Die No-Name-Mannschaft aus Darmstadtíst das Überraschungsteam der Saison. Morgen wird sie zur Herausforderung für die Hamburger
Ein mageres Pünktchen trennen beide Mannschaften zurzeit, der HSV hat 14 Zähler, der morgige Gegner der Rothosen, Aufsteiger Darmstadt 98, hat nach elf Spieltagen 13 Punkte auf der Habenseite. Was beide Teams sonst noch trennt? Das Geld. Der Marktwert der Hessen wird mit 20,4 Millionen Euro angegeben, der des HSV liegt bei 55 Millionen. Auch wenn sich dieser große Unterschied auf dem Rasen wahrscheinlich nicht sofort bemerkbar machen wird. Morgen, im Bundesliga-„Topspiel“, dürfen mit dem Anstoß um 18.30 Uhr mal wieder direkte Vergleiche gezogen werden.
Darmstadt 98 spielt zum dritten Mal in seiner Vereinsgeschichte in der Ersten Bundesliga. 1979 und 1982 stieg die Mannschaft jeweils ab. Ein gutes Omen für den HSV? In den bisherigen vier Erstliga-Partien blieb der Dino gegen Darmstadt unbesiegt: 2:1, 2:1, 6:1 und 2:2 lauten die bisherigen Resultate. Und den bislang letzten Vergleich gewann der HSV mit 1:0, das war im DFB-Pokal-Viertelfinale am 7. März 1987. Der eingewechselte Manfred Kastl traf in der letzten Spielminute, der HSV wurde danach DFB-Pokalsieger.
Für den HSV, der 1987 seinen letzten großen Titel gewann, waren damals am Böllenfalltor folgende zwölf Spieler am Start: Stein, Kaltz, Jakobs, Plessers, Beiersdorfer, Homp, Jusufi, von Heesen, Kroth (Kastl), Okonski und Schmöller. Durchaus einige klangvolle Namen aus der ruhmreichen HSV-Geschichte.
Es war einmal ... Darmstadt 98 stieg nach einem Durchmarsch in der Zweiten Liga im Sommer auf – mit einer Mannschaft, in der große Namen fehlen. Oder was sagen Ihnen diese Spieler: Mathenia (Torwart), Garics, Sulu, Caldirola, Junior Diaz, Niemeyer, Gondorf, Heller, Sailer, Rausch, Wagner und Rosenthal? Echte Experten erkennen mit Sicherheit den einen oder anderen Profi wieder, allerdings haben die meisten 98-Spieler ihre Glanzzeiten schon lange hinter sich. Gehabt. Derzeit erleben sie alle nun ihren zweiten, dritten oder vierten Frühling. Dennoch: In der oberen Etage des deutschen Fußballs wäre wohl kaum ein Verantwortlicher (der Spitzenvereine) auf die Idee gekommen, Spieler, deren Zukunft schon der Vergangenheit angehört, zu verpflichten. In Hamburg, wo sie bei diesem Thema ohnehin ganz besonders verwöhnt sind, natürlich erst recht nicht. Profis wie Konstantin Rausch (Stuttgart, Hannover), Marcell Heller (Frankfurt, Dresden, Aachen), Jan Rosenthal (Hannover, Freiburg, Frankfurt), Sandro Wagner (Hertha BSC) oder auch Dominik Stroh-Engel (Wehen-Wiesbaden, Babelsberg) waren bei früheren Vereinen vielfach schon aussortiert worden. Und plötzlich blühen sie als „Lilien“, wie die Darmstädter von ihrem Anhang liebevoll genannt werden, wieder voll auf.
Schon der Aufstieg vor einem Jahr, in der Relegation gegen Arminia Bielefeld geschafft, galt als Sensation. Und der Durchmarsch in Liga zwei hat im Sommer ganz Deutschland aufhorchen lassen. Möglich gemacht haben es ein Verein, der mit Augenmaß zu Werke geht, und ein Trainer, der lange Zeit sehr unterschätzt wurde: Dirk Schuster. Der frühere Nationalspieler war als Profi schon einer jener Typen, die ohne Angst die Ärmel aufkrempelten und fragten: „Wo steht das Klavier?“ Der 47-jährige Schuster hat bislang für ein kleines Bundesliga-Wunder gesorgt, denn seine No-Name-Mannschaft läuft, rackert, kämpft und beißt erstklassig. Es müssen nicht immer große oder allergrößte Namen sein, um in der Bundesliga zu bestehen. In erster Linie muss die Einstellung der Profis stimmen. 90 Minuten lang alles geben, gemeinsam – als Team.
Darmstadt 98 ist bislang ein Paradebeispiel dafür, dass der Wille Berge versetzen kann. Der HSV wird es morgen zu spüren bekommen, es wird Anschauungsunterricht aus erster Hand geben. Wie sagte doch einst der „große“ Otto Rehhagel? „Eine Mannschaft kann und darf mal schlecht spielen, aber sie muss immer eines: hundertprozentig kämpfen.“ Für Rehhagel war das „ehrlicher Fußball“. Darmstadt hat diese Devise verinnerlicht – jetzt kommt es darauf an, wozu sich der HSV diesmal in der Lage sieht.
Die HSV-Kolumne Matz ab erscheint auch täglich
im Internet unter www.abendblatt.de/matz-ab