Mit der Gründung des Kids-Clubs war der HSV 2003 Vorreiter in der Bundesliga, inzwischen sind 130.000 Nachwuchsfans registriert.
Lukas ist aufgeregt. „Kann ich noch kurz auf Toilette gehen?“, fragt der 13-Jährige, der den großen Moment auf keinen Fall verpassen will. Den ganzen Vormittag über hatten er und sieben weitere Kids-Club-Kinder unzählige Fragen fein säuberlich aufgeschrieben, mit denen sie die drei HSV-Stars Dennis Diekmeier, Zoltan Stieber und Gideon Jung in einer Loge im Volksparkstadion befragen wollen. Und ausgerechnet jetzt muss Lukas etwas dazwischen kommen: Er muss mal, dringend.
Drei Minuten später ist Lukas zurück. Gerade noch rechtzeitig, denn direkt hinter dem kleinen Jungen mit dem HSV-Kapuzenpullover kommen drei größere Burschen durch die Tür. „Sind wir hier richtig?“, fragt Dennis Diekmeier und erntet lautes Gegröle der acht Jungen.
Kinder sind wichtig. Das weiß man in Deutschland nicht erst seit dem demografischen Wandel. Dass Kinder aber vor allem für Bundesligaclubs zunehmend wichtig werden, das ist einigermaßen neu. „Uns liegen Kinder und Jugendliche sehr am Herzen“, sagt Marleen Groß, beim HSV für das Kids-Marketing verantwortlich.
Der HSV war 2003 der erste Bundesligist, der einen eigenen Kids-Club ins Leben rief. Mittlerweile haben 16 von 17 Vereinen nachgezogen, nur der kommende HSV-Gegner Darmstadt 98 ist noch ohne. 130.000 Nachwuchsfans sind in den 17 Kinder-Fanclubs registriert, allein beim HSV sind es 6500 Nachwuchsmitglieder. Für den Bundesligadino ist das eine lohnende Investition: Bei einem Jahresbeitrag von 32 Euro macht das einen Umsatz von mehr als 200.000 Euro im Jahr. Doch dem HSV geht es um mehr als die kurzfristigen Einnahmen. „Natürlich sind wir bemüht um die jungen Fans und wollen sie durch diverse Angebote wie unseren Kids-Club oder unsere Fußballschule frühzeitig für den HSV begeistern“, sagt Groß, und erklärt: „Die Liebe für seinen Verein wird schon früh geweckt und hält oft ein Leben lang.“
Gideon Jung wollte Polizist werden
Die acht Jungs jedenfalls, die gespannt in der Stadionloge auf ihre Idole gewartet haben, werden ihren Lieblingsclub sicherlich nicht mehr wechseln. „Was wolltet ihr als Kind werden, wenn ihr groß seid?“, beginnt Sean, 12, den Fragemarathon. Diekmeier überlegt nicht lange: „Ich wollte immer Fußballprofi werden. Für mich gab es nur diesen Traum.“ Auch Stieber fällt nichts Besseres ein: „Ich wollte immer nur Fußballprofi werden.“ Nur Jungs Antwort weicht ab: „Mein Wunschberuf als Kind war Polizist. Erst später wollte ich dann Fußballprofi werden.“
Es ist nicht das erste Mal, dass Diekmeier, Stieber und Jung zum Interview gebeten werden. Doch diese Frage-und-Antwort-Runde ist auch für sie etwas Besonderes. „Was schaut ihr euch am liebsten im Fernsehen an?“, will Tom, 11, wissen, und erhält als Antworten: Fußball, ungarische Sendungen und ab und an Serien. Hauke, 10, fragt: „Welchen Schiedsrichter findet ihr doof? (Diekmeier: „Das dürfen wir doch hier nicht sagen ... Aber ich habe eigentlich gar keinen, den ich doof finde.“) Und Anthony, 9, interessiert, welche Computerspiele bei den Profis angesagt sind („Fifa auf der Playstation“).
Familiäre Prägung für Kinder besonders wichtig
Laut einer fünf Jahre alten Studie des HSV-Vermarkters Sportfive sind 2,58 Millionen der unter 13-Jährigen Fan eines deutschen Vereins. Wichtigster Anhaltspunkt für Kinder bei der Wahl sei die familiäre Prägung, auf Platz zwei heißt es, der Verein müsse sympathisch sein, und am drittwichtigsten soll den Kindern sportlicher Erfolg sein. Kein Wunder also, dass Hauke wissen will, wann der HSV wieder reif für Europa sei. „Da müssen wir jetzt erst einmal ein paar Punkte holen. Schauen wir mal im Winter, wie viele wir dann haben“, sagt Diekmeier, 26. „Ich glaube, dass wir uns im Moment nicht derart hohe Ziele setzen sollten.“
Bei der Bindung der Jung-Fans können die Ziele der HSV-Verantwortlichen dagegen gar nicht hoch genug sein. 10.000 Camp-Teilnehmer haben in diesem Jahr die HSV-Fußballschule besucht, 800 Kindergeburtstage wurden im Volksparkstadion gefeiert. Für 149 Euro werden bis zu acht Kinder drei Stunden lang im Zeichen der Raute unterhalten und verköstigt.
„Trinkt ihr auch in eurer Freizeit Bier?“, will Lenny, 11, wissen. Der werdende Dreifachpapa Diekmeier zögert. „Ich trinke schon mal gerne ein Bier nach dem Spiel oder am Tag danach. Aber niemals vor dem Spiel“, antwortet Diekmeier und gibt zu, dass meistens Ehefrau Dana die Einkäufe übernimmt. Einkäufe im Stadion-Fanshop stehen bei den Kinderfans natürlich auch hoch im Kurs. Ein Kindertrikot von Diekmeier kann für stolze 69,95 Euro erworben werden, ein Plüschkissen mit dem Bild von Maskottchen Hermann kostet 19,95 Euro, und ein HSV-Hausaufgabenheft gibt es für 3,95 Euro.
Doch an Hausaufgaben wollen die Kinder nicht denken. Lukas fragt: „Dennis, wie lange brauchst Du morgens im Bad?“ („15 Minuten“). Hauke will wissen, in welchem Alter sich Diekmeier das erste Mal tätowieren ließ. („Mit 17. Aber pssst.“) Und Lenny fragt Jung, was sein Lieblingstier sei? („Ein Löwe. Der ist stark, den habe ich schon als Kind immer gemalt.“)
Nach einer Dreiviertelstunde sind alle Fragen beantwortet. Nur eines will Tim, 11, noch loswerden: „Ich weiß jetzt auch, was ich später werden will“, sagt der Dreikäsehoch. „HSV-Fußballprofi.“