Zwölf Autominuten entfernt vom Bruno’s ist seit diesem Sommer wieder die Erste Bundesliga zuhause. Im altehrwürdigen Stadion am Böllenfalltor, eröffnet 1921, die in die Jahre gekommenen Umkleiden gerade erst von der „Mopo“ als „Kabine des Grauens“ tituliert. Hier spielt an diesem Sonnabend (18.30 Uhr/Sky und im Liveticker bei abendblatt.de) Darmstadt 98 gegen den HSV, oder besser: Labbadias Vergangenheit gegen Labbadias Zukunft.

„Ich bin mal gespannt, ob mich Herr Labbadia überhaupt noch erkennt“, sagt Jutta Arnold. Heute wie damals arbeitet die zierliche Frau in der Verwaltung des mittlerweile runderneuerten Fußballclubs – und ist damit so eine Art letzte Zeitzeugin von Labbadia bei den Lilien. „Herr Labbadia war immer adrett und höflich“, sagt Arnold. „Höflich, aber auch distanziert.“ Dann kichert die 66-Jährige. „Einmal durfte ich die erste Mannschaft ins Wintertrainingslager nach Belek begleiten. Und weil ich immer so gerne laufen ging, fragte mich Herr Labbadia eines Morgens, ob ich nicht mit dem Team mitlaufen wollte. Das habe ich mich aber nicht getraut, obwohl er nie den Star hat raushängen lassen. Herr Labbadia wirkte immer bescheiden und sehr bodenständig.“

In Schalke-Bettwäsche eingeschlafen

Mit Bayern München und dem 1. FC Kaiserslautern gewann der gebürtige Darmstädter die Deutsche Meisterschaft, er war Nationalspieler, Pokalsieger und stand auch als Trainer zweimal im DFB-Pokalfinale. „Aber abgehoben ist er nie. Ganz im Gegenteil“, sagt Dirk Römer. Der Versicherungskaufmann und seine Frau Jutta haben es sich im Café 61 direkt am Ortseingang von Weiterstadt, einem Vorort von Darmstadt, am Nachmittag gemütlich gemacht.

Weiterstadt, rund 25.000 Einwohner, südhessische Provinz im Landkreis Darmstadt-Dieburg, Labbadia-Land.

„Ich denke schon, dass man sagen kann, dass der Bruno hier eine schöne Kindheit hatte“, sagt Römer, der von der E- bis zur A-Jugend alle Jugendmannschaften des SV Weiterstadt mit Labbadia durchlaufen hat. „Als Kind spielt man ja mal hier und mal dort. Aber beim Bruno war das anders. Er war immer Mittelstürmer, wollte immer nur Tore schießen“, sagt Römer.

Auf dem „Berliner“, einem hügeligen Wiesenplatz, der mittlerweile zur Hälfte einem neugebauten Kindergarten weichen musste, hätten sie jeden Tag von früh bis spät „3:0-eine-Cola“ gespielt. „Die Partie war erst beendet, wenn eine Mannschaft 3:0 gewonnen hat. Dann mussten die Verlierer eine Cola ausgeben“, erklärt Römer. „Bei einem 1:1 mussten wir neu anfangen.“

Meist hätten sie aber relativ schnell gewonnen. „Mit drei Toren vom Bruno“, sagt Römer, der gerne die 700 Meter vom „Berliner“ bis zu Labbadias früherem Elternhaus noch mal zurücklegt. Ein weißes, kleines Häuschen direkt an der Ecke Berliner Straße/Heinrichstraße. Als Kind habe Labbadia hier in Schalke-Bettwäsche geschlafen, erinnert sich Römer lachend. „Bruno war das Nesthäkchen der Labbadias. Er war das jüngste von neun Kindern.“

Der HSV-Kader in der Saison 2016/17

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Jedes Jahr trifft sich die alte Mannschaft beim Mannschaftstreffen

Mitte der Fünfzigerjahre war Labbadias Vater Paulo als italienischer Gastarbeiter aus einem Dorf zwischen Rom und Neapel nach Hessen gezogen. „Brunos Vater Paulo hat rund um die Uhr im Tiefbau geschuftet“, erinnert sich Römer. „Er hatte eigentlich nie Zeit, um bei Bruno beim Fußball zuzuschauen. „Ich habe meine Eltern bewundert, dass sie neun Kinder groß gezogen haben“, sagte Bruno Labbadia vor ein paar Jahren dem Abendblatt. „Sie wollten nie von mir unterstützt werden, selbst als ich mein eigenes Geld als Fußballprofi verdiente.“

Dass sich Labbadia früher oder später als Fußballer durchsetzen würde, daran hatten sie in Weiterstadt eigentlich nie einen Zweifel. Auch nicht, als der Deutsch-Italiener nach der Mittleren Reife zunächst mal eine Ausbildung als Versicherungskaufmann absolvierte. „Der Bruno dachte immer nur an Fußball. Er wollte immer Profi werden“, sagt Jutta Römer, die mit Labbadia in eine Stufe auf die Albrecht-Dürer-Schule ging. Was ihr besonders in Erinnerung ist? „Bruno war der Mädchenschwarm unserer Schule.“

Wer sich aber auf die Suche nach Labbadias wahren Liebe machte, wurde 350 Meter westlich der Albrecht-Dürer-Schule fündig: das Vereinsgelände vom SV Weiterstadt. „Unsere Truppe war keine normale Mannschaft“, sagt Dirk Römer, der noch heute das jährliche Mannschaftstreffen – immer am letzten Freitag vorm Heilig Abend – organisiert. „Bruno ist eigentlich jedes Jahr dabei. Nur dieses Jahr sieht es schlecht aus, weil der HSV am Tag darauf gegen den FC Augsburg ran muss.“

Zunächst steht aber die Partie Darmstadt gegen den HSV auf dem Programm. Die 17.500 Karten waren schnell vergriffen. Doch anders als Römer wird Thomas Schmidt im Stadion dabei sein. „Das kann ich mir nicht entgehen lassen. Darmstadt spielt zwar zuhause“, sagt Schmidt. „Aber irgendwie ist es ja trotzdem Brunos Heimspiel.“