller : Es ging nicht immer steil bergauf bei mir. Ich bin den Umweg über die Dritte Liga gegangen. Ich habe aber nie aufgegeben, das hat mich geprägt. Die Länderspiele 2013 waren die Belohnung. Diesen Traum nimmt mir keiner.
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